Gastbeitrag Zu viel Staat beim Kohleausstieg

Gastbeitrag Die deutsche Energiewende ist nicht nur staats- statt marktwirtschaftlich geprägt, sonder auch klimapolitisch abwegig. Aus diesem Projekt europäische Industriepolitik zu machen, wäre naheliegend.

Der wahrste Satz von Peter Altmaier zu seiner Industriestrategie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Der Staat ist ein lausiger Unternehmer.“ Wer einen Beweis dafür sucht, möge seinen Blick auf die sowohl teure als auch klimapolitisch fragwürdige deutsche „Energiewende“ werfen. Die ist mit dem jetzt offensichtlich beschlussreifen Kohleausstieg endgültig zu einer staatswirtschaftlichen Veranstaltung geworden. Die Politik hat die komplette Gewalt über unsere Energiewirtschaft übernommen. So etwas ist hierzulande noch keiner Branche widerfahren, in Westdeutschland jedenfalls gab es das noch nie. Jeder die energiewirtschaftliche Lage verändernde Schritt geht auf staatliche Intervention zurück. Und jeder Intervention folgt die staatliche Subvention. Es gibt kein Industrieland von Rang auf der Welt, das eine ähnlich kostspielige „Energiewende“ vollzöge. Unsere hat beste Chancen, die teuerste auf der Welt zu sein - und zu bleiben. Das, was dem Energiesektor widerfahren ist, droht nun auch anderen Branchen. Bundeswirtschaftsminister Altmaiers Appetit auf staatlichen Interventionismus ist erschreckend unverhüllt.

Das Bedrückende dieser Politik ist, dass sie ganz überwiegend nicht von Vernunft gesteuert ist, sondern sich von Emotionen, von durchaus wechselhaften Stimmungen treiben lässt. Der Hambacher Forst ist nur ein besonders verrücktes Beispiel. Der schwerste Fehler war der im Jahr 2011 abrupt begonnene und nun alsbald komplette Atomausstieg. Seine Begründung mit der von einem Tsunami verursachten Atom-Katastrophe von Fukushima war hanebüchen. Nicht einmal Japan ist nach Fukushima aus der Atomenergie ausgestiegen! Dafür war der den hiesigen Energieversorgern zustehende Schadensersatz für den in Wahrheit enteignungsgleichen Eingriff hoch. Und möglicherweise wird er im Rahmen des von Vattenfall eingeleiteten internationalen Schiedsverfahrens noch erheblich höher.

Begründet wird unsere Energiewende mit dem Klimaschutz. Er zwinge zur raschest möglichen Rücknahme der von Menschen verursachten CO2-Emissionen, ist das Leitmotto. Um das zu schaffen, war der frühe Atomausstieg allerdings der falschest mögliche Weg. Denn die Atomenergie ist unter den konventionellen Energieträgern der CO2-ärmste. In der klimapolitischen Denkungsart der schwarz-gelben wie der schwarz-roten Koalitionen in Berlin hätte die Kohle um Längen früher als die Atomenergie zum Ausstiegs-Aspiranten werden müssen.

Die deutsche Energiewende ist aber nicht nur staats- statt marktwirtschaftlich geprägt sowie klimapolitisch von Widersinn. Sie ist auch deshalb so teuer, weil sie ein geradezu isolationistisches Unterfangen ist. Man könnte es auch uneuropäisch, beinahe nationalistisch nennen. Es fehlt bis heute an Einvernehmen mit unseren neun europäischen Nachbarn, denen wir gelegentlich unseren mit Solar- oder Windkraft produzierten Strom – manchmal zu Minuspreisen – in ihre Netze drücken. Nachdrückliche Versuche, aus der deutschen Energiewende ein europäisches Projekt zu machen, gibt es offensichtlich nicht. Dabei wäre es naheliegend, endlich Ernst mit einer europäischen Energieunion zu machen: Mit marktwirtschaftlicher Steuerung durch den europäischen Emissionshandel, mit grenzüberschreitenden Infrastrukturen, mit europaweit übereinstimmenden Förderstandards und vor allem anderen mit massiven Investitionen in Forschung und Entwicklung und entsprechenden europäischen Forschungszentren.

Aus der deutschen Energiewende europäische Industriepolitik zu machen, darum muss es gehen. Es ist zwar schon sehr teuer, aber noch nicht zu spät. Desgleichen gilt für das Megathema Digitalisierung. Eine europäische Digitalunion, das ist die einzig richtige Antwort auf die großen Herausforderer, ob in den Vereinigten Staaten oder in China. Die EU der (noch) 28 Mitgliedstaaten ist neben den Vereinigten Staaten die wirtschaftsstärkste Region der Welt, stärker als China. Auch in der Künstlichen Intelligenz (KI) ist uns das Riesenreich noch nicht zu weit voraus. Ihr scheinbarer Vorsprung resultiert bisher noch aus der allerdings perfektionierten Anwendung bekannter KI-Technologien. Wann endlich bringen wir, namentlich in Forschung und Entwicklung, die gemeinsamen europäischen Stärken zur Geltung? Wann kommen wir zu mehr als nur zu gemeinsamen Standards zum Datenschutz? Zu mehr Risikokapital? Zu gemeinsamen IT-Infrastrukturen? Wann kommt endlich das x-mal angekündigte KI-Kompetenzzentrum?

Nichts spricht gegen die Erfahrung, dass Marktwirtschaft der Staatswirtschaft überlegen ist. Auch die Versuche des autoritären Chinas, bei Bedarf jeweils die Vorteile des Marktes in Anspruch zu nehmen, sprechen dafür. Der Staat ist kein Unternehmer. Und seine Bürgerinnen und Bürger zahlen, wenn er es doch versucht, viel Lehrgeld, auch dafür ist die deutsche Energiewende ein Beispiel. Das gemeinsame Europa, das jetzt in der Energie- wie in der Industrie- wie in der Klimapolitik gefordert ist, muss als eine der drei (!) großen Wirtschaftsmächte auf dieser Welt seine Interessen selbstbewusst vertreten. Und dies muss sich auch und nicht zuletzt in einer Wettbewerbspolitik äußern. Sie muss europäischen Unternehmen jeder Größenordnung die gleichen fairen Bedingungen garantieren wie anderen – und Dritten deutliche Grenzen aufzeigen, jedenfalls wenn sie mono- oder oligopolistisch oder staatlich oder oligarchisch daherkommen.

Kurz: Die deutsche und europäische Wirtschafts- und Industriepolitik muss durch und durch marktwirtschaftlich sein. Wenn wir am Ziel „Wohlstand für alle“ festhalten wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen und uns auf die Kraft freier Märkte, demokratischer Strukturen und eigenverantwortlicher Bürger verlassen. Warum wir uns nicht auf den Staat als Unternehmer verlassen dürfen, hat Peter Altmaier dankbarerweise klar gesagt.

Wolfgang Clement ist Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und war Bundeswirtschaftsminister. Sein Beitrag wurde zuvor bereits in der „FAZ“ abgedruckt.

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