Fragen und Antworten Sind wir abhängig von Russlands Gas?

Düsseldorf · Die USA torpedieren die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2. Und mancher osteuropäischer EU-Staat applaudiert. Aber wie abhängig ist Deutschland wirklich vom russischen Gas? Und welche Interessen verfolgen die USA? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Der Streit um die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 eskaliert. Der US-Botschafter droht mit Sanktionen gegen deutsche Firmen. Die Bundesregierung hält offiziell an dem Projekt fest. Worum geht es wirklich? Wir haben versucht, alle wichtigen Fragen zu beantworten.

Was ist der Zweck der Pipeline und wo verläuft sie?

Die Pipeline Nord Stream 2 soll Gas aus dem russischen Wyborg durch die Ostsee nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern bringen soll. Der erste Strang ist seit 2011 in Betrieb, ein zweiter soll bis Ende 2019 fertig sein. Die Pipeline wird von einem Konsortium gebaut, an dessen Finanzierung auch deutsche Unternehmen beteiligt sind: die BASF-Tochter Wintershall und das Düsseldorfer Energieunternehmen Uniper. Der russische Konzern Gazprom stemmt 50 Prozent der Investitionskosten von 9,5 Milliarden Euro, Uniper und Wintershall zusammen mit drei anderen westlichen Versorgern (OMV, Engie, Shell) den Rest, jeder von ihnen 950 Millionen Euro. Chef des Aktionärsausschuss ist der frühere Kanzler Gerhard Schröder.

Wie weit ist der Bau und wer finanziert die Pipeline?

 Präsident Putin zu Besuch bei einem Gasterminal von Gazprom in Kaliningrad. Foto: dpa

Präsident Putin zu Besuch bei einem Gasterminal von Gazprom in Kaliningrad. Foto: dpa

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Die 1200 Kilometer lange Pipeline befindet sich bereits im Bau, Einweihung war 2011. Die Röhren verlaufen unterirdisch durch den Ozean und umgehen die bisherigen Transitländer für Gas aus Russland, darunter etwa die Ukraine. Dänemark verweigert bislang eine Nutzung ihrer Hoheitsgewässer, dadurch wird der Bau teurer und verzögert sich. Bislang rechnen die Betreiber mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro Kosten.

Wird Deutschland durch die Pipeline von Russland abhängig?

„Deutschland ist total von Russland kontrolliert“, behauptet US-Präsident Donald Trump. Bei Erdgas werde Deutschland bis zu 70 Prozent von Russland kontrolliert. Das ist falsch. Es sind laut Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft „nur“ 40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases, das aus Russland stammt. Norwegen liefert 29 Prozent, die Niederlande 23 Prozent. Deutschland importierte im vergangenen Jahr 53,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas vom russischen Anbieter Gazprom, so viel wie nie. Russland ist der größte Erdgas-Lieferant, von „totaler Kontrolle“ kann aber keine Rede sein. Erst recht nicht, wenn man auf die gesamte Energiebilanz schaut. Denn nur ein Viertel seines Energiebedarfs deckt Deutschland überhaupt mit Erdgas. Erdöl steht für ein Drittel, wobei auch hier Russland der wichtigste Lieferant nach Deutschland ist. Ein Drittel der deutschen Energie stammt aus Ökostrom und Kohle. Der Ökostrom soll massiv ausgebaut werden, die Kohlekommission berät gerade den Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Kohle-Verstromung. Und: Zwar ist Deutschland anteilsmäßig der größte Abnehmer russischen Erdgases in Europa, aber im Gegenzug ist Deutschland der wichtigste Kunde von Russlands Staatskonzern Gazprom. Fazit: eine einseitige Abhängigkeit existiert nicht. Deutschland braucht Energie, Russland die Devisen. Der russische Staatshaushalt hängt zu rund 50 Prozent an den Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft.

Nutzt Russland seine Energielieferungen für politische Zwecke?

Osteuropäische Staaten wie die Ukraine und Weißrussland erlebten in der Vergangenheit, dass in politisch schwierigen Phasen auch die russischen Energielieferungen gedrosselt wurden. Offiziell wegen ausstehender Zahlungen. Die Ukraine fürchtet nun, dass durch die Ostsee-Pipeline ihr Gasgeschäft mit Russland eingeschränkt wird. Die Polen sind verärgert, dass sie gar nicht erst einbezogen wurden. Deutschland kennt solche Problem nicht. „Wir sind seit 40 Jahren im Russland-Geschäft tätig. In dieser Zeit gab es den Kalten Krieg und Afghanistan-Interventionen vom Westen und vom Osten. Die Geschäftsbeziehungen sind in all den Jahren konstant gut geblieben“, stellte Eon-Chef Johannes Teyssen auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise 2014 fest.

