Spionage NSA-Jäger: Bundestag nutzt unsichere Telefone

Düsseldorf · Deutschland ist das Ziel einer intensiven Wirtschaftsspionage und muss deshalb deutlich mehr für den Schutz seiner Daten tun. Das fordert Patrick Sensburg (CDU, 43), der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages.

Was kann Berlin gegen die US-Spionage tun?
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Foto: dpa, soe wst vfd

"Nicht nur Russland, Indien und China, sondern auch Großbritannien und Frankreich betreiben sicherlich Spionage. Ich höre immer wieder, dass auch zum Beispiel Frankreich im Bereich Wirtschaftsspionage aktiv sein soll. Überprüfen können wir das aufgrund des engen Untersuchungsauftrags des Ausschusses nicht." In Frankreich sind viele Großunternehmen eng mit dem Staat verbunden. Gerade der Bereich der Luftfahrt ist für Paris von höchstem Interesse, und der Verdacht liegt nahe, dass man vor wichtigen Entscheidungen zum Beispiel bei Airbus wissen will, was die deutsche Seite denkt.

Der NSA-Ausschuss, benannt nach dem US-Geheimdienst National Security Agency, soll aufklären, welche Überwachungsaktivitäten die "Five-Eyes-Staaten" (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) in Deutschland betreiben und wie deutsche Dienste darin eingebunden sind. Diese Fokussierung ist Sensberg zu eng: "Ich hätte mich gefreut, wenn wir auch auf andere Staaten geschaut hätten."

Industriespionage geht weiter als politisches Ausspähen

Die Industriespionage habe einen weit größeren Umfang als die aus politischen Motiven. "Jährlich erleiden deutsche Unternehmen dadurch einen Schaden von rund zwölf Milliarden Euro", berichtete der aus dem westfälischen Paderborn stammende Unionspolitiker. 98 Prozent der deutschen Unternehmen seien mittelständisch. "Der klassische Mittelständler kümmert sich aber noch zu wenig um Datensicherheit. Und dann wundert man sich später bei einer Messe, warum das gleiche Gerät auch von einer chinesischen Firma angeboten wird, die in Forschung und Entwicklung nichts investieren musste und daher viel billiger ist und inzwischen von der Qualität oft gleich gut." Sensburg schätzt, dass mehr als jedes zweite deutsche Unternehmen durch Spionage Daten verloren hat.

Ähnliche Blauäugigkeit erkennt der CDU-Politiker, der als Professor öffentliches Recht und Europarecht an der NRW-Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Münster lehrt, auch im politischen Bereich: "Es wäre naiv, anderen Geheimdiensten oder der organisierten Kriminalität zu sagen: Das ist böse, bitte lasst das doch. Wir müssen unsere Daten stärker verschlüsseln, dann ist das massenhafte Abgreifen von Daten auch nicht mehr sinnvoll." Sensburg fordert, dass alle Bundestagsabgeordneten Mobiltelefone mit einer End-zu-End-Verschlüsselung nutzen können. "Die Bundesregierung hat für ihre Ministerien jetzt 2500 Krypto-Handys angeschafft, im Bundestag nutzen wir leider nur unsichere Telefone."

NSA-Ausschuss dürfte nach zweieinhalb Jahre arbeiten

Der Unionspolitiker geht davon aus, dass der NSA-Ausschuss noch zweieinhalb Jahre Arbeit vor sich hat. "Allein durch seine Existenz ist ständig ein Schweinwerfer darauf gerichtet, was ausländische Dienste in Deutschland tun. Spionage findet täglich statt. Wir befassen uns als erster Untersuchungsausschuss nicht mit einem abgeschlossenen Vorgang, sondern mit einem laufenden. Das macht es hoch komplex."

Sensburg kritisiert, dass der Ausschuss zu viel Zeit mit der Diskussion darüber verloren habe, ob Edward Snowden nun in Deutschland aussagen soll oder nicht. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter hatte den Abhörskandal öffentlich gemacht und ist nach Russland geflüchtet. Der Amerikaner werde als Informant überschätzt: "Er ist das Gesicht des Skandals. Aber er hat bisher keine Klardaten herausgegeben. Niemand hat zum Beispiel die 300 Datensätze über das abgehörte Handy der Bundeskanzlerin gesehen. Sind das SMS, ganze Telefonate, Telefonnummern?" Sein Vertrauter, der Journalist Glenn Greenwald, dem Snowden das Material zur Veröffentlichung übergeben hat, sei ein viel besserer Zeuge. Doch Greenwald habe eine Einladung des NSA-Ausschusses kurzfristig abgelehnt, bedauert Sensburg. "Wir hätten ihn, ob über Video-Konferenz oder in Berlin, gern vernommen. Er hat, anders als Snowden, viel Zeit gehabt, die Dokumente auszuwerten. Er hätte somit umfassend aufklären können, aber es geht ihm anscheinend eher um den Verkauf seiner Bücher."

Die Opposition hat soeben beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen die Bundesregierung und gegen Sensburg als Vorsitzenden eingereicht: Snowden hätte nach Deutschland eingeladen werden müssen. Das sieht Sensburg kritisch: "Die USA sehen in Snowden einen Verbrecher, der durch seine Enthüllungen US-Soldaten in Lebensgefahr gebracht hat. Ein Auslieferungsgesuch der Amerikaner wäre wahrscheinlich. Und bei Rechtsstaaten kommt man dem auch nach." Sensburg schlägt vor, stattdessen Snowden in der schweizerischen Botschaft in Moskau zu vernehmen. "Meine Aufgabe ist aufzuklären. Und wenn nicht einmal klar ist, ob Snowden aus Russland ausreisen darf, dann müssen wir im Ausschuss mit den Zeugen beginnen, die zur Verfügung stehen."

Kein Verständnis hat Sensburg dafür, dass Snowdens Rechtsanwalt eine Vernehmung des Ex-Geheimdienstlers in Moskau abgelehnt hat: "Edward Snowden hat bisher in rund 20 Video- oder Fernsehauftritten aus Moskau seine Positionen ausgeführt. Hierbei übt er auch aus Moskau harsche Kritik an den USA. Er gibt seine Dokumente an Journalisten. Lediglich dem einzigen parlamentarischen Untersuchungsgremium der Welt bietet er das nicht an."

Der Unionspolitiker verurteilt die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste in Deutschland nicht grundsätzlich. "In der Terrorismusabwehr sehe ich kein Problem, im Gegenteil: Das geplante Attentat der islamistischen Sauerland-Gruppe konnte so verhindert werden." Massenhafte Datenerhebung sei dagegen unzulässig: "Dieser auch sehr technikgläubige Ansatz widerspricht den berechtigten Interessen unserer Bürger. Das ist nicht tolerierbar."

"In der Terrorismusabwehr sehe ich kein Problem, im Gegenteil: Das geplante Attentat der islamistischen Sauerland-Gruppe konnte so verhindert werden." Massenhafte Datenerhebung sei dagegen unzulässig: "Dieser auch sehr technikgläubige Ansatz widerspricht den berechtigten Interessen unserer Bürger. Das ist nicht tolerierbar." Auch Deutschland betreibe im Übrigen nachrichtdienstliche Tätigkeit in anderen Staaten, zum Beispiel in Afghanistan, in Libyen, dem Irak und in der Türkei. "Das halte ich für richtig. Was findet denn zurzeit im sensiblen Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien statt? Wir möchten eigene Erkenntnisse haben zum Beispiel über Waffenlieferungen, die an die Terrormiliz ,Islamischer Staat' gehen. Das ist keine Frage des Vertrauens. Das verstehen auch die Türken."

(RP)
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