Forscher Niko Paech „Es gibt kein Menschenrecht auf Urlaub mit dem Flugzeug“

Düsseldorf · Der Klimawandel bringt Hitze, Dürren, Stürme oder Starkregen. Wie passen zu dieser Krise immer mehr Flugreisen und SUVs? Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech findet deutliche Worte – und sieht fatale Lebenslügen.

 Niko Paech ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Universität Siegen.

Niko Paech ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Universität Siegen.

Foto: dpa/Privat

Vor der Weltklimakonferenz bescheinigt Paech vielen Bürgern, sich über die fatalen umweltschädlichen Folgen ihres Lebensstils selbst zu täuschen. Inmitten der Klagerufe über die Klimakrise wachse ausgerechnet die Nachfrage nach dekadentem Luxus am stärksten, der einen immensen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase mit sich bringe, sagte der Ökonom von der Universität Siegen der Deutschen Presse-Agentur.

„Das sind Kreuzfahrten, das sind SUVs, das ist der Luftverkehr, die Digitalelektronik und die Nachfrage nach noch mehr Wohnraum.“ Dies sei reiner Komfort, der sich nicht als Befriedigung essenzieller Grundbedürfnisse rechtfertigen lasse. „Hier offenbart sich die Lebenslüge einer Gesellschaft, deren Mehrheit meint, sie sei klimakompetent, aber lebt wie ökologische Vandalen.“

Die UN-Klimakonferenz, die Montag in Madrid beginnt, berät darüber, wie sich die Erderhitzung auf ein erträgliches Maß begrenzen lässt, ohne dass Ökosysteme in wenigen Jahrzehnten kollabieren.

Sommer 2018 in NRW - zwischen Hitze, Dürre, Bränden und Unwetter
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Sommer 2018 in NRW - zwischen Hitze und Unwettern

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Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Paech sagte, nötig sei ein radikales Umsteuern, um den Ausstoß von Treibhausgasen schnell drastisch zu senken. Seit Jahrzehnten werde versucht, das Wirtschaftswachstum von Umweltschäden aller Art zu entkoppeln. „Und wir haben nichts, aber auch gar nichts erreicht.“ Es zähle zu den fatalsten Selbsttäuschungen zu meinen, wir könnten unser Wohlstandsniveau erhalten und gleichzeitig das Nötige tun, um angesichts der drohenden Klimakatastrophe und des massenhaften Artensterbens überlebensfähig zu werden.

Unabdingbar sei daher nun nicht nur eine Wirtschaft ohne Wachstum, sondern ein Rückbauprogramm. Das sei aber kein Marsch in die Askese oder ins Mittelalter, sondern könne verstanden werden als eine Befreiung vom Überfluss, sagte der Wissenschaftler. „Vordringlich ist der Rückbau einer Mobilität, die mit dekadentem Luxus korrespondiert und dabei Massen an Öl verbraucht. Es gibt kein Menschenrecht darauf, eine Kreuzfahrt zu buchen. Es gibt kein Menschenrecht darauf, Urlaub mit dem Flugzeug zu machen.“ Es existierten aber unendlich viele Möglichkeiten, hier in Europa Urlaub ohne Kerosin zu verbringen.

Weiter sagte Paech, notwendig sei eine „Entrümpelung unserer Lebensstile“ und der Aufbau einer Ökonomie, in der die Reparatur und Instandhaltung wieder ein wichtiger Faktor wird. Produkte müssten länger genutzt werden. Damit würde auch der infolge des Onlinehandels enorm gestiegene Güterverkehr eingedämmt, sagte er. Auch die industrielle Landwirtschaft muss nach Paechs Vorstellungen umgebaut werden. „Kleinere, solidarisch bewirtschaftete Ökohöfe könnten für ihre Region produzieren. Damit entfiele gigantisch viel Aufwand an Verpackung, Transporten, Kühlketten - und zugleich käme es der Artenvielfalt, dem Grundwasser und der Bodenqualität zugute.“ Dazu sollten auch Gärten und Mittäcker aktiviert werden, um eine Selbstversorgung im kleinen Maßstab zu ermöglichen.

Weiter nötig ist nach den Vorstellungen des Klimaökonomen ein Baumoratorium. „Jeder weitere Quadratmeter Wohnfläche, den wir erschaffen, ist eine ökologische Katastrophe.“

Extrem viel Strom werde im globalen Maßstab auch durch das Internet verbraucht, sagte er der dpa. „Ein radikaler, aber ernst gemeinter Vorschlag wäre, das Internet jeden zweiten Tag auszuschalten - damit kann auf freiwilliger Basis schon jetzt begonnen werden.“

Auf wirksame politische Regulierungen darf man nach seiner Ansicht zurzeit nicht setzen. „Eine demokratisch gewählte Regierung kann vieles tun, aber eines nicht: sich über die Lebensstile einer Bevölkerungsmehrheit hinwegzusetzen und Wohlstand zurückzubauen“, sagte der Ökonom. Wählerakzeptanz für reduktive Maßnahmen sei aber denkbar, wenn dezentral in Nischen der Gesellschaft Experimentierfelder, Reallabore, Netzwerke der Selbsthilfe und Widerstandsnester gegen den Mobilitäts-, Konsum- und Digitalisierungswahn entstünden. „Dies wäre ein Aufstand der Handelnden. Diese Pioniere könnten zugleich jene, die ohne gute Gründe ökologisch verantwortungslos handeln, durch vorgelebte Gegenentwürfe delegitimieren und zur Rede stellen - in der Nachbarschaft, Schule, im Job, in der Kneipe.“

(csi/dpa)
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