Kongress mit 2000 Firmenvertretern in Berlin Logistikbranche schaut besorgt nach Nahost
Berlin · Die Logistik- und Transportbranche hat sich gerade erst von der Corona-Krise erholt, da kommen mit der Konjunkturschwäche und dem Nahost-Konflikt neue Risiken auf sie zu. Beim Logistik-Kongress in Berlin gaben sich Branchenvertreter trotzdem zuversichtlich, dass der Umstieg zur Klimaneutralität in den nächsten Jahren gelingt.
Hohe Energiepreise, schwache Konjunktur, Grenzkontrollen und der sich zuspitzende Nahost-Konflikt – die Logistik- und Transportwirtschaft kommt auch nach der Corona-Krise aus den Zukunftssorgen kaum heraus. Gleichzeitig steht die Branche mitten im Umbau hin zur Klimaneutralität und zum vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Deutlich wurde dieser Spannungsbogen in dieser Woche auf dem dreitägigen Logistik-Kongress in Berlin, dem größten Branchen-Treffen mit über 2000 Unternehmensvertretern.
Nach der Corona-Pandemie und dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs hatte sich die Branche gerade erst wieder stabilisiert. Die Lieferketten seien „überwiegend wieder da, wo man sie gerne hat“, hatte der Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Thomas Wimmer, zum Auftakt des Logistik-Kongresses erklärt. Allerdings seien durch den Überfall Russlands auf die Ukraine Lieferanten ausgefallen und Warenströme wurden teils umgeleitet. Zudem spürt die Branche die Folgen der schwachen Weltkonjunktur und der rückläufigen Industrieproduktion. Dies zeige sich etwa in gesunkenen Frachtraten im Containerschiffverkehr, so Wimmer. Zudem brauche die Industrie weniger Vorleistungsgüter und weniger Grundstoffe, sagte der BVL-Chef.
Die Branche senkte ihre Prognose im Vergleich zum Frühjahr und rechnet für 2023 nun mit einem nominalen Branchenwachstum von 2,5 Prozent und für 2024 von 0,8 Prozent. Die positiven Zahlen beruhen allein auf steigenden Kosten und Preisen: Inflationsbereinigt wird 2023 ein Minus von zwei Prozent erwartet, das sich 2024 auf 3,5 Prozent vergrößern dürfte. Die Zahlen basieren auf der Annahme, dass im nächsten Jahr die Bauaktivitäten weiter einbrechen, die Nachfrage im Maschinenbau leicht zurückgeht und die Chemie- sowie Autobranche stagnieren. Die Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs bleibe ebenfalls stabil. „Einzig die Elektronikbranche verspricht positive Impulse“, hieß es.
Ein Hoffnungsschimmer könnte im zweiten Halbjahr 2024 bei den Gebrauchsgütern der Privathaushalte zu sehen sein, so die Logistiker. Zudem dürfte das Weihnachtsgeschäft im kommenden Jahr die Konjunktur beleben, glaubt die Branche.
Mit Sorge schaut sie aber nun auf den schwelenden Nahost-Konflikt zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas. In der Region sei immer das Thema Öl und Energie wichtig. „Es sind alle Warnlampen an“, sagte Wimmer.
Die Logistikbranche steht gleichzeitig unter besonderem Druck, jetzt den Umstieg hin zu klimafreundlichen Antriebsformen zu organisieren. Als großer Hersteller bietet Daimler – ähnlich wie skandinavische Hersteller – große Lkws mit Elektromotoren auch für den Langstreckenverkehr an, berichtete Daimler-Manager Patrick Burghardt. Allerdings benötigen die Logistiker eine bessere Infrastruktur mit Ladesäulen. Zudem wird intensiv an grünen Wasserstoff-Lösungen gearbeitet. Industrievertreter appellierten auf dem Kongress an die Bundesregierung, hier stärker auf gesamteuropäische Lösungen zu setzen.
Auf dem Abschluss-Panel, das am Freitag von Rheinische-Post-Chefredakteur Moritz Döbler moderiert wurde, stellte die Staatsministerin im Kanzleramt, Sarah Ryglewski (SPD), für den 6. November einen Bund-Länder-Pakt zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Aussicht. Der Bundestag hat am Freitag einen Gesetzentwurf von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zur Planungsbeschleunigung verabschiedet. Im Kern soll für ausgewählte Projekte an Autobahnen und auf der Schiene ein „überragendes öffentlichen Interesse“ festgelegt werden. Dies soll dazu führen, dass Entscheidungen deutlich schneller möglich werden. Zur schnelleren Umsetzung will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November die Länder mit ins Boot holen. Zugleich beschloss der Bundestag bereits zum 1. Dezember die Erhöhung der Lkw-Maut – für die Güterverkehrslogistiker ein Rückschlag.
Einen subventionierten Industriestrompreis sehe der Kanzler weiterhin skeptisch, bestätigte Staatsministerin Ryglewski. Er koste viel Geld, werde womöglich nicht von der EU-Kommission genehmigt und verringere den Anreiz zum Energiesparen. Auch der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Karl Haeusgen, wandte sich gegen einen mit Steuermitteln gesenkten Industriestrompreis: Die Preise in Deutschland lägen unter dem EU-Durchschnitt.
Selbstkritisch zeigte sich der VDMA-Chef beim Thema Bürokratieabbau: Wenn nicht die Wirtschaftsverbände dauernd so viele Differenzierungen für einzelne Gruppen bei Gesetzgebungsverfahren einfordern würden, wären die Gesetze weniger ausdifferenziert und kompliziert. „Wichtig ist, dass wir auch in unserem eigenen Beritt schauen und uns fragen, wie können wir mit der Politik kooperieren“, sagte Haeusgen.