Ehemaliger Bundesumweltminister Norbert Röttgen auf dem Weg zurück in die erste Reihe
Berlin · Nach seinem Absturz vor sechs Jahren arbeitet der rheinische CDU-Politiker Norbert Röttgen an seiner Rückkehr in die erste Reihe der Politik. Bei Kollegen gilt er wieder als ministrabel.
Hilton, Gendarmenmarkt, Investorenkonferenz. Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz über Milliarden entscheiden, wollen hinter verschlossenen Türen wissen, wie sich die Politik wirklich entwickelt: „Germany and Europe in Times of Global Disorder“ heißt die zentrale Rede des Tages. Natürlich läuft alles auf Englisch. Eine der leichteren Übungen für Norbert Röttgen, Deutschland und Europa in Zeiten globaler Unordnung zu analysieren. Er wirkt auf die Zuhörer dabei brillant, weltläufig, beinahe visionär.
Gleich am Anfang ein paar Sätze, die das Publikum einfangen. „Ohne Digitalisierung und Migration hätten wir weder Brexit noch Trump“, lautet einer davon. Andere sind strikt „off the record“, also nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Das sichert ihm eine Stunde ungeteilte Aufmerksamkeit, viele Nachfragen und langen Applaus. Der Weg zurück zum Wagen zieht sich. Er wird im Saal angesprochen, auf dem Flur, auf der Treppe, im Foyer, vor dem Hotel. So wie das ist, wenn Leute wichtig sind.
Seit Röttgen mit 29 in den Bundestag einzog, war er immer wichtiger geworden. Er gehörte seit 1994 zu den „Jungen Wilden“, die gegen Kohl ein moderneres Staatsangehörigkeitsrecht wollten, tastete in der „Pizza Connection“ schwarz-grüne Machtoptionen aus, bekam das Karrieresprungbrett „Erster Parlamentarischer Geschäftsführer“, wurde 2009 Umweltminister, gewann 2010 den NRW-CDU-Mitgliederentscheid gegen Armin Laschet um den Landesvorsitz, erhielt kurz darauf das beste Ergebnis als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender, wurde 2012 Spitzenkandidat bei der vorgezogenen Landtagswahl. Bald würde er Ministerpräsident sein können. „Muttis Klügster“. Dann Merkels Kronprinz?
Doch er machte einen Fehler nach dem anderen. Einer der dämlichsten war es, die NRW-Wahl zur Abstimmung über Merkels Europapolitik zu machen. Er zog die Idee sofort zurück. Zu spät. Und er ließ die Menschen im Unklaren, ob er bedingungslos auch als Oppositionsführer nach NRW wechseln oder doch lieber Bundesumweltminister bleiben wolle. Am Ende verlor er alles krachend: die Wahl, die Option in Düsseldorf, und aus dem Kabinett warf ihn die Kanzlerin auch achtkantig raus. Ein hoffnungsvolles Politikerleben am Ende?
Wer die Regale in seinem Bundestagsbüro betrachtet, bekommt eine Vorstellung davon, warum es nicht das Ende war. Da steht ein Kalender mit Familien-Schnappschüssen, daneben eine Fotokollage mit Familien-Szenen. „Familie“, sagt er denn auch auf die Frage nach seiner liebsten Freizeitbeschäftigung. Röttgen wirkt geerdet, während er auf die Fotos von Frau und Kindern schaut, fällt ihm auf: „Ich glaube nicht, dass in der Politik etwas passieren kann, was mich als Mensch aus der Bahn wirft.“ Stattdessen warten so viele neue Dinge. Da liegt etwa ein Stein aus dem zerstörten syrischen Aleppo. In der Reihe unter dem Portrait seiner Frau ein dicker Wälzer: „Deutschlands neue Verantwortung.“
Röttgens neue Verantwortung lässt sich architektonisch ermessen. Als Chef des Auswärtigen Ausschusses ist ein ganzer Bürotrakt hinter dem Ausschusssitzungssaal im Paul-Löbe-Haus sein Reich. Mit Mitarbeitern, Sekretariaten, Referenten und vielen internationalen Terminen. Zwischen einer britischen Strategietagung und einem spanischen Europa-Kolloquium war gerade der italienische Botschafter zu Besuch in seinem Büro. Drei fast leere Wasserflaschen stehen noch auf dem Tisch. Bevor sie abgetragen werden, kippt sich Röttgen die Reste in sein Glas. Man schüttet doch keine Lebensmittel weg. Da bleibt sich auch der frühere Umweltminister treu.
