Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil „Die Auto-Firmen brauchen Zeit für den Wandel“

Interview | Hannover · Niedersachsens Ministerpräsident wirbt für Kaufanreize für Diesel-Autos. Die Folgen für die Branche wären sonst aus seiner Sicht verheerend – und damit Tausende Jobs in Gefahr.

 Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil steigt im Oktober 2019 bei einem Treffen der Länderchefs aus seiner Dienstlimousine, einem Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil steigt im Oktober 2019 bei einem Treffen der Länderchefs aus seiner Dienstlimousine, einem Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern.

Foto: imago images/Sven Simon/imago images

Der Ton wird schärfer vor dem Autogipfel am Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am Wochenende wetterte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die SPD habe ihr Herz für das Auto verloren. Im Gespräch mit Niedersachsens Ministerpräsident, dem SPD-Politiker Stephan Weil, ist davon indes nichts zu spüren.

Die Corona-Krise hat die Autoindustrie schwer getroffen. Sie haben angekündigt, über weitere Prämien als Anreiz reden zu wollen. Was schwebt Ihnen konkret vor?

Weil Darüber reden wir gerade. Der Automobilsektor befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise, weil die Nachfrage immer noch sehr niedrig ist. Vor allem die Zulieferer benötigen Unterstützung. Mehr als 80 Prozent der Arbeitsplätze entfallen auf den Bereich der Verbrennungsmotoren. Die können wir nicht außen vor lassen.

Ihre Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben sich im Koalitionsausschuss vehement dafür eingesetzt, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor von den neuen Prämien ausgeschlossen werden.

Weil Ich habe da eine völlig andere Meinung, weil ich die Schicksale der Menschen in diesen Betrieben nun mal sehr direkt mitbekomme. Alle wollen die Elektromobilität. Aber der Weg dorthin ist ein Prozess, ob es uns gefällt oder nicht. Ich habe manchmal den Eindruck, in Berlin will man das im Hauruckverfahren erreichen. Das ist aber unrealistisch, weil es derzeit etwa gar nicht genug Batteriezellen gibt. Und viele Unternehmen würden bei zu viel Tempo zugrunde gehen, während sie eine Transformation mit Augenmaß schaffen können.

Machen wir es mal konkret: Halten Sie ein neues Dieselauto mit Abgasnorm Euro 6d-Temp für so sauber, dass Sie dafür eine Kaufprämie fordern?

Weil Absolut. Wenn wir es mit Anreizen schaffen würden, dass ein Dieselfahrer seinen alten Euro-4-Wagen abgibt und mit der Prämie einen Euro-6d-temp-Diesel der neuesten Generation kauft, hätten wir einen sehr großen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Ich bin durchaus dafür, die Unterstützung auf Fahrzeuge auszuweiten, die nach den neuesten Testverfahren sehr sauber sind und nicht selten einen besseren ökologischen Fußabdruck haben als ein Elektroauto.

Kritiker auch aus der SPD sagen dann, Sie würden damit eine aussterbende Technologie fördern. Gäbe man den Beschäftigten der Verbrenner-Werke nicht einfach nur eine Pille für den Übergang?

Weil Jeder weiß, dass es nach der Transformation weniger Arbeitsplätze in der Autoindustrie geben wird als jetzt. Natürlich müssen wir weg vom Verbrennungsmotor. Aber nochmal: Die Firmen brauchen Zeit für den Wandel und haben danach eine echte Zukunftschance. Bei diesem Übergang müssen wir ihnen helfen. Das geht nicht ohne Nachfrage.

Sind Sie eigentlich neidisch, dass Elon Musk mit Tesla nach Brandenburg gegangen ist und die dortige Versorgung mit Ökostrom lobt, obwohl Sie in Niedersachsen mehr Windkraft haben?

Weil Für meinen Amtskollegen Dietmar Woidke (ebenfalls SPD, Anmerkung der Redaktion) empfinde ich in der Sache so etwas wie sportliche Anerkennung. Wir hätten das Tesla-Werk natürlich auch gerne in Niedersachsen gebaut. Aber die ostdeutschen Länder können durch bestimmte Förderregeln nach wie vor bessere Angebote an Investoren machen als die westdeutschen Länder. Das muss ich zur Kenntnis nehmen...

... und weiter für ein Werk in Niedersachsen werben?

Weil Ja, denn gerade an der Nordseeküste gibt es exzellente Standortbedingungen. Dort gibt es besonders viel Wind als Grundlage für erneuerbare Energien. Und genau das braucht die Batterieindustrie, die jetzt im Aufbau ist, aber auch die Wasserstoffwirtschaft. Ich sehe da noch viel Potential für neue Wertschöpfung. Ich will, dass Niedersachsen mittelfristig zum Klimaschutzland Nummer eins wird.

Der Windausbau ist zuletzt fast zum Erliegen gekommen. Was muss die Bundesregierung tun, um die Energiewende voranzutreiben?

Weil Vor allem müssen die Strompreise fallen. Alle Kosten für die Energiewende werden auf den Strom abgewälzt. Das muss breiter gefächert werden. Die EEG-Umlage (durch die der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert wird, Anmerkung der Redaktion) gehört am besten ganz abgeschafft.

Machen Sie sich Sorgen, dass das Endlager für Atommüll doch noch bei Ihnen in Niedersachsen landen könnte?

Weil Es gibt den Grundsatz der weißen Landkarte, auf der nach dem objektiv besten Standort für ein Atomendlager gesucht wird. Den Grundsatz erkenne ich an, sofern alle Bundesländer mitmachen. Es ist nun einmal das Erbe der Atomwirtschaft für uns alle.

Bayerns Ministerpräsident Söder sieht das anders. Er schließt ein solches Endlager in seinem Land aus.

