Schavan-Interview "Muslimischen Frauen besser helfen"

Berlin (RP). Das Urteil im so genannten "Ehrenmord"-Prozess in Berlin hat eine neu Debatte über die Integration von Ausländern ausgelöst. RP-Redakteurin Margarete van Ackeren sprach mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan.

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Foto: gms

Binnen acht Jahren gab es 40 "Ehrenmorde" in Deutschland. Sind dies die dramatischen Tiefpunkte fehlender Integration?

Schavan Ich halte schon den Begriff "Ehrenmord" für abwegig. Es handelt sich um ein Verbrechen, das weder mit unserem Rechtsempfinden noch mit unserer Kultur in irgendeiner Weise vereinbar ist.

Türkische Frauenrechtlerinnen kritisieren das Berliner Urteil als zu lasch, weil sie die freigesprochenen Brüder als Mittäter sehen...

Schavan Juristische Sachverhalte möchte ich nicht bewerten, auch dieses Urteil nicht. Aber gerade aus Äußerungen türkischer Frauen in den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass wir uns stärker darum kümmern müssen, dass muslimische Frauen in Deutschland nicht ausgeschlossen bleiben von Lebenschancen, die für uns selbstverständlich sind.

Werden die frauenpolitischen Gefahren unterschätzt, weil man zu sehr auf den Spracherwerb guckt?

Schavan Spracherwerb ist vor allem für Kinder und Jugendliche der Schlüssel für Teilhabe und Zukunftschancen. Aber damit ist das Thema Integration längst nicht erschöpft. Vor allem muslimische Frauen werfen uns vor, dass wir Toleranz mit Ignoranz verwechseln. Diesem Vorwurf müssen wir uns stellen. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Zwangsehen. Diese Frauen fühlen sich von uns oft nicht genügend unterstützt. Was nach unserem Grundgesetz und nach den kulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft gilt, müssen wir auch jedem ermöglichen.

In Berlin zeigen einige Migranten Verständnis für den Mord an der Frau, weil sie deren "westliche Lebensweise" als Verrat sehen. Ist dies bezeichnend für den Stand der Integration?

Schavan Viele Migranten leben gut integriert in großer Selbstverständlichkeit mitten in unserer Gesellschaft. Doch es ist augenscheinlichlich, dass sich gerade in den letzten Jahren Parallelgesellschaften verstärken. Die kulturelle Kluft ist gewachsen. Dies wirkt sich vor allem verheerend auf die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen aus.

Sind die jüngsten Nachrichten nicht ein Warnhinweis, dass bei Migranten-Kindern die gesellschaftliche Arbeit massiv verstärkt werden muss?

Schavan Es muss ein Schwerpunkt der Bildungs- und Kulturpolitik der nächsten Jahre sein, Kindern, deren Familien zum Teil in dritter Generation in Deutschland leben, Wege aus geschlossen wirkenden Parallelgesellschaften zu zeigen. Es geht um die Frage, ob wir bereit sind, für alle Menschen in unserer Gesellschaft das zu ermöglichen, was wir für selbstverständlich halten. Oder zögern wir immer noch unter dem Vorwand der Toleranz, uns für die Befreiung und Selbstbestimmung aller Frauen und Männer in unserer Gesellschaft einzusetzen?

Kurz: Das, was man früher Emanzipation der Frau genannt hat, soll auch Migrantenfamilien erreichen?

Schavan Bildungs- und Emanzipationsgeschichte müssen in die Vorbereitung des Integrationsgipfels der Koalition einfließen. Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie - von dem, was für uns völlig normal ist, dürfen Migranten nicht ausgeschlossen bleiben. Die Rolle der muslimischen Männer wird eine ganz zentrale gesellschaftspolitische Frage und sollte auch ein Thema beim Integrationsgipfel werden.

(alfa)
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