Diese kleine Geste sagt viel über die neue Karriere des 53-Jährigen, der seinen Wahlkreis an Rhein und Sieg rund um Bonn stets direkt gewann. Da ist kein verbissen kämpfender Egoman auf dem zweiten Weg nach oben. Da nutzt ein in sich ruhendes political animal, ein durch und durch politisch denkender Mensch, sein Talent. Das ist beim Sturz ganz offensichtlich nicht kaputt gegangen. So bringt er wie auf Knopfdruck aktuelle Vorgänge auf den Punkt. Das Gipfeltreffen Trump-Putin sei „mehr positiv als negativ gewesen“, lasse als Ergebnis „mehr erwarten als befürchten“. Freilich müsse Deutschland klar sein: „Weder Trump noch Putin sind Freunde der EU.“ Er rät nicht zur Eskalation nach jeder neuen Volte des US-Präsidenten. „Wir brauchen für seine Amtszeit eine Politik der Schadensbegrenzung“, erklärt Röttgen. Und vor allem: „Europäische Stärke ist die einzige realistische Antwort auf Trump.“
Seine nächsten Ziele? „Ach“, winkt er ab. „Mit Zielen ist das so eine Sache in der Politik.“ Er konzentriere sich lieber darauf, von seiner Stelle aus als „Stimme der Vernunft“ im Inland wie im Ausland wahrgenommen zu werden. Die Gelegenheiten sind zahlreich. Vom ZDF-Morgenmagazin bis zu den ARD-Tagesthemen. Besonders, weil da einer erkennbar unabhängig von der außenpolitisch dominierenden Kanzlerin unterwegs ist, der sich andererseits genauso erkennbar nicht an ihr abarbeiten muss. „Wir sprechen viel miteinander“, sagt Röttgen über das aktuelle Verhältnis zu der Frau, die ihn aus der Regierung schmiss. Auch „darüber“? Seine Antwort: „Auch wenn Sie es nicht glauben: Nie.“
Was bedeutet das damalige Fiasko heute für ihn? „Es ist ein Teil meines politischen Lebens.“ Pause. Nachdenken. Ergänzung: „Ein angenommener Teil.“ Weiteres Nachdenken. Dann: „Niederlagen gehören zur Entwicklung und zur Reife eines Menschen.“ Vom Abstrakten zum Konkreten: „Es hat mich stärker gemacht.“ Aber er will das alles auch nicht überhöhen: „Es gibt viele, viele Menschen, die viel Schlimmeres erleben mussten.“ Wie für sie galt seinerzeit für ihn: „Würde wahren und wieder aufstehen.“ Und: „In einer solchen Situation erweisen sich Freundschaften.“
Ruprecht Polenz, der damalige Chef des Auswärtigen Ausschusses, habe ihn angesprochen: „Komm doch zu uns.“ Aber in dem Gremium war seinerzeit kein Platz frei. Das habe seine NRW-CDU-Kollegin (und jetzige Gesundheits-Staatssekretärin) Sabine Weiß gehört und angeboten: „Du kannst meinen haben.“ So rückte Röttgen nach, fand sich schnell zurecht in der internationalen Politik, hatte er doch gerade noch internationale Umweltkonferenzen vorbereitet. Als Polenz ausschied, wurde Röttgen 2014 sein Nachfolger. Sicher nicht gegen den Willen der Kanzlerin, die im Zweifel bei den Spitzenposten für die Union im Bundestag mitredet. Aber auch der damalige Landesgruppenchef Peter Hintze setzte sich für ihn ein. So beweisen sich politische Freundschaften. Kein Wunder, dass Röttgen weiter an seiner Basis ackert. Lebhaft beteilige er sich auch an internen NRW-Debatten, heißt es aus der Landesgruppe.
Wie sehr die Fraktion mit Röttgen im Reinen ist, zeigte sich inmitten der komplizierten Verhältnisse im neuen Sieben-Parteien-Parlament nach den letztjährigen Wahlen. Die Union hatte bei den Ausschussvorsitzen das erste Zugriffsrecht und entschied sich an Nummer eins für den Auswärtigen Ausschuss und für Röttgen. Anerkennung kommt aus allen Fraktionen. Der sei ein Kandidat für die erste Reihe nach Merkel, heißt es sogar aus der Opposition. Und: „Minister ist für ihn allemal wieder drin.“