Münchner Sicherheitskonferenz Gabriel im Kampfmodus

Schon das schnelle Hin- und Herjetten von Sigmar Gabriel zwischen Berlin und München am Tag der Freilassung von Deniz Yücel konnte auch verstanden werden als Teil einer Wie-bleibe-ich-doch-noch-Außenminister-Strategie. Nun legt sich Gabriel bei der Münchner Sicherheitskonferenz um so intensiver ins Zeug.

 Sigmar Gabriel im Gespräch während der Münchner Sicherheitskonferenz.

Sigmar Gabriel im Gespräch während der Münchner Sicherheitskonferenz.

Foto: afp

Als sein Amt an Martin Schulz vergeben schien, sagte Sigmar Gabriel in einer Art Kurzschlussreaktion alle Termine ab. Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz wollte er plötzlich nicht mehr reden. Obwohl es auf den Außenminister und Vizekanzler des Gastgeberlandes in ganz besonderer Weise ankommt. Schließlich soll hier der Ukraine-Friedensprozess auf Außenministerebene am Rand der Konferenz wiederbelebt werden. Als Gabriel bekannt gab, sich erneut umentschieden zu haben und doch nach München zu reisen, wurde kurz darauf bekannt, dass Schulz nicht Außenminister wird. Witterte Gabriel eine Chance, in dem Amt zu bleiben, das er so gerne behalten möchte?

Seine zentrale Rede am zweiten Tag der Sicherheitskonferenz hört sich genau so an. Sie ist analytisch - das könnte man auch von einem scheidenden Außenminister erwarten. Aber sie ist auch perspektivisch - und das würde erklären, warum er sie ohne Hoffnung auf ein Verbleiben im Amt lieber nicht halten wollte. Dass er sie nun an die Sicherheitsexperten der Welt richtet, steht also als Aussage zum Amt schon für sich. Wie er die Verhältnisse dann ordnet, enthält unterschwellig die Botschaft an die neue starke Frau der SPD, Andrea Nahles: "Glaubst Du, auf mich wirklich verzichten zu können?" Gabriels Selbstbewusstsein ist an diesem Tag nicht gerade geschwächt, nachdem am Vortag eine Umfrage eine klare Mehrheit der Deutschen für eine weitere Amtszeit Gabriels ergeben hat.

Beim Frühstück witzelt er zwar noch, dass sein russischer Kollege Sergej Lawrow bald 14 Jahre im Amt sei, er selbst aber nicht wisse, ob er die 14 Monate schaffen werde. Doch im großen Saal wird er ernst und sieht "die Welt am Abgrund". Der olympische Frieden könne die "brandgefährliche Eskalation rund um das nordkoreanische Atomrüsten" vorerst nur bremsen. Und im Nahen Osten bewege sich der Syrienkonflikt nach sechs blutigen Jahren in eine Richtung, die "akute Kriegsgefahr selbst für unsere engen Partner bedeutet".

Krieg in Sicht - ist das der richtige Zeitpunkt, das eingearbeitete Personal auszutauschen? Zumal auch die Kanzlerin ein unterschwelliges Signal setzt, indem sie nicht nach München reist. Wie leicht hätte sie ihrem geschäftsführenden Außenminister die Schau stehlen können! Doch sie überlässt ihm das Feld zur Profilierung. Schon am Vortag hat sie ihm für seinen Anteil an der Freilassung von Yücel gedankt - und Gabriel dankte seinerseits der Kanzlerin, dass sie seinem Amt in diesem Fall vertraut habe. Auch hier ist die Botschaft schwer zu übersehen: Never change a winning team - tauscht bloß nicht diese Mannschaft aus.

 Der Außenminister bei seiner Rede.

Der Außenminister bei seiner Rede.

