Norbert Lammert über Angriffe aus der Türkei "Zum Teil hasserfüllte Drohungen und Schmähungen"

Berlin · Nach der Völkermord-Resolution des Bundestags verschärft sich der Ton zwischen Deutschland und der Türkei. Bundestagspräsident Norbert Lammert wies jetzt die Angriffe Recep Tayyip Erdogans auf türkischstämmige Abgeordnete scharf zurück.

Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Foto: dpa, nie htf

"Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten", sagte Lammert am Donnerstag im Bundestag. "Die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlamentes als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück."

Bundeskanzlerin Angela Merkel applaudiert während der Rede des Bundestagspräsidenten Lammert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel applaudiert während der Rede des Bundestagspräsidenten Lammert.

Foto: ap, MS

Nach der Verurteilung der Massaker an den Armeniern vor rund 100 Jahren als Völkermord im Bundestag hatte Erdogan türkischstämmige Abgeordnete wegen ihres Abstimmungsverhaltens als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen PKK bezeichnet. Er verlangte auch, sie sollten ihr Blut im Labor testen lassen. Im Internet wurden die türkischstämmigen Parlamentarier massiv bedroht.

"Die zum Teil hasserfüllten Drohungen und Schmähungen sind leider auch durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker befördert worden", beklagte Lammert mit Blick auf die Äußerungen Erdogans. Während der Rede applaudierte Kanzerlin Angela Merkel (CDU) deutlich sichtbar.

Die Armenier-Resolution, die vor einer Woche fast einstimmig verabschiedet worden war, hatte heftige Reaktionen in der Türkei ausgelöst. Bei den Massakern im Osmanischen Reich waren im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen.

"Wir stellen uns jeder Kritik und wir ertragen auch persönliche Angriffe und Polemik", sagte der Bundestagspräsident. "Doch jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an." Lammert kündigte an: "Wir werden darauf entsprechend reagieren mit allen Möglichkeiten, die uns im Rahmen der Gesetze zur Verfügung stehen." Allen Abgeordneten, die im Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit bedroht oder unter Druck gesetzt würden, gelte die Solidarität des gesamten Parlaments.

Lammert sagte, die Türkische Gemeinde Deutschlands und der Türkische Bund Berlin-Brandenburg hätten die Schmähungen gegen Abgeordnete zurecht als abscheulich und inakzeptabel kritisiert. "Ich würde mir wünschen, dass auch andere der zum Teil sehr großen türkischen Organisationen in Deutschland ebenso Partei für die Abgeordneten und unsere Demokratie ergreifen - mit ähnlich klaren und eindeutigen Stellungnahmen, wie sie bei anderen Gelegenheiten häufig sehr schnell und sehr lautstark abgegeben werden."

Ursprünglich hatte die Linksfraktion wegen der Attacken Erdogans für Donnerstag eine Aktuelle Stunde im Parlament beantragt. Angesichts der klaren Worte Lammerts zog die Fraktion den Antrag kurzfristig zurück. Die Debatte wurde abgesetzt.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoglu hat Lammert im Umgang mit der Türkei zur Mäßigung aufgerufen. "Was Erdogan über deutsch-türkische Abgeordnete sagt - Stichwort Bluttest und verlängerter Arm der PKK - ist nicht zu akzeptieren. Ich erwarte von Bundestagspräsident Lammert aber mehr versöhnliche Töne und Gesprächsbereitschaft, um auch die Seite anzuhören, die die Armenienresolution ablehnt", sagte Sofuoglu unserer Redaktion.

"Wir werden Herrn Lammert und die Fraktionsvorsitzenden anschreiben und um ein Gespräch bitten. Durch den in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit wird die Stimmung unnötig zusätzlich angeheizt."

Türkische Abgeordnete verklagen deutsche Abgeordnete

Unterdessen hat eine Gruppe türkischer Abgeordneter die elf türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten, die für die Armenien-Resolution gestimmt hatten, wegen "Beleidigung des Türkentums und des türkischen Staates" angezeigt. Das meldet die Zeitung "Hürriyet" am Donnerstag. Demnach fordern die türkischen Abgeordneten, die sich selbst Kampfverband für Gerechtigkeit nennen, Ermittlungen der türkischen Staatsanwaltschaft gegen die deutschen Abgeordneten. Ob ein Verfahren eröffnet wird, ist nicht klar. Eine Beleidigung des türkischen Staates kann mit Gefängnis bestraft werden.

(felt/qua/dpa/AFP)
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