Serie - Die Geschichte der Deutschen (Teil 8) Napoleons Neuordnung

(RP). Fast 20 Jahre lang war Frankreichs Herrscher die dominierende Gestalt Europas. Das zeigen heute noch einige deutsche Grenzen, die er festgelegt hatte. Im Kampf gegen ihn formierte sich Anfang des 19. Jahrhunderts das deutsche Nationalbewusstsein unter den Farben Schwarz, Rot, Gold.

Für nationalbewusste Historiker war es ein beschämendes Schauspiel: der Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Formell gaben Vertreter von Kurmainz, Österreich, Sachsen, Preußen, Pfalz-Bayern, Württemberg, Hessen-Kassel und des Hoch- und Deutschmeisters dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation eine neue Ordnung. Tatsächlich, so der Historiker Karl Dietrich Erdmann, betrieben sie dessen Ausverkauf. Napoleon und - im Hintergrund - auch der russische Zar Alexander I. bestimmten, was beschlossen wurde. Folgen hatte das bis ins 20. Jahrhundert. Heute noch verlaufen einige deutsche Ländergrenzen entlang den Linien, die damals gezogen wurden.

Frankreichs und Russlands Herrscher hatten 1801 in einem Geheimvertrag festgelegt, im Deutschen Reich sollte das Gleichgewicht zwischen Österreich und Preußen erhalten bleiben. Die Gegnerschaft zwischen Wien und Berlin hatte sich für Frankreich und Russland als nützlich erwiesen. Bayern, Württemberg und Baden sollten gestärkt werden. Sie sollten sich selbstständig fühlen, aber militärisch so schwach sein, dass sie sich an andere anlehnen mussten.

Die Bereinigung der Landkarte bedeutete das Ende der alten Reichsverfassung

Napoleon brauchte Verbündete und Soldaten. Eine überschaubare Anzahl von mittelgroßen Staaten ließ sich besser beherrschen als der Flickenteppich von mehr als 300 Herrschaftsgebieten, aus dem das alte Reich bestand. Möglich wurde die Neuordnung des Reichs, weil französische Revolutionsheere ab 1792 das linke Rheinufer von der Schweizer Grenze bis an die Mündung besetzt hatten. Im Frieden von Lunéville war 1801 der Rhein als "natürliche" Ostgrenze Frankreichs von Kaiser und Reich anerkannt worden. Deutsche Fürsten, die Gebiete auf dem linken Rheinufer besessen hatten, sollten dafür entschädigt werden - auf Kosten des Kirchenbesitzes, von Reichsstädten und kleinen Herrschaften.

Bayern verlor die linksrheinische Pfalz und das Herzogtum Jülich, erhielt dafür Gebiete in Franken und Schwaben: Würzburg, Bamberg, Freising, Augsburg, Passau, dazu eine große Anzahl von Reichsabteien und Reichsstädten. Württemberg, das die Grafschaft Mömpelgard (heute das französische Montbéliard) verlor, bekam das Vierfache an kleinen geistlichen und weltlichen Besitzungen. Und Baden bekam sogar das Zehnfache des Verlustes. Darunter: Mannheim, Heidelberg, das Bistum Konstanz. Warum das? Die Mutter des Zaren und seine Frau waren mit dem Markgrafen verwandt. Und 1803 waren der Zar und Napoleon (damals noch nicht Kaiser, sondern Konsul) verbündet.

Auch Preußen, das einige Zeit in den Revolutionskriegen neutral geblieben war, wurde bedacht: Für Kleve, Moers und Geldern bekam es die Bistümer Paderborn und Hildesheim, einen Teil des Bistums Münster, Erfurt und auch die Abteien Essen und Werden. Zwischen Elbe und Rhein war das preußische Gebiet im wesentlichen nur noch von dem mit England in Personalunion des Königs verbundenem Hannover unterbrochen. Von den alten geistlichen Fürstentümern blieb nur noch der erzbischöfliche Stuhl von Mainz erhalten, dessen Rechte allerdings nach Regensburg verlagert wurden.

Die Bereinigung der Landkarte bedeutete das Ende der alten Reichsverfassung. Der Reichstag hatte seine Funktion, der in Wien ansässige Kaiser seine Macht über Deutschland verloren. Noch einmal bäumte er sich auf. Die von Napoleon bedachten Herrscher von Bayern, Württemberg und Baden aber schlossen sich den Franzosen an. Da Napoleon auf dem Schlachtfeld wieder einmal siegreich blieb, musste sich Österreich 1805 unterwerfen. Bayern und Württemberg wurden von Napoleon zu Königreichen, Baden zum Großherzogtum erhoben - und behielten diesen Status bis 1918. Sechzehn deutsche Staaten traten förmlich aus dem Reich aus und gründeten den von Frankreich abhängigen Rheinbund. Der Wiener Herrscher verzichtete im Dezember 1806 auf den römischen Kaisertitel.

