Rede vor dem Parteitag Münteferings glanzloser Abschied

Dresden (RP). Ein bisschen Selbstkritik, viel Ratlosigkeit. Der scheidende SPD-Chef Franz Müntefering hat in seiner Abschiedsrede den Gedanken der Sozialdemokratie verteidigt und an das Selbstbewusstsein der Partei appelliert. Doch ob die SPD als Volkspartei überleben kann, lässt er offen.

Müntefering verabschiedet sich
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Es ist mucksmäuschenstill, als Franz Müntefering um kurz vor 11 Uhr zum Rednerpult schreitet. Die letzte Rede des Parteivorsitzenden. Nicht wenige der 525 Delegierten im Saal der Dresdner Kongresshalle sind darüber nicht traurig. Zu sehr lasten die Genossen dem Sauerländer die desaströse Wahlniederlage bei der Bundestagswahl an. Müntefering weiß das. Beschönigungsfloskeln stehen daher nicht auf seinem Manuskript, an das sich der Parteichef in den ersten Minuten merklich klammert.

"Dimension der Niederlage ist das Erschreckende"

Der Wechsel per Wahlzettel sei nichts ungewöhnliches, referiert er. "Aber die Dimension der Niederlage ist das Erschreckende." Und ja, die Niederlage sei selbstverschuldet. "Wir waren für zu viele Wähler die von gestern", sagt Müntefering und wirkt in dem Moment ungewollt selbst als genau das. Sagen würde er das nie. Eine ehrliche Ich-Analyse des Vorsitzenden, dessen straffer Führungsstil und harter Reformkurs an der Basis als Ursache für die historische Niederlage gelten, kommt nicht. Müntefering mag den kritischen Selbstbezug nicht.

Als "kiki" hatte er das schon vor dem Parteitag abgetan. Lieber redet der zweifache Parteichef die 23-Prozent-SPD stark. "Wir sind kampffähig. Wir sind kampfbereit. Wir kommen wieder", ruft er. Die SPD sei geschrumpft. "Aber nicht die Sozialdemokratie." Doch der kraftlose Applaus beweist das Gegenteil. Ehrlicher klingt es, als Müntefering etwas ratlos berichtet, dass "der Zug der Zeit in eine andere Richtung" fährt.

"Wir geben keine Ruhe, bis wir diesen Kapitalismus gezähmt haben."

Die scharfen Attacken der SPD gegen die schwarz-gelben "Marktradikalen" im Wahlkampf - sie zündeten nicht. Und das ausgerechnet in der Wirtschaftskrise. Müntefering versteht das nicht. Er gibt sich trotzig. "Wir geben keine Ruhe, bis wir diesen Kapitalismus gezähmt haben." Auch das hatte man schon oft gehört. Das zentrale Thema, auf das alle Delegierten warten, die Aufarbeitung der Agenda-Reformen und der Rente mit 67, widmet sich Müntefering nur kurz. "Nicht alle Teile" der Agenda 2010 seien gelungen, sagt er etwa.

Das Prinzip des "Förderns und Forderns" in der Sozialpolitik aber. "Das ist richtig, auch wenn uns das Fordern nicht so leicht über die Lippen kommt." Die Rente mit 67 erwähnt der frühere Vizekanzler der großen Koalition nicht wörtlich. Ungewöhnlich verklausuliert spricht der Verfechter der kurzen Sätze von "individualisierten Übergängen" und verlängerten Rentenanspruchszeiten. Spätestens in dem Moment wird klar, dass Müntefering keine Wunden mehr aufreißen will.

Nach 50 Minuten Rede ist vielen Genossen nicht klar, worauf es Müntefering ankommt. Der Vorsitzende wirkt müde, ausgelaugt. Die Zukunft der Volkspartei zieht der einstige Volkstribun in Zweifel, beklagt die "Berlusconisierung" in der Gesellschaft und das Politik zu Theater und "Event" degradiert werde. "Mit all den Hofberichterstattern und Hofnarren." Müntefering diagnostiziert, dass die sich "verselbstständigen Partikularinteressen" auch die Sozialdemokratie von innen zerstören und Kraft absorbieren könne. Es ist der gewohnte Aufruf an die Geschlossenheit. "Lasst diese Flügelei", fleht Müntefering. Die Gefahr einer Selbstzerstörung der SPD. Für Müntefering ist sie offenbar größer als die Gefahr von 15 Jahren schwarz-gelber Bundesregierung.

"Ein großer Vorsitzender geht ohne eine große Rede"

Am Ende dreieinhalb Minuten Applaus gönnen die Delegierten ihrem Vorsitzenden. Stehend. Viele Delegierte aus Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz bleiben demonstrativ sitzen. In der Reihe der Ehrengäste bekommt der gestürzte Ex-SPD-Chef Kurt Beck nur mühsam seine Hände zusammen. Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti, die beiden Parteilinken aus Hessen, klatschen gar nicht. Dahinter applaudiert Michelle Schumann, Freundin von Müntefering und Delegierte des NRW-Landesverbandes, umso heftiger. Hunderte Reden hat "Münte", wie ihn die Genossen immernoch liebevoll nennen, gehalten. Ausgerechnet seine letzte gehört zu den Schwächsten. "Ein großer Vorsitzender geht ohne eine große Rede", sagt ein Genosse enttäuscht.

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