„Fiktive Miete“ Scholz will Grundsteuer an der Miete ausrichten

Berlin · Der Bundesfinanzminister legt ein eigenes neues Reformmodell vor und setzt auf eine Einigung mit den Ländern in dieser Woche.

Olaf Scholz im Bundestag.

Olaf Scholz im Bundestag.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will die Grundsteuer neben anderen Faktoren künftig an den erzielten Nettokaltmieten einer Wohnimmobilie ausrichten. Für selbstgenutztes Wohneigentum soll eine fiktive Miete errechnet werden, die sich an den Wohngeldtabellen des Bundesarbeitsministeriums orientiert. Wegen der Berücksichtigung der Mieten bei der individuellen Neufestsetzung wird die Grundsteuerlast ab 2025 in attraktiven Wohnlagen, insbesondere in den Großstädten, für Eigentümer um einen "niedrigen bis mittleren zweistelligen Euro-Betrag pro Jahr" steigen, hieß es am Montag in Kreisen des Finanzministeriums.

Da Eigentümer die Grundsteuer auf die Mieter überwälzen können, nimmt dadurch auch der Druck auf die Mieten in den Ballungsräumen weiter zu. Scholz denkt allerdings für Großstädte mit über 500.000 Einwohnern wie Hamburg, München, Berlin, Köln oder Düsseldorf noch über Zu- und Abschläge zur Grundsteuer nach, um einen zu starken Mietenanstieg und Ungerechtigkeiten innerhalb des Stadtgebiets zu dämpfen. In weniger attraktiven Wohnlagen werde die Grundsteuer dagegen im Vergleich zum Status Quo sinken, hieß es.

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Regierung im April 2018 vorgegeben, die Grundsteuer bis Ende 2019 zu reformieren. Das Gericht hatte die derzeitige Berechnung der Steuer für verfassungswidrig erklärt, weil die zugrunde liegenden Einheitswerte der Grundstücke in Westdeutschland auf dem Stand von 1964, in Ostdeutschland sogar noch auf dem von 1935 beruhen. Bis heute haben sich die Marktverhältnisse erheblich verändert, so dass eine Reform nötig werde, so das Gericht. Zur tatsächlichen Umsetzung der Reform hat das Gericht Bund und Ländern bis Ende 2024 Zeit gegeben. Bis dahin müssen die Finanzämter bundesweit 36 Millionen Immobilien neu bewertet haben. Scholz will seine Reformvorstellungen am Mittwoch den Länderkollegen präsentieren und strebt eine möglichst einvernehmliche Lösung an, die im Jahresverlauf 2019 durch Bundestag und Bundesrat gehen soll. Bayern hat allerdings bereits Protest angemeldet.

Die Reform solle verfassungskonform, rechtssicher, umsetzbar und sozial gerecht sein, hieß es in Kreisen des Finanzministeriums. Zudem solle sie aufkommensneutral sein, also den Kommunen nicht mehr oder weniger als 14 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Scholz wolle den Ländern zwei Modelle präsentieren, hieß es. Zum eine werde er das so genannte Flächenmodell vorstellen, wonach allein die Grundstücksfläche und eine Äquivalenzzahl für die Berechnung der Grundsteuer ausschlaggebend sein sollen. Der Minister präferiere jedoch sein "wertabhängiges Modell" mit dem Mieten-Bezug.

Bisher errechnet sich die Grundsteuer aus der Multiplikation von Einheitswert, Steuermesszahl und Hebesatz der Kommune. Künftig soll der Einheitswert nach den Vorstellungen von Scholz durch eine Größe ersetzt werden, die sich aus der Nettokaltmiete, der Wohnfläche, dem Baujahr, der Grundstücksfläche und dem Bodenrichtwert einer Immobilie ergibt. Diese Größe errechnet das Finanzamt auf der Grundlage einer Steuererklärung, die jeder Immobilieneigentümer Anfang 2020 abgeben soll. Um zu verhindern, dass die Grundsteuer für alle deutlich steigt, will Scholz die bisherige Steuermesszahl etwa um das Zehnfache senken. Für Gewerbegrundstücke soll das alte Ertragswertverfahren weiter gelten. Auch für unbebaute Grundstücke soll sich nichts verändern.

Das Finanzministerium hält sein Modell für verfassungsfest. Dem widersprach der Augsburger Wirtschaftsrechtler Gregor Kirchhof in einer Stellungnahme im Auftrag der Familienunternehmer. "Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass der Belastungsgrund der Steuer erkennbar sein muss und dass aus diesem die Bemessung zu entwickeln ist. Diese Vorgaben scheint der Vorschlag zu reißen", sagte Kirchhof. "Insbesondere wird das Anknüpfen an die Miete vor dem Gleichheitsgrundsatz in Artikel drei des Grundgesetzes kaum Bestand haben."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Paul Kirchhof zitiert. Richtig ist Gregor Kirchhof. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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