Eilantrag der Union abgewiesen — Fragen und Antworten Was Karlsruhe über Lindners Haushaltspolitik denkt

Analyse | Berlin · Die Verfassungsrichter haben einen Eilantrag der Union gegen die Haushaltspolitik von Bundesfinanzminister Christian Lindner zwar zurückgewiesen. Aber in ihrem Beschluss wimmelt es nur so von kritischen Fragen. Wie das Gericht am Ende urteilen wird, ist für Lindner und die Finanzierung der Ampel-Projekte entscheidend. Zur Entscheidung die wichtigsten Fragen und Antworten.

 Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht, Peter M. Huber, Doris König (Vorsitz) und Monika Hermanns (von links nach rechts) hat einen Eilantrag der Union am Donnerstag abgewiesen.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht, Peter M. Huber, Doris König (Vorsitz) und Monika Hermanns (von links nach rechts) hat einen Eilantrag der Union am Donnerstag abgewiesen.

Foto: dpa/Uli Deck

Das Bundesverfassungsgericht lässt bis zu einem endgültigen Urteil zu, dass der Bund viele geliehene Milliarden Euro, die eigentlich zur Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, für ihre ambitionierten Klimaschutz-Pläne nutzt. Das Gericht folgte am Donnerstag dem Eilantrag der Union nicht, die Umbuchung von 60 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt 2021 auf den Energie- und Klimafonds (EKF) zu stoppen. Es wird die damit verbundenen Fragen über den umstrittenen Zweiten Nachtragshaushalt 2021 in einem Hauptsacheverfahren im Detail prüfen. Während die Ampel-Koalition die Entscheidung begrüßte, sprach die Union von einem „Warntag“ für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Worum geht es? Die neue Bundesregierung hat im Jahr 2021 nicht genutzte Kreditermächtigungen rückwirkend in den EKF eingebucht, damit sie in den kommenden Jahren für Investitionen in den Klimaschutz genutzt werden können. Genehmigt worden waren die Kredite ursprünglich, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Die Union findet, dass mit den Haushaltsänderungen die Schuldenbremse umgangen wird. 197 Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion hatten sich deshalb an Karlsruhe gewandt.

Wie begründet das Gericht die Zurückweisung des Eilantrags? Die Folgen einer einstweiligen Anordnung wären zu schwer gewesen, sollte sich später im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Umbuchung doch verfassungskonform gewesen sei, argumentierte Karlsruhe. Als Beispiel nannte der Zweite Senat, dass die sogenannte EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms dann womöglich nicht mehr aus den umgeschichteten Mitteln finanziert werden könnte, was mit einer Strompreiserhöhung und Mehrbelastungen für Verbraucher und Unternehmen verbunden wäre. Zudem könnten Programme für effiziente Gebäude, der Umweltbonus für E-Autos oder Hilfen zur Dekarbonisierung der Industrie gefährdet werden, hieß es. Ziele wie die CO2-Reduktion könnten verfehlt werden. „Wegen der Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz müsste hier über alternative Programme nachgesteuert werden, was neuerliche Haushaltsbelastungen mit sich bringen könnte.“ Sollte im Hauptsacheverfahren dagegen herauskommen, dass die Ampel verfassungswidrig gehandelt hat, würde der Haushalt mit maximal 60 Milliarden Euro belastet. Es sei davon auszugehen, dass diese Summe nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschöpft werde. In der Abwägung seien die Folgen hier weniger schwer.

Wie geht es jetzt weiter? Das Verfassungsgericht wird im sogenannten Hauptsacheverfahren prüfen, ob die Regierung verfassungswidrig gehandelt hat. Es sieht durchaus die Möglichkeit, dass gegen verfassungsrechtliche Vorgaben an eine notlagenbedingte Kreditaufnahme verstoßen wurde. Mit Blick auf die Schuldenbremse müsse geprüft werden, welche Prinzipien für die Ausnahmeregelung bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen gelten und ob sie durch Sondervermögen umgangen werden könnten. Dabei will das Gericht auch klären, ob die Regierung das Haushaltsprinzip der Jährlichkeit verletzen durfte. Das Prinzip besagt, dass Haushalte jeweils nach Jahren getrennt aufzustellen sind. „Von verfassungsrechtlicher Bedeutung könnte schließlich auch sein, dass die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 erst im Jahr 2022 erfolgte“, hieß es.

Welche Folgen hätte eine späterer Sieg der Union? Würde das Gericht am Ende doch gegen die Ampel urteilen, könnte das auch die anderen kreditfinanzierten Sondervermögen für die Bundeswehr (100 Milliarden Euro) und für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (200 Milliarden) zur Abwehr der hohen Energiepreise infrage stellen. Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 wäre obsolet, denn Finanzminister Lindner wäre gezwungen, die Neuverschuldung in den Jahren massiv zu erhöhen.

Wie reagiert die Union? Die Union bleibe zuversichtlich, was den Ausgang der Hauptsache angeht, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg. Das Gericht habe „sehr dezidiert Fragen und auch Zweifel“ erkennen lassen. Es gebe für Lindners „Vorratspolitik“ kein „grünes Licht“ aus Karlsruhe, sondern die Ampel zeige auf „Tiefgelb“.

Was sagt Lindner? Der Finanzminister begrüßte, dass sich bei der bisherigen Finanzierung von Klimaschutz-Vorhaben vorerst nichts ändert. „Karlsruhe hat eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem Land gesendet.“ Dass das Gericht höchstrichterlich die Schuldenbremse konkretisieren wolle, sei entscheidend für deren weitere Anwendung — „sowohl im Bund als auch in den Ländern“. (mit dpa)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort