Analyse Morgen: Sonne und Einbrüche

Die Landeskriminalämter testen Software, um Verbrechen vorherzusagen. Dabei stützen sich die Beamten auf Verhaltensmuster von Tätern. Wie weit kann die Prognose gehen? Können wir künftig auch Morde prognostizieren?

Analyse: Morgen: Sonne und Einbrüche
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Die Verbrechensbekämpfung der Zukunft hat ihre Verwaltung in Oberhausen unmittelbar über einem Rewe-Supermarkt. Im vierten Stock des Nebengebäudes sitzt Thomas Schweer in einem Büroraum und raucht. Er grinst. Denn kurz zuvor konnte er verkünden, dass seine entwickelte Prognose-Software für Wohnungseinbrüche im Herbst in den Testbetrieb in Baden-Württemberg geht. In Stuttgart und Karlsruhe wollen die Polizeibeamten nun mithilfe von "Precobs" vor den Tätern am Tatort sein.

"Predictive Policing" heißt diese Form der Verbrechensbekämpfung. Mithilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnung definieren die Beamten die Gefahr eines Einbruchs in einer bestimmten Gegend. Steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Einbruch, werden die Streifen erhöht. Doch wie funktioniert das?

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"Kriminologen suchen immer nach einem Muster", sagt Schweer. Es geht um Gewohnheiten. Wer sie imstande ist zu lesen, kann vorhersagen, wie und wann eine Person handelt - so die Hoffnung. Jahrelang war der Sozialforscher mit der Polizei in Duisburg unterwegs - nachts auf Streife. Er beobachtete, wie die Beamten vorgehen und ihre Viertel im Auge behalten, nur um am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen, dass wenige Straßen von ihnen entfernt ein Einbruch verübt wurde. Auf einer der Fahrten kam Schweer die Idee für Precobs.

Die Software wird mit nur wenigen Daten gefüttert: Einbruchszeitpunkt, Beute, Umgebung, Häufigkeit der Delikte. Basierend auf einer Stadtkarte erstellt das Programm aus den Daten Wahrscheinlichkeiten für künftige Einbrüche. Liegt etwa in einer Straße die Einbruchswahrscheinlichkeit an einem bestimmten Tag bei über 75 Prozent, schlägt Precobs Alarm. Der Bereich wird rot markiert. Allerdings: "Precobs fängt keine Einbrecher", sagt Thomas Schweer. Die Software gebe den Polizeibeamten lediglich Empfehlungen, in einem Bereich die Zahl der Streifen zu erhöhen oder über Tag Wache zu halten.

Die Landeskriminalämter stehen solchen Software-Lösungen in den meisten Fällen wohlgesonnen gegenüber. Sie haben auch nicht wirklich eine Wahl. Denn die Kriminalitätsrate steigt in vielen Regionen: In Düsseldorf und Solingen etwa wird die beunruhigende Entwicklung besonders deutlich. Im Städtevergleich führen sie die Liste steigender Einbruchszahlen an. In der Landeshauptstadt verzeichnete die Polizei im ersten Halbjahr 2015 insgesamt 1720 Einbrüche. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das einen Anstieg von knapp 48 Prozent. In ganz Nordrhein-Westfalen gab es fast 33 600 Wohnungseinbrüche, vor fünf Jahren waren es noch ein Drittel weniger.

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In Bayern hat Precobs seine Testphase bereits überstanden. Die dortigen Behörden sind begeistert: "Wir haben in den Bereichen München und Mittelfranken, wo Precobs eingesetzt wird, positive Erfahrungen gemacht. Es konnten in den überwachten Gebieten einerseits die Fallzahlen erkennbar gesenkt und ermittlungsrelevante Erkenntnisse erlangt werden", teilt eine Sprecherin des Landeskriminalamts mit. Neben Bayern und Baden-Württemberg ist Precobs im Dauerbetrieb bei der Polizei Zürich, im Kanton Basel-Landschaft sowie im Kanton Aargau.

Nordrhein-Westfalen wird im Herbst mit einer vergleichbaren Software von IBM in den Städten Köln und Duisburg in die Testphase gehen. Niedersachsen hat die Software SPSS Modeler (ebenfalls IBM) erprobt und prüft derzeit, ob die Phase weitergeführt werden soll. Andere Bundesländer beobachten die Projekte und wollen sich danach für eine Software entscheiden, so etwa Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg, Hamburg und Bremen planen derzeit keine Testphasen.

Eine Welt, in der Verbrechen aufgrund von Vorhersagen menschlichen Handels verhindert werden - es ist ein beliebtes Science-Fiction-Thema. Große Aufmerksamkeit erlangte Steven Spielberg mit seinem Film "Minority Report". Dort setzt die Polizei auf übermenschliche Orakel, die in visionären Träumen Tötungsabsichten von Menschen vorhersehen. Die Bilder aus den Träumen werten speziell geschulte Polizisten aus und identifizieren die zukünftigen Mörder. Eine Sondereinheit rückt daraufhin aus und fasst die Verbrecher tatsächlich kurz vor ihrer Tat.

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Ist das die Zukunft? Was wäre, wenn man gezielt einem Menschen nachweisen könnte, dass er zu einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent am kommenden Freitag einen Einbruch verüben wird - oder gar einen Mord? Bekannt gegeben in der Tagesschau, im Anschluss an die Nachrichten in der Wettervorhersage: morgen Sonne und vereinzelt Einbrüche. Aber Thomas Schweer winkt ab. Analysieren und vorhersehen könne man grundsätzlich nur Muster. Affekttaten wie der Mord aus Eifersucht, weil der Mann die eigene Frau in flagranti mit einem anderen erwischt, sind nicht vorhersagbar. Somit auch nicht der Wohnungseinbruch, der "aus einer Laune heraus" geschieht.

Und wenn man mehr Daten erheben würde? Etwa die Kaufkraft der Menschen in einer Region oder Bewegungsmuster von Überwachungskameras? In den USA etwa laufen Projekte, in denen Herzfrequenzen von Reisenden gemessen werden, um auf die Pläne der jeweiligen Personen schließen zu können. "Derlei ist schwierig", sagt Schweer. Gerade Deutschland sei in Bezug auf Datenerhebung ein sehr sensibles Land.

"Meistens wird erwartet, dass mehr Datenverarbeitung und Überwachung auch mehr Sicherheit bringt. Erstens ist das aber oft gar nicht so. Und zweitens darf es Sicherheit nicht um jeden Preis geben", sagt Ulrich Lepper, Datenschutzbeauftragter für NRW. Auch die Freiheit, unbeobachtet zu sein, sei es wert, geschützt zu werden.

(jaco)
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