Entschädigung für Sicherungsverwahrte NRW rechnet mit Klagen von Ex-Kriminellen

Karlsruhe/Düsseldorf · Erstmals hat ein Gericht vier Klägern, die nach neuer Rechtsprechung zu Unrecht in Sicherungsverwahrung waren, Entschädigungansprüche zuerkannt. Das Justizministerium in Düsseldorf rechnet nun mit 30 bis 35 weiteren Klagen Sicherungsverwahrter in NRW. Es ist ein Urteil aus Baden-Württemberg, dessen Auswirkungen auch den Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen und weiteren Bundesländern belasten dürfte: Vier Männern, die wegen versuchter Tötungsdelikte und Sexualverbrechen nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen wegen prognostizierter Gefährlichkeit in Sicherungsverwahrung genommen worden waren, geschah dadurch nach Ansicht des Landgerichts Karlsruhe Unrecht.

Sicherungsverwahrung - die härteste Strafe in Deutschland
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Erstmals hat ein Gericht vier Klägern, die nach neuer Rechtsprechung zu Unrecht in Sicherungsverwahrung waren, Entschädigungansprüche zuerkannt. Das Justizministerium in Düsseldorf rechnet nun mit 30 bis 35 weiteren Klagen Sicherungsverwahrter in NRW.

Es ist ein Urteil aus Baden-Württemberg, dessen Auswirkungen auch den Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen und weiteren Bundesländern belasten dürfte: Vier Männern, die wegen versuchter Tötungsdelikte und Sexualverbrechen nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen wegen prognostizierter Gefährlichkeit in Sicherungsverwahrung genommen worden waren, geschah dadurch nach Ansicht des Landgerichts Karlsruhe Unrecht.

Das Gericht verurteilte das Land Baden-Württemberg zu Entschädigungs-Leistungen für die Kläger im Alter von 55 und 65 Jahren in Höhe von 240.000 Euro, aufgeteilt in vier Beträge zu 49.000, 53.000, 65.000 sowie 73.000 Euro.

Signalcharakter für Betroffene

Das noch nicht rechtskräftige Urteil hat nach Ansicht von Rechtsexperten Signalcharakter für mehrere Dutzend Betroffene, die zu lange rechtswidrig in Sicherungsverwahrung lebten und nun ebenfalls auf Entschädigung klagen dürften.
Das NRW-Justizministerium rechnet nach dem Karlsruher Urteil zu Gunsten ehemaliger Sicherungsverwahrter mit 30 bis 35 Klagen. Es gebe entsprechend viele vergleichbare Fälle in NRW, hieß es in Düsseldorf.

Baden-Württemberg will in in Kürze entscheiden, ob es Berufung gegen das Landgerichts-Urteil einlegt. Die vier einstigen Schwerkriminellen waren in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg nach Verbüßung ihrer Strafhaft noch weitere 18 bis 22 Jahre in Sicherungsverwahrung genommen worden. Damit wurde die bei ihrer Verurteilung geltende zehnjährige Höchstdauer für Sicherungsverwahrung um zwischen acht bis zwölf Jahre überschritten. Bei der Festsetzung der einzelnen Entschädigungssummen legte das Landgericht 500 Euro pro Monat unrechtmäßiger Sicherungsverwahrung zugrunde.

Die Landesjustiz trifft kein Verschulden

Das Land haftet für die rechtswidrige Freiheitsentziehung, obwohl die Landesjustiz kein Verschulden trifft. Sie hat nämlich bis zur bahnbrechenden Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg im Jahr 2009 geltendes Bundesrecht vollzogen, das eine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung ebenso erlaubte wie eine unbefristete. Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte dies 2009 als menschenrechtswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht war darin dem EGMR im Mai 2011 gefolgt.

Die vier Männer waren ursprünglich zu Haftstrafen von fünf bis 15 Jahren verurteilt worden. Nach deren Verbüßung war Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die dann — nach Abschaffung der Zehnjahres-Höchstdauer im Jahr 1998 — immer weiter verlängert worden war. Erst 2010 waren die Vier aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden.

Eine Verurteilung des Landes Baden-Württemberg musste nach Meinung des Karlsruher Gerichts sein, weil die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresfrist gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Deshalb bestehe ein Entschädigungsanspruch, unabhängig von der Frage, ob die Landesjustiz im Südwesten eine Schuld traf.

Die bei der Berechnung der Entschädigung zugrunde gelegten 500 Euro pro Monat wendet der EGMR in vergleichbaren Fällen an. Die Kläger hatten 25 bis 35 Euro pro Tag unberechtigter Sicherungsverwahrung gefordert. Das hätte eine Entschädigungspflicht in Höhe 415.000 Euro bedeutet.

Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe bewertete das Urteil kritisch: Die Behörden hätten keine andere Option gehabt. Das Land prüft auch, ob es sich beim Bund schadlos halten kann.

Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) bezeichnete Zahlungen an ehemalige Häftlinge aus der Sicherungsverwahrung als schwer vermittelbar. Der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag hingegen nannte das Urteil konsequent.

(mc.)
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