OECD-Studie Ende des Bildungsschocks für Deutschland

Berlin · Deutschland sieht sich nach einem aktuellen Bericht der Industrieländer-Organisation OECD im internationalen Vergleich wieder gut aufgestellt. Im Bildungssystem gibt es Fortschritte, aber auch Luft nach oben.

 Viertklässler in einer Grundschule in Schleswig-Holstein (Symbolbild).

Viertklässler in einer Grundschule in Schleswig-Holstein (Symbolbild).

Foto: dpa/Frank Molter

Knapp 600 Seiten Licht und Schatten. In einem solchen Fall gehen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), der Präsident der Kultusministerkonferenz, Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke), und OECD-Bildungsexperte Heino von Meyer erst einmal auf die Sonnenseite des deutschen Schul- und Bildungssystems, auch wenn sie wissen: Bildung bleibt in Deutschland eine Dauerbaustelle. 17 Jahre ist es her, seit die Republik vom damals sogenannten Pisa-Schock auf- und durchgerüttelt wurde. Deutsche Schüler waren im internationalen Vergleich nicht mal mehr Durchschnitt. 2018 freuen sich Karliczek, Holter und von Meyer in dem am Dienstag in Berlin vorgestellten OECD-Bildungsbericht darüber, dass Deutschland im internationalen Vergleich wieder gut dasteht.

Also Licht an: „Beachtliche Fortschritte“ gibt es demnach bereits bei den ganz Kleinen – beim Ausbau der frühkindlichen Bildung. Laut dem Bericht stieg der Anteil der unter Dreijährigen, die eine Kita besuchen, von 2005 bis 2016 um 20 Prozentpunkte auf 37 Prozent an. Dabei überproportional vertreten: Kinder von Akademikern. Bei den Drei- bis Fünfjährigen gehen laut Studie fast alle Kinder in eine Kita, im Schnitt der OECD-Staaten sind es dagegen nur 86 Prozent.

Weiter auf der Haben-Seite: In Deutschland verlassen die meisten jungen Erwachsenen die Schule mindestens mit einem Gymnasial- oder Berufsschulabschluss – mit anschließend guten oder sehr guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Bildungsministerin Karliczek lobte dabei das deutsche duale Bildungssystem: „Es ist nicht so, dass jeder Abitur machen und studieren muss.“ Denn: Deutsche Bildungsabschlüsse führen nach den Worten der CDU-Politikerin „alle überdurchschnittlich in Beschäftigung“. Vorteil Deutschland.

Schattenseite: Allerdings müssten all jene, welche die Schule ohne Basisqualifikation verlassen, meist große Nachteile in Kauf nehmen. So hätten im vergangenen Jahr 13 Prozent der 25- bis 34-Jährigen die Schule ohne Abschluss im Sekundarbereich II verlassen. Die Folge für diese Absolventengruppe: 15 Prozent von ihnen sind arbeitslos, fünfmal so viele wie bei Schulabgängern mit Gymnasial- oder Berufsschulabschluss. Nur 55 Prozent der 25- bis 34-Jährige ohne Abitur haben Arbeit. Dagegen sind 84 Prozent der Absolventen mit Abitur oder höherem Bildungsabschluss in Arbeit.

Auch ein Plus: Die Zugangsquoten für ein Hochschulstudium in Deutschland sind deutlich gestiegen. Nach dem OECD-Bericht nahm der Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit einem Hochschulstudium von 23 Prozent in 2007 auf 31 Prozent in 2017 zu. 87 Prozent der Akademiker sind in Beschäftigung. Wer sich nicht für ein Studium in Deutschland entscheidet, sondern für eine Ausbildung, hat nachher beinahe genauso gute Chance auf dem Arbeitsmarkt wie Akademiker. Der Anteil Absolventen mit einer Berufsausbildung, die es anschließend auf eine Arbeitsstelle schafften, stieg von 77 Prozent im Jahr 2007 auf 83 Prozent in 2017.

OECD-Bildungsexperte von Meyer wehrt sich dabei gegen Vorwürfe eines angeblichen „Akademisierungswahns“ in Deutschland. Laut der Erhebung wird gut die Hälfte der jungen Erwachsenen (53 Prozent) im Laufe ihres Lebens voraussichtlich ein Studium aufnehmen. Von Meyer verwies darauf, dass Deutschland mit seinen Bildungsausgaben in Höhe von 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch unter dem OECD-Schnitt von fünf Prozent liege. Von Meyer: „Sparen an der Bildung wird sich bitter rächen. Das wichtigste Vermögen dieses Landes ist gute Bildung.“

Dazu braucht das Land Menschen, die das Wissen vermitteln: Lehrer. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Thüringens Bildungsminister Holter, machte bei Vorlage des OECD-Berichtes auf den eklatanten Lehrermangel aufmerksam. An vielen Schulen sei es nur noch möglich, den „Unterricht abzusichern“. OECD-Experte von Meyer wies darauf hin, dass in Deutschland mehr als 40 Prozent der Lehrer älter als 50 Jahre seien. „Wir werden also absehbar Hunderttausende neue Lehrer brauchen.“ Nach den Worten von Holter wiederum verdienten Lehrer in Deutschland im internationalen Vergleich zwar gut. Doch die Bundesländer machten sich im Wettbewerb um Lehrer in einem gegenseitigen „Überbietungswettbewerb“ bei den Gehältern das Leben schwer.

Offen ist nach Einschätzung von Karliczek und Holter gegenwärtig noch, ob der Bund, wie angestrebt, tatsächlich neben Kommunen künftig auch die Länder bei der Bildung finanziell unterstützen darf. Bislang steht das sogenannte Kooperationsverbot dagegen. Oberstes Ziel der im April im Kabinett dazu auf den Weg gebrachten Grundgesetzänderung: die bundesweite Unterstützung der digitalen Infrastruktur in Schulen. Ob es wirklich zu jener Zweidrittelmehrheit in Bundestag und vor allem im Bundesrat kommt, die für eine solche Grundgesetzänderung nötig ist, mussten Karliczek und Holter offenlassen. Holter: „Das kann heute niemand vorhersagen.“ So wehrt sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegen eine solche Kompetenzverlagerung auf den Bund. Kretschmann am Dienstag in Berlin: „Sonst kommt es zu immer weiteren Kompetenzverlagerungen.“ Deutschland sei mit seiner föderalen Struktur stets gut gefahren.

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