Große Mehrheit für günstiges Angebot Was nach dem Neun-Euro-Ticket kommen könnte – Lindner lehnt Finanzierung weiter ab

Berlin/Düsseldorf · Eine große Mehrheit der Bundesbürger wünscht sich auch nach dem Ende des Neun-Euro-Tickets ein günstiges Angebot im Nah- und Regionalverkehr. Doch wie sieht das aus? Und wer bezahlt es? Eine ganze Reihe Vorschläge liegen mittlerweile auf dem Tisch.

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Die schönsten Reiseziele in Deutschland mit dem 49-Euro-Ticket

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Foto: Pixabay/Gruendercoach

Rund fünf Wochen vor Auslaufen des Neun-Euro-Tickets bleibt ungewiss, ob es ein Nachfolgeangebot geben wird. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine weitere Finanzierung des Tickets oder einer Nachfolgeregelung strikt ab. SPD-Chefin Saskia Esken dagegen sieht das FDP-geführte Verkehrsministerium in der Pflicht, einen Vorschlag für die Weiterentwicklung des günstigen Angebots vorzulegen. Grüne und Linke fordern, zur Finanzierung einer Nachfolgelösung „umweltschädliche Subventionen“ wie das sogenannte Dienstwagenprivileg zu kürzen.

Das 9-Euro-Monatsticket für den öffentlichen Personennahverkehr soll nach bisheriger Planung Ende August auslaufen. Es gibt jedoch zahlreiche Vorschläge für eine Verlängerung. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen etwa hat ein 69-Euro-Ticket ins Gespräch gebracht.

79 Prozent der Bürger befürworten laut einer Umfrage des Instituts Kantar im Auftrag des Nachrichtenmagazins „Focus“ ein ähnliches Ticket, das vom Staat unterstützt wird. 16 Prozent sind dagegen. Am größten ist die Zustimmung mit 90 Prozent bei den unter 30-Jährigen.

Finanzminister Lindner sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag), das Neun-Euro-Ticket sei eine befristete Maßnahme, genau wie der Tankrabatt. Im Bundeshaushalt seien keine Mittel für eine Fortsetzung vorgesehen. Mit dem Ticket finanzierten Steuerzahler ein nicht kostendeckendes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr. Das Konzept überzeuge ihn nicht. „Jedenfalls könnte der Bund es nicht bezahlen, da im Jahr 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten werden muss.“

Der Fahrgastverband Pro Bahn zeigt Verständnis für die Haltung Lindners. Der Pro Bahn-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann sagte unserer Redaktion: „Mit der Gießkanne Geld auszugeben, ist sicherlich nicht richtig.“ Naumann erinnerte daran, dass auch viel Geld notwendig sei zur Sanierung der maroden Bahninfrastruktur. „Es nützt uns nichts, wenn wir billige Preise subventionieren, aber die Menschen in den Zügen nicht mitkommen.“

Allerdings brauche es nach dem Auslaufen des Neun-Euro-Tickets eine Übergangslösung. Der Vorschlag des Verbandes der Verkehrsunternehmen, das Ticket dann für 69 Euro bundesweit fortzusetzen, „könnte eine solche Übergangslösung sein“, so Naumann. „Dann muss bis zum Ende des Jahres an einer vernünftigen Lösung gearbeitet werden. Die muss sauber durchgerechnet werden.“

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte kürzlich das Neun-Euro-Ticket als „fulminanten Erfolg“ bezeichnet und für eine große ÖPNV-Reform plädiert. Eine Nachfolgeregelung für das Ticket sieht Wissing allerdings als Ländersache.

SPD-Chefin Esken sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag), die Erfahrungen mit dem Neun-Euro-Ticket sollten nun ausgewertet werden, um ein Konzept für einen attraktiven, einfachen und bezahlbaren ÖPNV zu entwickeln. Wissing und sein Ministerium müssten nun zügig mit den Ampel-Fraktionen und den Bundesländern ins Gespräch gehen und einen geeigneten Vorschlag für die Weiterentwicklung vorlegen.

Esken betonte: „Das 9-Euro-Ticket ist ein voller Erfolg und hat gezeigt, wie groß der Bedarf an einfachen und kostengünstigen Angeboten im öffentlichen Personennahverkehr ist.“ Anders als der Tankrabatt sei das eingesetzte Geld für diese Entlastungsmaßnahme voll bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen.

Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang bezeichnete das Ticket als Erfolg. Eine Anschlussregelung müsse gefunden werden, twitterte sie. Bei der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten „stehen wir natürlich jederzeit für Gespräche über die Streichung von umweltschädlichen Subventionen bereit“, erklärte sie.

Ihr Parteifreund Kostenpflichtiger Inhalt Oliver Krischer, Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, schlug in diesem Zusammenhang die Beschneidung des sogenannten Dienstwagenprivilegs vor. „Derzeit subventionieren wir schwere Spritschlucker, die das Klima belasten, weil Unternehmer Fahrzeugkosten in unbegrenzter Höhe als Betriebsausgaben geltend machen können“, sagte Krischer unserer Redaktion. „Das muss sich in Zukunft am CO2-Ausstoß orientieren.“

Auch Linken-Parteichefin Janine Wissler forderte den Abbau steuerlicher Vorteile für Dienstwagen, um ein Nachfolgeangebot für das Neun-Euro-Ticket zu bezahlen. „Die bestehende Subvention dicker Dienstwagen, die am meisten den Besserverdienenden nützt und dem Klima schadet, könnte man beenden, und das Geld für die Finanzierung günstiger Ticketpreise nutzen“, sagte Wissler dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstag). Sie plädierte für die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets für den öffentlichen Nahverkehr.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund erinnerte daran, dass die Ampel-Koalition sich zum Klimaschutz und zur Verkehrswende bekannt habe. „Diesen Worten müssen jetzt Taten folgen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Funke-Zeitungen (Sonntag). Die Verkehrswende erfordere „ein einfaches und günstiges Ticket, das überall gilt, zum Beispiel zum Preis von 365 Euro im Jahr.“ Zudem seien Investitionen in den Ausbau von Bussen und Bahnen sowie Schienenstrecken nötig. Ohne zusätzliche Bundesmittel werde das nicht gehen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, sprach sich für Investitionen in den Nahverkehr statt einer Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets aus. Es gebe nicht das Problem, dass man die Menschen im Nahverkehrsbereich wegen zu hoher Kosten entlasten müsse, sagte der CDU-Politiker dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland (Samstag). “Sehr viel klüger" sei es, in den Ausbau der Nahverkehrsinfrastruktur zu investieren, damit man zusätzliche Fahrgäste pünktlich zum Ziel bringen könne.

Während sich das Neun-Euro-Ticket in der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreut, stellt das Angebot andere Verkehrsbranchen vor Schwierigkeiten. So meldete etwa rund die Hälfte aller Reise- und Fernbusunternehmen bei einer Blitzumfrage des eigenen Verbands eine rückläufige Nachfrage nach den eigenen Angeboten, wie der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) am Samstag mitteilte.

Insbesondere für Klassen- und Vereinsfahrten würden die Veranstalter aufgrund des günstigen ÖPNV-Tickets seltener ein privates Busunternehmen beauftragen, hieß es. Bei diesen beiden Kundengruppen sei die Nachfrage bei den Busunternehmen im Schnitt um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Bei Senioren, der dritten wichtigen Kundengruppe, verzeichnete die Branche im Schnitt sogar einen Rückgang von mehr als zwei Drittel.

„Ziel eines durch Steuermittel finanzierten ÖPNV-Billigtickets kann nicht sein, dass sich ohnehin schon umweltfreundliche Verkehrsmittel gegenseitig Fahrgäste abwerben und hierdurch Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Reisebusbranche neu etabliert werden“, teilte bdo-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard mit. „Die gemeinsame politische Aufgabe muss vielmehr sein, den Individualverkehr mit Pkw zu reduzieren, um endlich die Verkehrswende und den Klimaschutz erfolgreich voranzubringen.“

Der Verband forderte finanzielle Entlastungen durch die Politik. „Nur so können die Busunternehmen nach dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets ihren notwendigen Beitrag zum Erhalt der klimafreundlichen Mobilität in Stadt und Land erbringen.“ Die Blitzumfrage des Verbands bei den eigenen Unternehmen bezog sich auf Auswirkungen des 9-Euro-Tickets für die Reise- und Fernbusanbieter im Juni. Aktuellere Erkentnisse liegen demnach noch nicht vor.

(has/hebu/epd/dpa)
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