Interview mit Luisa Neubauer „Jungs, sorry, ihr wart nicht gut genug“

Berlin · Die Menschen hingen jetzt an den Lippen der Virologen, hingegen würden Klimaexperten seit Jahrzehnten nicht gehört, sagt die Aktivistin von Fridays for Future. Die Enttäuschung über die Klimapolitik sei höher denn je. Ihre Generation nennt sie „super privilegiert“ und in ihren Träumen fährt sie Rennrad mit Rückenwind.

Luisa Neubauer, während des Interviews mit der Rheinischen Post

Luisa Neubauer, während des Interviews mit der Rheinischen Post

Foto: Marco Urban

Frau Neubauer, freitags kommen immer weniger Schüler zu den Demonstrationen. Hat Fridays for Future den Zenit schon überschritten?

Neubauer Das werde ich seit einem Jahr gefragt. Das ist nichts, warum wir nachts nicht gut schlafen. Wir mobilisieren zu den großen Streiks immer wieder viele Leute. Es gibt keine ausreichende Klimapolitik in Deutschland und wir werden sie weiter einfordern. Ob freitags auf der Straße oder in einer anderen Form. Die Entrüstung und Enttäuschung über das Fehlen einer richtigen Klimapolitik ist bei Fridays For Future höher denn je.

Fridays for Future ist monothematisch. Wenn Sie sich zu Gesundheit oder Rechtsterrorismus äußern, hat das wenig Durchschlagskraft. Sollte sich diese Bewegung breiter aufstellen?

Neubauer Man könnte auch sagen, dass sich Fridays for Future um die existenzielle Krise unserer Zeit kümmert, deren erfolgreiche Bewältigung Grundlage für jedes andere Politikfeld ist.

Für das Coronavirus?

Neubauer Zum Beispiel. Für intakte Gesundheitssysteme. Die Klimakrise macht Menschen krank und überlastet die Gesundheitssysteme. Sie ist die Fundamentalkrise schlechthin. Sie rüttelt an all unseren Strukturen. Und mit der Globalisierung jetten auch Krankheiten - wie wir selbst – um die Welt. Früher haben wir eine Krise im fernen Asien nicht mitbekommen, heute ist sie in null Komma nichts bei uns.

Sahra Wagenknecht sieht sich durch die Corona-Folgen in ihrer Forderung nach „einem vernünftigen Maß an Deglobalisierung“ bestätigt.

Neubauer Historisch gesehen gibt es keinen Anlass davon auszugehen, dass ein Schritt zurück mehr bringt. Das hat schnell etwas Reaktionäres und Nationalistisches. Man kann Zeit und Entwicklung nicht zurückdrehen. Man kann aber die Qualität der Globalisierung kritisieren.

Tun Sie es.

Neubauer Wie menschenrechtskonform sind unsere Handelsverträge, wie schützen wir Biodiversität in einer Zeit, wo Artensterben provoziert wird, wie gehen wir mit Tieren, die wir wie Produkte behandeln, verpacken, verschlingen und wegschmeißen. Wir werden eines Tages auf unsere Gesellschaft gucken und uns fragen, was zum Henker wir uns dabei gedacht haben. Wer sind wir, dass wir mit Lebewesen so umgehen, die unseres gleichen sind.

Woran liegt es, dass die Ziele, die sich die Bundesregierung setzt, unzureichend sind?

Neubauer Vor Fridays for Future gab es zu wenig Gründe für eine Regierung, eine stringente Klimapolitik umzusetzen, weil die kurzfristigen Kosten so hoch sind. Es gab keine starke Lobby und damit gar keine Zielgruppe, für die man diese Politik machen sollte. Es wurde auch einfach nicht belohnt. Zusätzlich haben wir ein gigantisches Aufklärungsdefizit in Politik und Medien.

Und zwar?

Neubauer Die Coronakrise beweist doch, dass es anders gehen kann. Wir hängen an den Lippen der Virologen. Hier erklären uns Experten, was zu tun ist, und dann setzen wir das um. Scientist for Future hat 30.000 Leute, die seit Jahrzehnten forschen, aber nicht gehört werden. Wir rechnen immer noch nicht um, was die Klimakrise kostet. Es steht nirgends, was es gekostet hat, dass es im Sommer nicht regnete.

Hätten wir eine bessere Klimapolitik, wenn der Klimawandel so schnell so gefährlich würde wie das Coronavirus?

Neubauer Würden wir die Klimakrise halb so ernst nehmen wie die Coronakrise, wäre uns geholfen.

Befürchten Sie eine Radikalisierung von Fridays von Future, wenn sich die Politik nicht schneller bewegt.

Neubauer Wir bleiben friedlich, natürlich. Falls das die Frage war. Die Verweigerungshaltung von politischen Instanzen hingegen wird immer radikaler.

Was ist das Problem der jungen Generation, die in einem nie dagewesenen Reichtum dieses Landes aufgewachsen ist?

Neubauer Wir sind super privilegiert. Wir haben es wahnsinnig gut. Für uns wurde alles gemacht, wir können alles und überall studieren und reisen, wohin wir wollen ….

