Besuch von Kanzler Scholz in Moskau Mission mit ungewissem Ausgang

Moskau · Ein Antrittsbesuch in einer der größten Krisen der letzten Jahre: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reiste begleitet von großen Erwartungen nach Moskau. Scholz wählte bei der Pressekonferenz klare Worte. Was konnte der deutsche Kanzler in Russland bewirken?

 Treffen mit sechs Metern Corona-Abstand: Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz bei ihrem vierstündigen Gespräch im Kreml.

Treffen mit sechs Metern Corona-Abstand: Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz bei ihrem vierstündigen Gespräch im Kreml.

Foto: dpa/Mikhail Klimentyev

Wieder dieser Tisch. Der sechs Meter lange weiße Marmortisch, an den der russische Präsident Wladimir Putin seinen Gast im Kreml, den deutschen Kanzler, bittet. Schon der französische Präsident Emmanuel Macron hatte bei seinem letzten Russland-Besuch an dessen Ende Platz nehmen müssen. Olaf Scholz und Putin sitzen sich also bei ihrem Vier-Augen-Gespräch vier Stunden lang direkt gegenüber – aber dennoch weit auseinander. Ein Bild, das auch den Verlauf des Besuchs des deutschen Kanzlers recht gut beschreibt.

Scholz hatte es zuvor abgelehnt, sich vor seinem Treffen von russischer Seite auf Corona testen zu lassen. Stattdessen entschied sich der SPD-Politiker dafür, den für den Zutritt zum Kreml erforderlichen PCR-Test am Dienstag nach seiner Landung in Moskau von einer Ärztin der deutschen Botschaft vornehmen zu lassen. Ein Testgerät war aus Deutschland mitgeführt worden.

Es ist Scholz bislang schwerste Reise in seiner jungen Amtszeit: Der Kanzler muss nur noch kurz die Welt retten – so die Erwartung. Es sind Tage, die über Krieg und Frieden entscheiden – in der Ukraine, aber auch in Europa. Nachdem US-Geheimdienste den 16. Februar als möglichen Angriffstag einer russischen Invasion in der Ukraine genannt haben, schien der Besuch von Scholz im Kreml womöglich der letzte eines westlichen Politikers zu sein, der noch in Friedenszeiten stattfinden könnte.

In der Delegation gibt es beim Abflug am frühen Berliner Morgen Hoffnung. Aus deutscher Sicht hatte sich die Ukraine am Montag beim Besuch von Scholz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew bewegt. Scholz hatte betont, dass die Nato an dem Prinzip der offenen Tür für neue Mitglieder festhalten werde, aber ein Beitritt der Ukraine jetzt nicht auf der Tagesordnung stehe. Russland fordert, dass die Ukraine dem westlichen Militärbündnis nicht beitreten darf.

Während Scholz zum Auftakt des Besuchs in Moskau am Grabmal des unbekannten Soldaten zu den Klängen der deutschen Nationalhymne einen Kranz niederlegt, machen Medienberichte die Runde, wonach einige russische Truppen an der Grenze zur Ukraine in ihre Stützpunkte zurückgekehrt seien.

Bei der Pressekonferenz von Putin und Scholz wird dann deutlich, dass der Teilabzug zwar ein gutes Signal am Tag des Besuchs des Kanzlers ist – aber die Pressekonferenz verläuft in Teilen durchaus konfrontativ. Sie gibt eine gute Ahnung davon, wie weit die Positionen voneinander entfernt sind. Und welch schwieriger Gesprächspartner Putin ist.

Scholz wählt mit lauter Stimme klare, eindeutige Worte: Er bezeichnet den angekündigten Teilrückzug von russischen Truppen als „gutes Zeichen" und sagt, Sicherheitsfragen in Europa könnten nur mit und nicht gegen Moskau geklärt werden. Die diplomatischen Möglichkeiten seien „bei Weitem nicht ausgeschöpft“. „So schwierig und ernst die derzeitige Lage auch scheint – ich weigere mich, sie als aussichtslos zu beschreiben", sagt Scholz. Die diplomatischen Anstrengungen müssten fortgesetzt werden. „Für meine Generation ist Krieg in Europa undenkbar geworden“.

Putin pflichtet ihm bei, behauptet aber, dass etwa der Krieg in Ex-Jugoslawien von der Nato entfesselt worden sei. Scholz widerspricht deutlich. Damals habe der Westen auf dem Balkan einen Völkermord verhindert – was Putin zu dem Konter bewegt, was im Donbass, in der von russlandtreuen Rebellen besetzten Ostukraine, passiere, grenze ebenfalls an Völkermord. Und dann kommt der Kanzler – im Gegensatz zur Pressekonferenz in den USA – auch noch auf Nord Stream 2 zu sprechen, das Putin als rein „wirtschaftliches Projekt“ bezeichnet. Scholz stellt weitreichende Konsequenzen bei einem militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine in Aussicht. „Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist“, betonte er. „Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist.“ Die Aktivitäten des Ex-SPD-Kanzlers Gerhard Schröder bügelt Scholz ab. „Was Nord Stream 2 betrifft, will ich die privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines früheren Politikers nicht weiter kommentieren.“ Putin dagegen lobt seinen Cheflobbyisten aus Hannover. Die deutschen Gaskunden sollten dankbar sein. Ohne Schröders Einsatz wären die Heizkosten um ein Vielfaches höher.

Scholz, in Außenpolitik noch ein Neuling, hat sich gründlich auf seine Mission vorbereitet, das Gespräch mit Wissenschaftlern und außenpolitischen Beratern gesucht. Er weicht kritischen Fragen wie etwa der nach der Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny nicht aus, kritisiert diese deutlich. „Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist seine Verurteilung nicht vereinbar." Auch erwähnt Scholz das Verbot der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial und den Lizenzentzug für die Deutsche Welle in Moskau.

Der Kreml war noch nie ein leichter Ort für Delegationen gewesen. Vieles erinnert an ein höfisches Zeremoniell, Macht wird demonstriert. Unvergessen, wie etwa der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in den Kreml eingeladen, aber nicht vorgelassen wurde und dann wie ein Bittsteller auf einem Sofa nur telefonieren konnte. Es ist eine außenpolitische Feuertaufe, die Scholz besteht. Putin antwortet am Ende der Pressekonferenz auf die Gretchenfrage, ob es einen neuen Krieg in Europa gebe: „Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!“. Aber er schließt einen Krieg auch nicht aus. Putin will die Frage einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine jetzt geklärt haben. Es nutze nichts, wenn er jetzt höre, dass das Land auf Jahre hin nicht Mitglied der Allianz werden solle. Scholz reist nach Deutschland zurück – und hat zumindest eine Fortsetzung des Dialogs erreicht.

(mün)
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