Nach Anschlag von Halle Seehofer irritiert mit Äußerungen zur „Gamerszene“

Berlin · Bundesinnenminister Horst Seehofer hat nach dem Terroranschlag von Halle mit Äußerungen zu Computerspiel-Plattformen im Internet eine Kontroverse in sozialen Medien ausgelöst. Der Minister kündigte an, die Gamerszene stärker zu beobachten.

 Innenminister Horst Seehofer (Archivbild).

Innenminister Horst Seehofer (Archivbild).

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

„Das Problem ist sehr hoch. Viele von den Tätern oder den potenziellen Tätern kommen aus der Gamerszene“, sagte er der ARD. Die Sendung „Bericht aus Berlin“ verbreitete einen entsprechenden Auszug aus einem Video-Interview mit dem Minister per Twitter. Seehofer betonte am Sonntag, das Problem sei eine „Unterwanderung“ der Szene.

Der Urheber des rechtsextremistischen Anschlags von Halle mit zwei Toten hatte vor der Tat einen Ablaufplan veröffentlicht, der wie eine verschriftlichte Version eines Computerspiels wirkt.

„Manche nehmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild“, sagte Seehofer. „Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag. Und deshalb müssen wir die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.“

Nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden nutzen Extremisten unterschiedlicher Couleur auch Gaming-Plattformen. Da der Austausch oft ohne Moderation erfolgt, bieten sich einige dieser Foren für Kommunikation unterhalb des Radars der Behörden an.

Auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, warnt vor Rechtsextremismus in der Gamerszene im Internet. Teile der Szene seien eine Plattform für Rechtsextremisten, „um sich zu vernetzen und um sich gegenseitig in ihrem Hass zu bestärken, zu messen und zu motivieren. Alles vom Sofa zu Hause aus“, sagte Kramer dem Berliner „Tagesspiegel“.

Eine wichtige Rolle für Rechtsextremisten in der Gamerszene spielten „Shooter-Spiele“, sagte Kramer. „Hier entsteht für den entsprechenden Personenkreis, durch die Mischung von Hass, Gewalt, Maskulinität und Sexualität, ein Treibhaus zur Befriedigung und weiteren Radikalisierung.“

Neben dem Zugang zu verschlüsselten Messenger-Diensten wie Telegram oder Signal hat das Bundesinnenministerium bei seinen Überlegungen für eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes auch diese Foren im Blick. Der Entwurf für die Gesetzesnovelle ist aktuell noch Gegenstand von Diskussionen zwischen dem Innenressort und dem Justizministerium, das eine Ausweitung der Befugnisse mit einem Mehr an parlamentarischer Kontrolle verbinden will.

Der Interview-Auszug löste Spott und Kritik aus. Nutzer unterstellten, Seehofer lenke mit seiner Wortmeldung vom Problem des Rechtsextremismus ab. „Die Neunzigerjahre haben angerufen und wollen ihre Killerspiel-Debatte zurück. Ernsthaft: Digitaler Rechtsextremismus ist ein riesen Problem“, kommentierte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Vielmehr gehe es um die Kommunikation auf bestimmten Plattformen.

Der Autor Mario Sixtus stimmte auf Twitter zu, dass man über Gamer reden müsse, die rechte Attentäter feierten. Er schrieb aber: „Wenn ausgerechnet dieser Innenminister den Fokus auf die Gamerszene lenken will, ist es mindestens naheliegend, anzunehmen, er tut das, um die Rechtsextremen auf der Straße und in den Salons weiterhin genauso totschweigen zu können wie bisher.“

Felix Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Game, erklärte: „Eigentlich müsste jedem längst klar sein: So wenig wie man Filme oder Bücher für Hass und Gewalt verantwortlich machen kann, so wenig sind Games und ihre Community hierfür die Ursache. Stattdessen haben wir in Deutschland ein beängstigendes Problem mit Rechtsextremismus.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast mahnte zur Besonnenheit: „Wir sollten mal in Ruhe auf das Problem schauen. Und genau hin sehen. Und uns nicht über das Wort Gamerszene von Seehofer in die Irre leiten lassen. Um die geht es nämlich nicht.“

Der Minister präzisierte seine Position am Sonntag auf Twitter: „Wir prüfen derzeit alle Facetten, wie Rechtsextremismus besser bekämpft werden kann. Wir sehen, dass Rechtsextremisten das Internet und auch Gaming-Plattformen als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbrauchen. Ob analog oder digital: Wir wollen Rechtsextremisten überall dort bekämpfen, wo sie aktiv sind.“

Derweil hat der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner ein Verbot der Identitären Bewegung gefordert. „Die sogenannte identitäre Bewegung sind Rechtsextremisten, die unsere freiheitliche Verfassungsordnung bekämpfen. Deshalb sollte der Bundesinnenminister alle möglichen Schritte für ein Verbotsverfahren einleiten“, sagte Stegner dem „Handelsblatt“. Er wiederholte zudem seine Forderung nach einer Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz.

Kuhle will ebenfalls ein Verbot der Identitären Bewegung in Erwägung ziehen. „Der Bundesinnenminister sollte gerade nach dem antisemitischen Terroranschlag in Halle die gesamte Klaviatur der Innenpolitik nutzen“, sagte er der Zeitung. „Dazu gehört auch, jetzt ein Verbot der Identitären Bewegung zu prüfen.“ Kuhle argumentierte: „Die Identitäre Bewegung spielt bei der Unterwanderung bestimmter Subkulturen und Milieus durch Rechtsextreme eine Schlüsselrolle und wird aus diesem Grund zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet.“

Die Identitäre Bewegung lehnt Zuwanderung ab und warnt vor einem „Bevölkerungsaustausch“ in Europa. Sie hat nach Einschätzung der Behörden in Deutschland etwa 600 Mitglieder. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im Juli mitgeteilt, dass es die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ einstufe.

Gegen diese Bezeichnung wehrte die IBD sich allerdings vor Gericht und hatte vor dem Verwaltungsgericht Köln Erfolg. Der Verfassungsschutz legte jedoch Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Mit der Frage, ob es sich bei der IBD tatsächlich um eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ handelt oder nicht, hatte sich das Gericht nicht beschäftigt.

(felt/dpa)
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