Nur noch wenige marschieren gegen Hartz IV Montagsdemos vor dem Aus

Magdeburg (rpo). Aus der Protestwelle ist die Luft raus. Die Montagsdemonstrationen, bei denen in den vergangenen Wochen immer weniger Menschen mitliefen, stehen offenbar vor dem Aus. Waren zu beginn noch in allen größeren ostdeutschen Städten Zehntausende auf die Straße gegangen, waren es zuletzt nur noch einige hundert Demonstranten.

Die Zahl der Protestler sinkt von Woche zu Woche. Gerade 850 waren es noch bei der nunmehr 13. Demo zu Wochenbeginn in Magdeburg. "Wo sind die restlichen ALG-II-Antragsteller?", fragte ein Mann fast verzweifelt auf seinem Plakat. "Der Mensch ist kein Wesen, das permanent Revolution machen kann", kommentiert der Magdeburger Politikwissenschafter Erhard Forndran diese Entwicklung. Die Bewegung von Bürgern sei immer "eine Frage des begrenzten Zeitabschnitts". Der Mensch sei ein Wesen, dass Ruhephasen brauche, einen Rückzug ins Private, um dann wieder motiviert zu werden.

Zeitungs-Kommentatoren beklagen nun, der Protest gegen die anstehenden Sozialreformen habe die friedliche Revolution des Jahres 1989 um ihren guten Ruf gebracht, ein Stück deutsche Geschichte, auf das wir alle stolz sein könnten, diskreditiert. Zur Erinnerung: Wie im Herbst vor 15 Jahren skandierten auch in diesem Sommer die Demonstranten bei ihren Zügen durch die Innenstädte den Ruf "Wir sind das Volk".

Dennoch sind beide Ereignisse nicht vergleichbar. 1989 waren die Zustände dramatisch, wie Forndran erinnert. Damals hätten die Bürger mit hohem Risiko gegen den Staat protestiert. Die Demonstrationen heute stünden dagegen unter Polizeischutz. Und vor 15 Jahren hätten sich tatsächlich schnell erste sichtbare Erfolge eingestellt, so die Öffnung der Grenze zwischen Ungarn und Österreich.

Falschen Begriff gewählt

Doch die Revolutionäre seien auch im Wende-Herbst schnell weg vom Fenster gewesen, spätestes, als es schließlich hieß "Wir sind ein Volk". Das Ziel, die Schaffung einer besseren DDR, mündete bald in den Ruf nach der D-Mark und der schnellen Wiedervereinigung. Der Begriff Montagsdemo für die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen sei falsch gewählt, "aber die friedliche Revolution 1989 auf keinen Fall desavouiert", sagt der Professor.

Dennoch müssen sich die Ostdeutschen inzwischen Vorwürfe von einigen Politikern sowie von ihren Nachbarn aus den alten Ländern gefallen lassen, sie seien Nörgler, undankbar den Milliarden-Transfers aus dem Westen gegenüber und für notwendige Reformen nicht bereit. Forndran, der kurz nach der Wende als Gründungsdekan der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften aus Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt kam, nimmt die Ostdeutschen in Schutz: "Den Bürgern in den neuen Bundesländern wurde einiges vorgegaukelt und nicht gehalten." Zudem seien "Demonstrationen ein legitimes Recht", dass man nicht kritisieren sollte.

Die Menschen in den alten Ländern allerdings hätten mehr Demokratieerfahrung, so dass sie, obwohl ebenfalls betroffen, Hartz IV gegenüber eine gewissen Zurückhaltung an den Tag gelegt hätten, räumt Forndran ein.

"Skandalöse Informationspolitik"

Ohne Auswirkung auf die Politik sind die Demonstrationen des Sommers 2004 schließlich nicht gewesen. Es gab einige Nachbesserungen, so beim Kinderfreibetrag, und vor allem war die Regierung gezwungen, endlich zu erklären, was wozu gemacht werden muss. "Zuvor war die Informationspolitik von Regierung und Opposition skandalös", kritisiert Forndran. Gleich nach dem Kompromiss im Bundesrat hätte eine Informationswelle anrollen müssen.

Vor allem der Opposition wirft er Stillosigkeit vor. Den Reformen habe sie zugestimmt, sie an einigen Stellen sogar verschärft und dann dagegen protestiert. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hatte sogar angekündigt, sich an die Spitze der Demonstrationen zu stellen, erinnert Forndran und urteilt: "Die politische Elite hat einiges falsch gemacht."

Die anstehenden Reformen seien notwendig und könnten nicht zurückgenommen werden. Vielmehr hätten sie Jahre eher kommen müssen. Auch deshalb sei von Beginn an klar gewesen, dass die Proteste ins Leere laufen mussten. Ebenso wenig daran ändern werde die aktuelle Ankündigung der Organisatoren der Magdeburger Demos, eine neue Partei "Freie Bürger für Soziale Gerechtigkeit" zu gründen.

Jetzt stünden zwei Dinge auf der Tagesordnung: "Die Arbeit muss billiger gemacht werden, ohne dass die Belastungen bei den Arbeitnehmern wachsen. Und die Qualität der Arbeitskräfte muss verbessert werden, was in Kindergarten und Schule beginnt." Das sei "in der Wissenschaft weitgehend unumstritten". Doch "die Politik reagiert kaum, sondern reduziert die Bildungstöpfe", kritisiert der Wissenschaftler.

(ap)
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