Foto: dpa, shp axs

Schließlich geht die Welt fundamentalen Umbrüchen entgegen, wie Gabriel dann scharf herausarbeitet. "Mit dem Aufstieg Chinas werden sich die Gewichte massiv verschieben", sagt der Außenminister voraus. Die Pekinger Initiative für eine neue Seidenstraße stehe für den Versuch, "ein umfassendes System zur Prägung der Welt im chinesischen Interesse zu etablieren". Längst gehe es nicht mehr nur um die Wirtschaft: "China entwickelt eine umfassende Systemalternative zur westlichen, die nicht wie unser Modell auf Freiheit, Demokratie und individuellen Menschenrechten gründet", erläutert Gabriel weiter. Als einziges Land verfolge China konsequent seine globale, geostrategische Idee.

"Sind es Tweets, an denen wir Amerika messen müssen?"

Dann folgt die Anklage: Gabriel wirft dem Westen vor, über keine eigene Strategie zu verfügen, um eine neue Balance der weltweiten Interessen zu finden - statt sich auf das "Nullsummenspiel einseitiger Interessenausübung" zu beschränken. Er richtet diesen Vorwurf wenig später auch an die Adresse der USA. Die Deutschen seien sich "nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererkennen". Und in Anspielung auf die Amtsführung von Donald Trump erläutert Gabriel: "Sind es Taten, sind es Worte, sind es Tweets, an denen wir Amerika messen müssen?" Auch für die Aufgaben Europas entwirft Gabriel ein großes Gemälde. Schließlich steht der Kontinent vor einer Wegscheide, wie sie die Welt nur alle paar Jahrhunderte erlebe.

Gabriel kann es auch konkreter. So sein Eintreten für eine robuste Blauhelm-Mission, um den Ukraine-Konflikt zu befrieden. "Wir befinden uns gegenwärtig in einer Eskalationslogik, die wir seit dem Kalten Krieg überwunden glaubten", stellt Gabriel fest - und hält dem die Möglichkeit entgegen, über einen überwachten Waffenstillstand auch zu einem schrittweisen Abbau der Sanktionen zu kommen.

Den Erwartungen vor allem der USA, Deutschland möge so schnell wie möglich sein Versprechen erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung zu investieren, hält er die Summe entgegen. Wenn Deutschland tatsächlich zehn Jahre lang jeweils mehr als 70 Milliarden in die Rüstung stecke, sei er sich nicht sicher, ob das alle europäischen Staaten so gut finden - nach der wirtschaftlichen und der politischen Führung Deutschlands in Europa auch noch die militärische? Schließlich wäre das jedes Jahr das Doppelte dessen, was die Nuklearmacht Frankreich in seine Verteidigung stecke.

Zwei Zitate hat sich Gabriel für seine Rede herausgesucht. Beide können doppelsinnig interpretiert werden. Den Stanford-Wissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht greift er mit dem Hinweis auf, dass die Zukunft sich inzwischen weniger als gestaltbar und mehr als Schicksal zeige. Und Gabriel sagt dazu, dass sich alle einig seien, die Zukunft gestalten und nicht erdulden zu wollen. Er sagt nicht, dass er damit am liebsten auch seine eigene meint. Und er schließt mit der "unvergessenen Formel" des amerikanischen Gründervaters Benjamin Franklin, wonach alle besser zusammenhängen sollten, statt einzeln zu hängen. Sicherlich will Gabriel auch weiterhin mit den anderen Ministern rumhängen.

Sagt es, und startet eine ganze Reihe bilateraler Treffen mit Amtskollegen und Regierungschefs. Großer Einsatz fürs Land - und für sich persönlich. Auf den Fluren der Sicherheitskonferenz wird diskutiert, wer ihm denn folgen könnte. Eine ganze Reihe von Namen aus der zweiten und dritten Reihe wird diskutiert. Einen "geborenen" Nachfolger, einen, der sich geradezu aufdrängt, ist nicht erkennbar. Sind es also doch nicht nur Windmühlenflügel, gegen die Gabriel in München kämpft?

(may-)
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