Susanne Johna vom Marburger Bund „Noch sind wir nicht aus dem Gröbsten raus“

Berlin · Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, zieht eine Woche nach Inkrafttreten der bundesweiten Corona-Notbremse eine erste Bilanz. Sie warnt davor, sich trotz sinkender Infektionszahlen zu früh in Sicherheit zu wägen, und fordert noch mehr Tempo beim Impfen.

 Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Dr. Susanne Johna, fordert eine weiterhin hohe Taktung beim Impfen, auch an den Wochenenden.

Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Dr. Susanne Johna, fordert eine weiterhin hohe Taktung beim Impfen, auch an den Wochenenden.

Foto: LÄK Hessen

Trotz der derzeitigen Entspannung der Infektionslage sieht die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund die dritte Corona-Welle noch nicht überwunden. Im Interview mit unserer Redaktion fordert ein konstant hohes Tempo beim Impfen - auch an den Wochenenden, mehr Fokus auf soziale Brennpunktviertel und bessere Informationen über das Impfen für Nichtmuttersprachler.

Frau Johna, seit einer Woche ist die bundesweite Notbremse nun in Kraft. Wie bewerten Sie die gesetzliche Neuregelung?

Johna Aus meiner Sicht war es richtig, einheitliche Regelungen vorzugeben. Den meisten Menschen fällt es leichter, Maßnahmen zu akzeptieren, die überall gleichermaßen gelten. Die jetzt sinkenden Infektionszahlen sind aber nicht nur auf das Inkrafttreten der Bundes-Notbremse zurückzuführen. Einige Bundesländer haben ja schon vorher präventiv gehandelt und damit das Infektionsgeschehen eingedämmt. Ich glaube auch, dass viele Menschen in Anbetracht einer stark steigenden Inzidenz oder in Erwartung schärferer Maßnahmen bereits während der Ostertage und danach ihre Kontakte reduziert haben.

Hat das eigenverantwortliche Handeln der Bürger also einen stärkeren Effekt als politische Maßnahmen?

Johna Wir kennen diesen Vorlaufeffekt schon aus der ersten Welle im vergangenen Jahr. Die über Medien vermittelten dringende Appelle aus Politik und Medizin beeinflussen zweifellos das Verhalten weiter Bevölkerungskreise. Die Notbremse hat diesen Effekt verstärkt.

Trägt die Bundes-Notbremse auch merklich zur Entspannung der Infektionslage bei?

Johna Wir sehen jetzt Anzeichen einer Entspannung der Infektionslage, die sich allerdings in den Krankenhäusern erst mit einer Verspätung von zwei bis drei Wochen auswirken wird. Der Anstieg ist vorerst gebremst, die Fallzahlen gehen zurück. Das ist eine sehr gute Nachricht für uns alle. Noch sind wir aber nicht aus dem Gröbsten raus. Nur wenn es gelingt, das Impftempo konstant sehr hoch zu halten, können wir auf Entspannung im Sommer hoffen.

Also müssen wir uns noch immer einige Monate in Geduld üben?

Johna In einer Übergangsphase gibt es immer mehr Menschen, die sich aufgrund der Erstimpfung vor Ansteckung sicher wähnen und gleichzeitig noch einen großen Anteil der Bevölkerung, der diesen Impfschutz nicht hat. Die Wahrscheinlichkeit neuer Mutationen oder steigender Übertragungen durch mangelndes Einhalten der AHA-Regeln sinkt erst, wenn wir eine hohe Immunisierung der Bevölkerung erreicht haben.

Was erwarten Sie für die kommende Zeit von Bund und Ländern?

Johna Deshalb muss bei steigenden Impfstoffmengen alles unternommen werden, diese auch rasch unters Volk zu bringen. Wir dürfen uns jetzt keine impfschwachen Tage leisten und müssen auch an den Wochenenden die hohe Taktung unbedingt beibehalten. Sobald die Priorisierung aufgehoben ist, kommt es ganz entscheidend darauf an, die Betriebsärzte einzubinden. In den Betrieben kann sehr schnell eine hohe Anzahl von Menschen durchgeimpft werden, wenn ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht.

In sozialen Brennpunktvierteln sind die Infektionszahlen häufig höher als in wohlhabenden Stadtteilen. Sollte das beim Impfen stärker berücksichtigt werden?

Johna Ich unterstützte ausdrücklich die Forderung der Bundesfamilienministerin, verstärkt mobile Impfteams dort einzusetzen, wo sozial benachteiligte Menschen meist in beengten Wohnverhältnissen leben. Gerade weil wir feststellen, dass Menschen in solchen Stadtteilen besonders stark von Infektionen betroffen sind, müssen die Kommunen in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten hier einen Schwerpunkt der Impfkampagne setzen.

Sie klingen sehr zufrieden mit der derzeitigen Impfstrategie der Bundesregierung. Können Sie den Eindruck bestätigen?

Johna Wir müssen auch diejenigen erreichen, die weder in ein Impfzentrum noch in eine Arztpraxis kommen. Das setzt aber auch voraus, die „Ärmel hoch“-Kampagne endlich stärker zielgruppenorientiert auszugestalten. Mit ein paar mehrsprachigen Informationen auf einer Internetseite ist es nicht getan, um diejenigen anzusprechen, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind. Die bisherigen Informationsangebote für Nichtmuttersprachler, vor allem auch deren Präsenz im öffentlichen Raum, sind völlig unzureichend. Hier hat der Bund seine Hausaufgaben noch nicht erledigt. Die Kampagne muss zudem sehr viel mehr soziale Medien nutzen, um die ganze Breite der Bevölkerung, auch die jüngeren, zu erreichen.

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