"Der Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze"

Die von Napoleon erzwungene Neuordnung Deutschlands wurde - nicht zuletzt durch wirtschaftliche Notwendigkeiten - nach dessen Niederlage 1815 fortgesetzt. Davon profitierte vor allem Preußen, das nach langem Zögern 1806 den Kampf gegen den französischen Kaiser aufgenommen und zunächst verloren hatte. Im Frieden von Tilsit verlor Preußen 1807 alle Gebiete westlich der Elbe sowie die polnischen Provinzen. Es bestand nur noch aus Brandenburg, Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen. Aus der Niederlage gewann der Staat die Kraft zu großen inneren Reformen und wurde zum Kristallisationkern des erwachenden deutschen Nationalbewusstseins. Dabei gewann der Rhein neue Bedeutung. Der Bonner Dichter Ernst Moritz Arndt brachte es auf den Punkt: "Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze."

Auf dem Wiener Kongress 1815 kamen Westfalen und die früher vielfältig aufgesplitterten Gebiete von Hunsrück und Saar bis zur holländischen Grenze unter dem Namen Rheinprovinz - darunter die Zentren der kommenden Industrialisierung - zu Preußen. Das ehemalige deutsche Reich nannte sich jetzt - dominiert von Österreich und Preußen - Deutscher Bund und bestand aus 39 Königreichen, Herzogtümern, Fürstentümern sowie wenigen Stadtstaaten.

1832: Massenkundgebung für ein einiges Deutschland

In den Augen von Freiwilligen-Verbänden, die gegen Napoleons Truppen gekämpft hatten, war das weiter nichts als Kleinstaaterei. An einigen Universitäten, aber auch in von Arndt angeregten "Lesegesellschaften", wurde die staatliche Einheit Deutschlands beschworen. Höhepunkt der Bestrebungen war 1817 das Wartburgfest, zu dem die Burschenschaft der Universität Jena eingeladen hatte. Gefordert wurden die politische, wirtschaftliche und kirchliche Einheit Deutschlands, ein einheitliches Rechtssystem, Rede- und Pressefreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz und die allgemeine Wehrpflicht. Die Farben der Jenaischen Burschenschaft, Rot-Schwarz mit goldener Einfassung, wurden als "deutsche Farben" zum Symbol des Strebens nach Demokratie und Einheit.

Diese Bestrebungen erregten das Misstrauen der Staaten des Deutschen Bundes. Auf Betreiben des österreichischen Kanzlers Metternich wurden die Burschenschaften verboten, bestanden aber heimlich fort. 1832 kam es zur ersten Massenkundgebung für ein freies und einiges Deutschland, dem Hambacher Fest. 30 000 Menschen forderten unter den Farben Schwarz-Rot-Gold ein einiges und freies Deutschland als föderative Republik. Die deutschen Staaten verschärften die Unterdrückung der Bewegung.

Aber auch sie kamen, aus wirtschaftlichen Gründen, um die nächste Flurbereinigung nicht herum. 1834 bildete sich unter Führung Preußens der Zollverein. Hier entstand ein deutscher Binnenmarkt, der das Wachsen der Industrie erst möglich machte.

In den Jahren 1848/1849 schien es eine kleine Weile, als könnten sich Nationalbewusstsein und Demokratie in Deutschland verbünden. Zunächst in Frankreich, dann auch in Deutschland gab es revolutionäre Aufstände. In Frankfurt kam auch ein Parlament von Delegierten aus den Staaten des Deutschen Bundes zusammen. Doch der preußisch-österreichische Gegensatz und die fehlende Machtbasis der nach ihrem Ort, der Paulskirche, benannten Versammlung, brachte nur einen illusionären Verfassungsentwurf zu Stande. Bald hatten sich wieder die alten Regierungen durchgesetzt.

Die deutsche Einheit blieb ein Problem der Staaten. 1864 kamen Schleswig und Holstein nach einem Krieg gegen Dänemark zum Deutschen Bund, zwei Jahre später wurde Österreich nach einem Krieg aus dem deutschen Bund gedrängt. Und das mit ihm verbündete Königreich Hannover wurde von Preußen geschluckt.

(RP)
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