"Parlamentsgespräch" in Düsseldorf zu Antisemitismus "Wir machen uns Sorgen, aber wir leben nicht in Angst"

Düsseldorf · Am Dienstag hat sich der NRW-Landtag mit der heiklen Frage "Gibt es einen neuen deutschen Antisemitismus?" befasst. Dabei kam auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden zu Wort.

 Abraham Lehrer, der stellvertretende Vorsitzender des Zentralrats der Juden (Archivbild).

Abraham Lehrer, der stellvertretende Vorsitzender des Zentralrats der Juden (Archivbild).

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Nordrhein-Westfalens Landtagspräsident Andre Kuper hatte das Thema auf die Agenda gesetzt. "Gibt es einen neuen deutschen Antisemitismus?", betitelte er am Dienstag sein viertes "Parlamentsgespräch" in der Bibliothek des Düsseldorfer Landtags. "Das ist kein Thema der Vergangenheit", warnte der CDU-Politiker. "Es ist leider schon wieder aktuell." Kuper appellierte an die Bürger, bedrohliche Entwicklungen nicht hinzunehmen, sondern dagegen "aufzustehen".

Mit der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat Nordrhein-Westfalen seit einigen Wochen eine Antisemitismus-Beauftragte - wie der Bund und sieben weitere Bundesländer. "Ich hätte mir das nicht vorstellen können", sagte sie: 74 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz würden in Deutschland Antisemitismus-Beauftragte notwendig. Es gehe bei diesen Ämtern keineswegs um symbolträchtige "Alibi-Funktionen", betonte die ehemalige Bundesjustizministerin. "Wir sind keine Beruhigungspille."

Immer häufiger würden Juden "für Feinde unserer Gesellschaft" gehalten, die nicht dazugehörten, so Leutheusser-Schnarrenberger. Es gebe besorgniserregende Vorgänge. In einer aktuellen Studie gaben 41 Prozent der befragten jüdischen Deutschen an, in den vergangenen zwölf Monaten Antisemitismus persönlich erlebt zu haben. In mehr als einem Drittel dieser Fälle seien es Arbeitskollegen, Mitschüler, Freunde oder Bekannte gewesen, die Menschen jüdischen Glaubens ausgegrenzt oder beleidigt hätten.

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, beklagte einen immer deutlicheren "sekundären Antisemitismus" in Deutschland. Längst gebe es nicht mehr nur den klassischen Antisemitismus von Alt-Nazis und Neo-Nazis. Große Sorgen mache ihm die zunehmende Respektlosigkeit der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Juden, sagte Lehrer. Dies äußere sich zum Beispiel in einer "Schuld- und Erinnerungsabwehr". Nicht nur von Rechtspopulisten würden "übertriebene Formen" des Holocaust-Gedenkens kritisiert. Dazu geselle sich immer öfter offener Israel-Hass. "In unserem Land darf es wirklich nicht so weit kommen, dass sich Juden von Israel distanzieren müssen, um von dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden", warnte Lehrer.

Solche Warnungen hält die nordrhein-westfälische Antisemitismus-Beauftragte keineswegs für übertrieben. Die in akademischen Diskussionen skizzierten Bedrohungsszenarien würden von der jüdischen Gemeinschaft als durchaus real empfunden. Mehr als 70 Prozent der in Deutschland lebenden Juden äußerten in Umfragen Angstgefühle.

Als niederschmetternd empfindet Leutheusser-Schnarrenberger, dass von jüdischen Bürgern immer häufiger Überlegungen angestellt würden, Deutschland zu verlassen. Juden auf gepackten Koffern - für die neue Antisemitismus-Beauftragte eine Schreckensvorstellung. "Dabei war es das Selbstverständnis bei Gründung der Bundesrepublik, dass genau das nie wieder eintreten darf", sagte sie.

Zentralrats-Vize Lehrer setzt weiter auf die toleranten und demokratischen Kräfte des Landes. "Es ist gut, sie an unserer Seite zu wissen." Die Juden in Deutschland seien froh darüber, heute in einem Staat zu leben, der jüdisches Leben schütze. Dennoch könne er nicht verschweigen, dass die jüdische Gemeinschaft um ihre Grundrechte "so vehement wie lange nicht" kämpfen müsse.

Der zunehmende Antisemitismus sei messbar. Im Jahr 2017 seien bundesweit 1.504 antisemitische Straftaten verübt worden. Das entspreche einer Steigerung von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders der Antisemitismus von Zuwanderern aus arabischen Ländern habe deutlich zugenommen. Die Beunruhigung über solche Entwicklungen werde immer stärker auch von Kindern und Jugendlichen in der jüdischen Gemeinschaft artikuliert: "Wir machen uns Sorgen", räumte Lehrer ein. "Aber wir leben nicht in Angst.“

(felt/kna)
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