Harsche Kritik an Merz-Äußerungen „Viele CDU-Mitglieder schämen sich für ihren Parteivorsitzenden“

Berlin · CDU-Chef Friedrich Merz steht nun auch in der eigenen Partei heftig in der Kritik – unter anderem aus dem Sozialflügel. Anlass sind seine Aussagen über Zahnarztbehandlungen für abgelehnte Asylbewerber.

Friedrich Merz: Porträt des CDU-Politikers
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Das ist Friedrich Merz

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Der Vize-Chef des CDU-Sozialflügels Christian Bäumler forderte Merz auf, seine Äußerungen zurückzunehmen oder auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. „Die Entgleisungen von Merz sind mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Viele CDU-Mitglieder schämen sich für ihren Parteivorsitzenden“, sagte Bäumler der Deutschen Presse-Agentur. Merz spalte die CDU.

Merz hatte gesagt, abgelehnte Asylbewerber ließen sich in Deutschland die Zähne machen und nähmen so Deutschen beim Zahnarzt die Termine weg. Kostenpflichtiger Inhalt Unseren Faktencheck dazu lesen Sie hier.

Bäumler ist der stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). Zuvor hatten bereits SPD, Grüne und Linkspartei Merz für dessen Äußerungen kritisiert. Wörtlich hatte der CDU-Chef dem Fernsehsender Welt gesagt: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebenan kriegen keine Termine.“

Auch von der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), kam scharfe Kritik an Merz‘ Äußerungen. „Es werden Ressentiments geschürt und Falschbehauptungen aufgestellt.“ Mit solchen Äußerungen würde „die Axt an den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gelegt, sagte Alabali-Radovan der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag).

Zuvor hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Zahnarzt-Äußerungen von Merz kritisiert. „Was Herr Merz vorgetragen hat, entspricht nicht der rechtlichen Lage in Deutschland. Ich finde, dass man besser auf seine Worte aufpassen sollte“, sagte Scholz im „Interview der Woche“ des SWR.

„Schnappatmung“ – Merz reagiert auf Landesparteitag

Der CDU-Vorsitzende reagierte auf die Debatte um seine Äußerungen auf einem Landesparteitag der sachsen-anhaltischen CDU in Magdeburg – und verteidigte sich. Man müsse zu diesem Thema auch mal etwas Kritisches sagen können. Die Republik müsse nicht in „Schnappatmung“ verfallen, wenn man auf drohende Überforderung hinweise, sagte er am Samstag. Auch der frühere Bundespräsident Joachim Gauck habe kürzlich vor einem drohenden Kontrollverlust in der Migrationspolitik gewarnt.

Merz forderte Bundeskanzler Scholz außerdem dazu auf, spätestens nach den Wahlen in Bayern und Hessen am nächsten Wochenende gemeinsam eine Lösung in der Migrationspolitik zu suchen. Man sollte dazu gleich am anderen Morgen zusammenkommen, schlug Merz vor.

Was sagt die Wissenschaft?

Sogenannte Pull-Faktoren spielen laut Lukas Fuchs vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin kaum eine Rolle in der Flucht- und Armutsmigration. Solche Modelle taugten nicht, um die Komplexität von Migrationsbewegungen zu verstehen, sagte der Migrationsforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Fuchs nannte es „geradezu infam“, zu unterstellen, dass Menschen ihre Heimat verließen, um sich in Deutschland die Zähne machen zu lassen. Die Wissenschaft wisse mittlerweile, dass Migrationsbestrebungen sich vornehmlich in Herkunftsländern formierten. Dabei spielten Sicherheit, politisches Klima und wirtschaftliche Perspektiven sowie zunehmend der Einfluss der Erderwärmung eine Rolle. „Also Push-Faktoren, wenn man so will“, sagte Fuchs. Der Begriff „Push-Faktor“ unterstellt aber eine zu große Passivität von Menschen, genau wie der des „Pull-Faktors“. Man könne diese binären Push-Pull-Modelle nicht so ohne Weiteres verwenden.

Bei Migrationsbewegungen spielten Möglichkeiten und Zwänge eine Rolle, und zwar eine Balance zwischen beiden. „Je größer der Zwang, die Heimat zu verlassen - durch Krieg, Vertreibung oder Katastrophen -, desto geringer ist die Rolle der erhofften Perspektiven“, erläuterte der Forscher.

Merz scheine es weniger darum zu gehen, die Gründe für Migration zu verstehen, sagte Fuchs. „Wenn man sich nur auf Pull-Faktoren zurückzieht und behauptet, das seien die entscheidenden Gründe und die können wir steuern und beeinflussen, dann ist das attraktiv für eine populistisch simple Lösung für ein komplexes Problem“, erklärte er. „Und ich fürchte, die CDU bewegt sich in diesem Diskurs immer weiter in diese Richtung.“

Merz als Kanzler geeignet?

Derweil gibt es unter Unionsanhängern deutliche Zweifel an der Eignung von Merz für das Kanzleramt. In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild am Sonntag“ gaben 51 Prozent der Unionswähler an, dass Merz nicht für das Kanzleramt geeignet sei. 36 Prozent trauten ihm den Job als Regierungschef zu.

Die Insa-Erhebung erfolgte am Donnerstag und Freitag mit 1005 Befragten. In ihr gaben 45 Prozent der Unionswähler an, dass Merz aus ihrer Sicht als Oppositionsführer einen guten Job mache; 31 Prozent sagten das Gegenteil.

In der Gesamtbevölkerung meinen der Umfrage zufolge 63 Prozent, dass Merz nicht als Kanzler geeignet sei (geeignet: 20 Prozent). Nur 25 Prozent glauben zudem, dass er als Oppositionsführer einen guten Job macht. Vom Gegenteil sind 51 Prozent überzeugt.

Im Insa-Sonntagstrend kamen CDU und CSU auf 26 Prozent. Das ist ein Prozentpunkt weniger als in der Vorwoche. Auf Platz zwei folgte die AfD mit unverändert 22 Prozent. Die SPD verbesserte sich um einen Punkt auf 18 Prozent und die FDP gleichfalls um einen Punkt auf sieben Prozent. Unverändert blieben die Werte für Grüne (14 Prozent) und Linke (fünf Prozent).

(hebu/dpa/epd/AFP)