Weil Bayern ist das Land, das in der Vergangenheit am meisten von der Atomenergie profitiert hat. Dass Herr Söder jetzt behauptet, man habe mit dem Müll nichts zu tun und Bayern von der ergebnisoffenen Suche ausschließen will, ist völlig inakzeptabel.

Olaf Scholz betont als SPD-Kanzlerkandidat die Bedeutung von Klimaschutz. Wie wollen Sie das mit Ihrer Industriepolitik vereinen?

Weil Klimaschutz braucht gesellschaftliche Anerkennung. Und die gibt es nur, wenn die Menschen Arbeit haben. Die SPD hat die historische Aufgabe, Klimaschutz und Industriepolitik zusammen zu binden. Da helfe ich gerne mit.

Also sollten Sozialdemokraten nicht bei den Grünen und Linken fischen?

Weil Eine SPD, die grüner sein will als die Grünen und linker sein will als die Linken, wird nicht gebraucht. Die SPD gehört in die gesellschaftliche Mitte und sollte sich zum Beispiel um die Merkel-Wähler kümmern, die künftig heimatlos sind.

Und die große Koalition darf im Bund keine Option mehr für die SPD sein?

Weil Noch eine solche Koalition kann nun wirklich nicht das Ziel sein.

Mehrere Gruppen haben zu Corona-Protesten am 12. September in Hannover aufgerufen. Fürchten Sie ähnliche Bilder wie in Berlin?

Weil Das will ich nicht hoffen und das glaube ich auch nicht. Hannover liegt ja nicht so im Brennpunkt der Aufmerksamkeit wie Berlin. Und rechte Gruppen haben in Niedersachsen nie so stark Fuß fassen können wie anderswo. Insofern bin ich zuversichtlich. Wir bleiben aber gewahr und ziehen unsere Lehren aus dem, was in Berlin passiert ist.

Wie sehen diese Lehren aus?

Weil Wir werden die Demonstration mit einem deutlichen Polizeiaufgebot begleiten. Und es ist gut denkbar, dass die Maskenpflicht bei der Demonstration eine Auflage sein wird, wie sie Berlin jetzt für alle künftigen Protestzüge vorgeschrieben hat.

Wie erklären Sie sich den Hass und die Wut der Menschen, die sich in Berlin Bahn gebrochen haben?

Weil Die Menschen, die bei diesen Protesten mitlaufen, lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Da sind einige bei, die offenbar ernste Probleme damit haben, mit der Realität klarzukommen. Dann gibt es die Rechtsextremisten, Reichsbürger und sonstigen Fanatiker, die die Proteste instrumentalisieren. Diese Gruppen waren schon vorher voller Ablehnung und Hass und sie äußern das jetzt auch im Zusammenhang mit Corona. Und dann sind da noch ziemlich viele, die Kritik an den Corona-Maßnahmen üben und aus Sorge dann aber auch bei solchen Aufmärschen mit vielen Rechtsradikalen mitmachen. Um die müssen wir uns kümmern und unsere Politik besser erklären.

Finden Sie denn, dass man da mitmachen darf, wenn man sachliche Kritik hat?

Weil Jeder, der bei Corona-Protesten mit Reichsflaggen und Rechtsradikalen mitläuft, macht sich mit ihnen gemein. Wie man sich bettet, so liegt man. Ich habe früher auch an etlichen Demonstrationen wegen ganz unterschiedlicher Anliegen teilgenommen und bin gegangen, wenn ich gesehen habe, dass sich die Antifa an die Spitzes des Demonstrationszuges gestellt hat. Dasselbe wünsche ich mir auch heute von allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die etwas gegen Extremisten haben. Man darf sich nicht instrumentalisieren lassen.

Können Sie aus Fehlern im Umgang mit der Krise lernen und einen zweiten Lockdown verhindern?

Weil Vieles haben wir erkennbar richtig gemacht, aber natürlich gab es auch Fehler. Beispielsweise waren wir anfangs zu zögerlich, was die Empfehlung von Alltagsmasken anging. Heute wissen wir, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten. Deutschland kann sicher immer noch besser werden im Umgang mit der Krise. Ich bin aber sicher, dass wir keine Wiederholung eines bundesweiten Lockdowns bekommen werden. Höchstens regional.

Sind Sie dafür, dass die Besprechungen aller Länder mit der Bundesregierung wieder regelmäßiger stattfinden, um zu einheitlicheren Regelungen zu kommen?

Weil Nein, nur bei Bedarf. Die Verantwortlichen in den Ländern wissen oft am besten, welche Maßnahmen zu dem jeweiligen regionalen Infektionsgeschehen passen. Viele Vorgaben sind ähnlich in den verschiedenen Ländern und so manche Unterschiede in den Regelungen machen durchaus Sinn. Der Erfolg gibt unserem dezentralen System im internationalen Vergleich recht. Wir haben in Deutschland keine zweite Welle und bekommen sie auch nicht, wenn wir uns klug verhalten.

Virologen wie Christian Drosten definieren die zweite Welle anders als die erste und sprechen eher von vielen, kleinen Ausbrüchen.

Weil Die aktuellen Infektionszahlen geben uns bislang den Eindruck, dass die Lage gut beherrschbar ist. Das ist keine Welle. Wir haben aber weiterhin Probleme mit Reiserückkehrern und privaten Feiern mit Alkohol. Und vor allem stehen jetzt Herbst und Winter vor der Tür. Was die Schulen betrifft, brauchen wir klare Lüftungsvorschriften, so dass Klassenräume – wenn irgend möglich – auch in der kalten Jahreszeit regelmäßig mit frischer Luft versorgt werden. Flächendeckendes technisches Nachrüsten mit Filteranlagen wird voraussichtlich kaum gelingen.

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