Warum hält die Bundesregierung an der Pipeline fest?

Offiziell ist die Position der Bundesregierung, dass die Nord Stream 2 Pipeline ein rein wirtschaftliches Projekt sei. Allerdings hatte Kanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch in der Ukraine im vergangenen Jahr betont, dass sie sich die ukrainischen Bedenken „aufmerksam angehört“ habe und die ukrainischen Interessen für sie von Bedeutung seien. Das Projekt Nord Stream 2 sei, „ohne dass wir Klarheit haben, wie es mit der ukrainischen Transitrolle weitergeht, aus unserer Sicht nicht möglich“, sagte sie.

Wie stehen die Parteien zu der Ostsee-Pipeline?

Kritisch. Die Grünen haben sich klar gegen die Pipeline-Unterstützung durch Deutschland ausgesprochen. Für ein mögliches schwarz-gelb-grünes Bündnis (Jamaika) auf Bundesebene wäre dies ein Hemmnis. Auch die CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, Jürgen Hardt und Elmar Brok sehen das Geschäft kritisch. Röttgen sprach in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung neulich von einer „rechtswidrigen russischen Machtausdehnung“. Im vergangenen Jahr hatten sich hundert namhafte Politiker aus Deutschland und Europa in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin für einen Stopp der Pipeline ausgesprochen, vor allem aus den Reihen der Grünen, der Europäischen Volkspartei und der Liberalen. „Es läuft den Zielen der Europäischen Energieunion zuwider und gibt Russland zusätzlichen strategischen Einfluss auf die EU, in dem es ihre Energieabhängigkeit von Russland verstärkt“, heißt es darin. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich noch nicht geäußert. Die SPD, die Linke und die AfD verteidigen das Projekt

Was halten andere EU-Staaten von der Ostsee-Pipeline?

Wenig. Deutschland ist in der EU weitgehend isoliert. Die osteuropäischen Mitgliedsstaaten, vor allem Polen, warnen vor einer weitergehenden Abhängigkeit von Russland, weil sie teilweise erlebt haben, wie Russland mit der Belieferung von Gas Druck ausübt und politische Ziele umsetzen will. Das Europäische Parlament hat sich mehrheitlich gegen Nord Stream 2 ausgesprochen. Deutschlands wichtigster Partner Frankreich hat sich bisher nicht klar geäußert.

Warum sind die USA so vehement gegen die Pipeline?

Es gibt unterschiedliche Motive. Zum einen warnen die USA davor, dass die Devisen für das russische Gas auch für die Rüstung der russischen Armee eingesetzt werden und somit indirekt wieder in militärische Konflikte etwa in der Ost-Ukraine oder in Syrien fließen könnten. Mit der Abhängigkeit von Russland werde Europa unter Druck gesetzt, die Russen wollten Europa spalten, behauptet US-Botschafter Richard Grenell. Kritiker der USA betonen allerdings, dass der Widerstand gegen die Pipeline wohl vor allem deshalb so intensiv sei, weil die US-Amerikaner ihr eigenes Gas in Europa absetzen wollen. Die USA fördern seit einigen Jahren mit Hilfe der in Deutschland umstrittenen Fracking-Technologie enorme Mengen Gas aus dem Boden und exportieren die Überschüsse nach Übersee. Bei der Technik werden unter hohem Druck Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst. Das so geförderte Schiefergas wird als verflüssigtes Erdgas, so genanntes LNG (liquified natural gas) nach Europa verkauft. Die Internationale Energieagentur rechnet damit, dass der Gasmarkt sich in den nächsten fünf Jahren revolutioniert, weil die US-Produktion dramatisch ansteige. Der Marktanteil der USA für verflüssigtes Erdgas könne sich demnach auf 40 Prozent verdoppeln. Damit das US-Gas Europas Ballungszentren erreichen kann, müssen an den Seehäfen LNG-Terminals gebaut werden. Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und die Niederlande haben dies bereits getan. Deutschland noch nicht. Im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel könnte ein LNG-Terminal gebaut werden, die Bundesregierung unterstützt das Projekt. Das Düsseldorfer Unternehmen Uniper hofft auf ein Terminal in Wilhelmshaven, um selbst mehr Flüssiggas beziehen zu können. Die USA haben bereits mit Polen und Litauen Verträge geschlossen. Sie fordern alle Länder Europas auf, ihren Energiemix zu diversifizieren, sprich mehr Gas aus den USA zu bestellen. Die Bundesregierung ist bereit, dies zu tun, will sich aber trotzdem mit dem Gas aus der Ostsee-Pipeline breiter aufstellen.

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