Stichwahl in Nordhausen Er könnte erster AfD-Oberbürgermeister Deutschlands werden
Analyse | Berlin · Der AfD-Politiker Jörg Prophet hat am Sonntag die Chance, an die Spitze der Verwaltung in Nordhausen gewählt zu werden. Der Politiker geriet in der Vergangenheit schon ins Visier des Verfassungsschutzes.
Erst ein Landrat, dann ein Bürgermeister – und nun bald ein Oberbürgermeister? Die AfD steht womöglich kurz davor, ein weiteres kommunales Spitzenamt zu erringen. Jörg Prophet (AfD) könnte den parteilosen Amtsinhaber Kai Buchmann in der Stichwahl in Nordhausen schlagen. Die Entscheidung darüber liegt an diesem Sonntag bei den Wahlberechtigten der thüringischen Stadt im Südharz, die auf etwas mehr als 40.000 Einwohner kommt.
Dabei könnte der AfD-Kandidat gute Chancen haben. Prophet erhielt als Herausforderer im ersten Wahlgang vor knapp zwei Wochen 42,1 Prozent der Stimmen, während der bisherige Oberbürgermeister Buchmann nur auf 23,7 Prozet kam. Sollte der AfD-Kandidat auch in der Stichwahl gewinnen, würde die AfD erstmals in Deutschland einen Oberbürgermeister stellen. Für die Partei wäre es der nächste Erfolg auf kommunaler Ebene, nachdem Robert Sesselmann Ende Juni bereits als erster AfD-Politiker eine Landratswahl gewonnen hatte. Kurz danach errang Hannes Loth als erster AfD-Politiker das Amt eines Bürgermeisters.
Dabei geriet Prophet bereits vor zwei Jahren in den Fokus des Thüringischen Verfassungsschutzes. In einem Text, der bis heute online nachzulesen ist, schrieb Prophet über die „Opfer von Dresden 1945“. Der Verfassungsschutzbericht 2021 stellte hierzu fest, es handle sich um Gedankengut, das die „historische Schuld des deutschen Volkes“ relativiere. Weiter bescheinigten die Verfassungsschützer dem Autor ein „geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild“.
Auf seiner Internetseite gibt sich Jörg Prophet auf den ersten Blick hingegen bürgernah und bodenständig. Als „Nordhäuser, Unternehmer, Vater und Opa“ stellt sich der 61-Jährige im Netz vor. Laut eigener Aussage ist Prophet bereits seit 2016 in der AfD aktiv. An der Spitze des thüringischen Landesverbands, dem auch Prophet angehört, steht der rechtsextreme Björn Höcke. Außerdem bezeichnet der Thüringische Verfassungsschutz den gesamten Landesverband der AfD als gesichert extremistisch.
Der parteilose Kai Buchmann will einen Sieg von Prophet verhindern. Der bisherige Amtsinhaber hofft darauf, am Sonntag erneut gewählt zu werden. Buchmann, der früher Mitglied bei den Grünen war, ist allerdings angeschlagen. Gegen ihn läuft seit Monaten ein Disziplinarverfahren. In der Folge wurde der Politiker sogar einige Monate lang von seinem Amt suspendiert und kehrte erst im August auf den Posten des Oberbürgermeisters zurück. Konkret wirft das Landratsamt Buchmann 14 Dienstpflichtverletzungen vor. Unter anderem steht der Vorwurf im Raum, Buchmann habe seine Stellvertreterin gemobbt.
Politisch will Buchmann ein weltoffenes Nordhausen. Dagegen spricht sich Prophet für eine Residenzpflicht für Geflüchtete aus, durch die sich Betroffene nur noch in einem bestimmten Bereich aufhalten dürften. Das Internationale Auschwitz-Komitee zeigte sich in dieser Woche besorgt. Laut einer Mitteilung wäre der Wahlsieg eines „lupenreinen Rechtsextremisten“ für Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager so, als ob ihre Befreiung und ihr Leben danach infrage gestellt würden. Bei Nordhausen lag das Konzentrationslager Mittelbau-Dora, ein Außenlager des KZ Buchenwald.
Politikwissenschaftler betrachten die Entwicklungen mit Sorgen. Steffen Kailitz, Extremismusexperte am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, sagt, der Wahlsieg eines AfD-Politikers bei der Oberbürgermeisterwahl würde unterstreichen, dass die AfD mittlerweile auch in politischen Führungspositionen in Deutschland Fuß fassen kann. „Das grundlegende und größere Problem ist aber, dass mit der AfD eine Partei mit rechtsextremistischer Ausrichtung inzwischen im ganzen Osten Deutschlands stärkste Partei ist“, sagte Kailitz unserer Redaktion. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im nächsten Jahr befürchtet der Wissenschaftler „deutliche Erschütterungen des deutschen Parteiensystems und für die deutsche Demokratie insgesamt“. Die Wahl in Nordhausen lasse sich hierfür als Wecksignal ansehen.
Nun sind erst einmal die Nordhausener gefragt. Am Sonntag können sie ihre Stimme zwischen 8 und 18 Uhr in den Wahllokalen abgeben. Ob Nordhausen den ersten AfD-Oberbürgermeister Deutschlands bekommt, dürfte dann am Abend feststehen.