Walter-Borjans im Interview „Ich habe ein Plus hinterlassen, als ich aufhörte“

Düsseldorf · Der ehemalige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat ein Buch über Steuern veröffentlicht. Im Interview spricht der SPD-Politiker über Whistleblower, Steuersünder und seine Haushaltspläne.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, ein Buch zu einem besonders unbeliebten Thema wie Steuern zu schreiben?

Walter-Borjans Schon während meiner Amtszeit hat mich besonders geärgert, dass die Diskussion um Steuern so fehlgeleitet ist. Denn Steuern gehen uns alle an. Die Debatte über das Thema wird jedoch zumeist von interessierten Kreisen wie Lobbyisten gesteuert. Diese setzen Botschaften in die Welt, die nicht zutreffen – beispielsweise, dass eine höhere Besteuerung von Reichen schlecht für die Wirtschaft sei. Was mich wirklich richtig ärgert, ist, dass Verbände und Lobbyisten für Millionäre die Interessen ihrer Minderheit so darstellen, als seien sie gut für das Allgemeinwohl.

Welche Argumente meinen Sie konkret?

Walter-Borjans Es wird mit simplen Botschaften gearbeitet, die zum Beispiel besagen, dass nach der Steuererhöhung auch bald Omas Sparbuch dran ist. Mit meinem Buch möchte ich dieser Angstmacherei etwas entgegensetzen.

Sie wurden vom heutigen CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann als „Robin Hood der Steuerzahler“ betitelt. Es ging damals um den Einkauf von sogenannten Steuer-CDs. Muss man manchmal auch krumme Wege gehen, um die Schuldigen zu ermitteln?

Walter-Borjans Ja, man muss zumindest bereit sein dagegen zu halten. Man darf sich nicht zu schnell zurückziehen und muss der organisierten Kriminalität mutig begegnen. Dafür bedarf es einer klugen Steuerfahndung. Vergleichsweise müssen Drogenfahnder auch mal ein Päckchen Kokain kaufen, um einen Drogenring zu sprengen. Natürlich ist es ein schwieriges Feld und es ist gut, dass Gerichte über die Rechtmäßigkeit entscheiden. In meinem Fall wurde der Einkauf der Steuer-CDs als vertretbar bewertet, somit war es der richtige Weg.

Sie sind auch für ein Whistleblower-Gesetz?

Walter-Borjans Die Aufdeckung der 55 Milliarden hohen Cum-Ex Geschäfte wären ohne undichte Stellen in dieser gut geölten Maschinerie nie möglich geworden. Die Gier, immer mehr Geld zu wollen, lässt sich nur damit aufhalten, wenn man mit Whistleblowern kooperiert. Natürlich muss genau abgewogen werden, welche Beweggründe die Person hat. Manche wollen das Geld nicht einmal selbst haben und verlangen es als Spende für einen gemeinnützigen Verein.

Wie wollen Sie die guten von den schlechten Whistleblowern unterscheiden?

Walter-Borjans Wir benötigen ein Schutzgesetz für Whistleblower, das eine Grenzziehung besitzt. Jemand, der nur Betriebsgeheimnisse verrät, handelt kriminell. Aber grundsätzlich halte ich einen derartigen Verrat für legitim, den Whistleblower begehen, die wirklich etwas zur Aufdeckung von Steuerbetrug beitragen.

Sie waren zwar ein Meister bei der Einnahme von Steuern. Aber warum gelang Ihnen Gleiches bei der Ausgabenbegrenzung nicht?

Walter-Borjans Zuerst einmal lege ich Wert darauf, dass ich ein Plus hinterlassen habe, als ich als Finanzminister in NRW aufhörte. Und das, obwohl ich mit einem Haushaltsplan angefangen habe, der sechseinhalb Milliarden neue Schulden vorsah. Ich wusste aber immer, wenn ich jetzt ruckartig die Ausgaben gesenkt hätte, beispielsweise in der Bildung, hätte es nicht funktioniert.

Warum wird dennoch so wenig über Steuern in der Politik diskutiert?

Walter-Borjans Nicht nur Bürger haben zu 95 Prozent ein gespaltenes Verhältnis zu Steuern, sondern auch Politiker. Der große Teil ist eher Ausgabenpolitiker und folgt einer Mission wie: Bildung verbessern, Straßen ausbauen, Innere Sicherheit erhöhen. Wer wird schon Politiker, weil er sagt ‚Ich möchte den Haushalt in Ordnung bringen‘? Der muss ja schon ein bisschen schräg sein.

Also bräuchte man nur mehr „schräge“ Finanzpolitiker, und das Problem wäre gelöst?

Walter-Borjans Natürlich nicht. Das größte Problem ist, dass das Thema Steuern viel zu lange keine öffentliche Empörung erfahren hat. Diese ist aber die Voraussetzung dafür, dass Politiker um ihre Wiederwahl fürchten müssen. Beispiel Plastikmüll: Erst als die Öffentlichkeit Bilder davon gesehen hat und das Ganze fühlbar wurde, kam das Plastikmüll als Thema raus aus der Behörde. Allerdings sind die Bilder von Opfern eines Steuerbetrugs wesentlich unspektakulärer als die Bilder einer voranschreitenden Umweltkatastrophe. Es ist ganz einfach: Je weniger das öffentliche Interesse auf Steuern gelegt wird, umso größer ist der Einfluss von Lobbyisten. Und die reden einem natürlich ein: ‚Wenn ihr die Steuern erhöht, verliert ihr die Wahl‘.

In Ihrem Buch schlussfolgern Sie, dass eine höhere Besteuerung von Reichen einiges lösen könnte. Warum kommt die Bundesregierung nicht auf diesen Gedanken?

Walter-Borjans In Bezug auf die Umsatzsteuer müsste es zunächst eine europäische Reglung geben. Ich glaube aber auch, dass Deutschland sich nicht nur hinter anderen verstecken sollte. Wir müssen für mehr Transparenz sorgen: Wer macht bei Steuergesetzen mit? Wer hat Einfluss und wie verteilen sich die Einnahmen von weltweit arbeitenden Unternehmen? Nur durch Öffentlichkeit entsteht Druck. Ansonsten geht das Thema in den Sälen der Finanzministerien unter.

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