… ist es ein Problem, wenn alles schon da ist?

Neubauer Uns haftet das Vorurteil an, wir seien undankbar. Wir mussten nicht für die Wiedervereinigung kämpfen. Es gab keinen Grund, nach etwas Besseren zu streben. Ich hatte kein politisches Erschütterungsmoment in meiner Kindheit und ich kenne keine andere Kanzlerin als Merkel. Beständigkeit, Ruhe bewahren, Wohlstand sichern. Ganz gemütlich. Merkelisiert. Wir sind eine Generation, bei der alles immer okay war, plus minus. Und so entstand der Mythos von der unpolitischen Jugend. Und zu einem Teil stimmte das ja auch.

Was macht der andere Teil?

Neubauer Weil uns auch immer beigebracht wurde, dass alles möglich ist, haben wir begonnen die Klimakrise zu bekämpfen und die Regierung aufzuwecken. Und dann kamen Leute und haben uns gesagt, sie hätten gegen die Atomkraftwerke protestiert und für die Frauenemanzipation und wir sollten jetzt mal ein bisschen chillen. Wir haben uns aber entrüstet.

Wie kommt man damit klar, als Ikone einer Bewegung bezeichnet zu werden?

Neubauer Das würde ich so natürlich nicht sagen. Ich nehme das hin. Das ist eine ausschließlich externe Perspektive. Ich versuche, das mit Ehrfurcht und Respekt und Verantwortungsbewusstsein anzunehmen und nicht als tonnenschwere Last auf meinen Schultern wahrzunehmen. Unsere Bewegung ist aber stark, weil wir netzwerkartig funktionieren und Hierarchien über den Haufen geworfen haben.

Innerhalb von Fridays for Future wird von „Köpfe-Kult“ um Sie gesprochen, manchen fällt es schwer, dass immer nur Sie im Rampenlicht stehen. Ist das fair?

Neubauer Na klar. In einer Bewegung wie Fridays for future widerspricht es vielen, auch mir teilweise, dass es jemanden gibt wie mich. Aber wir treffen auf eine Medienlogik, die einzelne Gesichter und Köpfe will. Ich sehe die Ambivalenz, dass uns das medial wie politisch helfen kann, und wir uns intern dennoch immer wieder als Gleichberechtigte wiedertreffen.

Warum studieren Sie Geografie?

Neubauer Weil ich die Welt verstehen wollte. Ich kann die Klimakrise aus einer wissenschaftlichen Perspektive verstehen. Das ist ein Geschenk. Ich weiß, dass es richtig ist, was ich mache.

Welche Verantwortung haben Sie als Akademikerin mit einer Bewegung, die freitags streikt, gegenüber den Auszubildenden, die sich das nicht leisten können?

Neubauer Wir müssen inklusiv sein, klar. Aber wir können auch zugleich sagen: Hey, wie geil, wir machen etwas aus unseren Privilegien. Das ist doch großartig.

Was bedeutet Ihnen Geld?

Neubauer Ich kann durch einen total privilegierten Hintergrund sagen, dass mir das nicht so wichtig ist. Gesellschaftlich ist es spannend, wer die Klimakrise finanziert. Unternehmen profitieren von ihr.

Haben Sie das Gefühl, wenn Sie beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit Konzernchefs sprechen, dass diese Sie auf Augenhöhe behandeln?

Neubauer Nee. Ich erlebe eine Überheblichkeit, die wohl mit dem Alter einhergeht, dass Menschen unter 30 Jahren, oder so erst einmal nur als jung und nichts weiter gelten. Als junge Frau erst recht. Wir haben zwar keine berufliche Lebenserfahrung, aber eine Lebensexpertise und kennen uns mit Themen aus. Schwierig wird es, wenn wir den tendenziell eher älteren weißen Männern sagen: Jungs sorry, aber was ihr die letzten Jahrzehnte gemacht habt, war nicht gut genug, ihr habt da eine Krise übersehen. Damit stellen wir unweigerlich ihre Lebensleistung infrage. Wir meinen das gar nicht so. Der Reflex ist oft, dass die uns dann erzählen, was sie in den 1990er Jahren angestellt haben. Uns interessiert allerdings viel mehr, was sie jetzt machen.

Wer ist für Sie alt?

Neubauer Ich, in manchem Momenten. Manchmal komme ich mir schon vor wie eine Veteranin, wenn ich mir anschaue, was ich vor einem Jahr gemacht habe. Das eine Jahr zählt dreimal. Sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Ohne große Pausen.

Wovon träumen Sie?

Neubauer Von einer Welt, in der Kinder freitags nicht mehr auf die Straße gehen müssen, weil wir die Klimakrise erfolgreich als Krise anerkannt haben und dem ein Krisenmanagement entgegengesetzt haben?

Davon träumen Sie nachts?

Neubauer Nee (lacht). Einfach Rennrad fahren, mit Rückenwind an der Küste, und ohne, dass ich eine Telefonkonferenz habe.

(kd)
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