Erster Gipfel mit neuem Bundeskanzler Bund und Länder planen vorerst keine neuen Einschränkungen

Berlin · Die Regierungsspitzen der Länder haben mit dem Bund über weitere Corona-Maßnahmen beraten. Besonders strittig waren die Pläne für eine einrichtungsbezogene und eine allgemeine Impfpflicht. Auch die Radikalisierung im Netz kam zur Sprache – mit ersten Aufträgen an die neue Ampelkoalition.

 NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) spricht zu Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz in einer Videokonferenz.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) spricht zu Beginn der Ministerpräsidentenkonferenz in einer Videokonferenz.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Olaf Scholz’ (SPD) erster Bund-Länder-Gipfel als Bundeskanzler dauerte länger als geplant. Zwar wurde aus der Schalte mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten keine Nachtsitzung, wie es sie in der Corona-Pandemie bereits mehrfach gegeben hatte. Doch dass es nun eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP im Bund gibt und die Union in vielen Ländern regiert, sorgte am Donnerstagabend eben nicht für mehr Harmonie zwischen den Beteiligten. Im Gegenteil. 

Ein Ringen gab es beispielsweise um die Frage, wann es zu einer einrichtungsbezogenen und zu einer allgemeinen Impfpflicht kommen soll. Im Entwurf zur Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes, das Bundestag und Bundesrat an diesem Freitag beschließen sollen, ist vorgesehen, dass Beschäftigte in Pflegeheimen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen spätestens ab 15. März 2022 einen Impfnachweis führen müssen. Eine allgemeine Impflicht hatte Scholz zuvor bereits für Februar angekündigt.

Mehrere Ministerpräsidenten verlangten Aufklärung von Scholz. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte die neue Bundesregierung zu einer schnellen Umsetzung der Impfpflicht auf. Es gebe wissenschaftliche Zweifel, dass die bestehenden Corona-Schutzmaßnahmen ausreichten, wenn sich die Omikron-Variante weiter ausbreite, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) nach den Beratungen. Die Beratung über die allgemeine Impfpflicht dürfe sich nicht verzögern. Wegen der vierten Corona-Welle brauche es Tempo, um vor allem ältere Menschen zu schützen. Scholz wies darauf hin, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat nun sehr schnell Inkraft treten werde.

Als Wüst der Ampelkoalition dankte, dass sie das Infektionsschutzgesetz verschärfen werde und den Ländern mehr Möglichkeiten gebe, die Menschen zu schützen, steckte darin auch ein Seitenhieb gegen die neue Bundesregierung. Schließlich hatten SPD, Grüne und FDP sich zunächst mit dem Ende der epidemischen Notlage und einer Neufassung des Infektionsschutzgesetzes durchgesetzt, um es jetzt nur wenige Wochen später abermals zu ändern. Es müsse weiter Voraussicht herrschen, sagte Wüst. „Wir müssen das Fernlicht nutzen und nicht nur auf Sicht fahren.“

Um die Impfkampagne voranzutreiben und wie geplant 30 Millionen Impfungen bis Jahresende zu platzieren, hat der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Inventur angekündigt. Es solle geprüft werden, wo wieviel Impfstoff zur Verfügung stehe, hieß es. Berlins Regierender Bügermeister Michael Müller (SPD) lobte Lauterbachs Agieren in der Bund-Länder-Schalte. Der Minister habe mit tiefer Sachkenntnis auf Detailfragen antworten können, sagte Müller. Neue Einschätzungen zur Omikron-Variante werden in Kürze erwartet.

Weitere Auflagen zu Weihnachten wurden zunächst nicht beschlossen. Der Krisenstab unter der Leitung des Bundeswehr-Generals Carsten Breuer soll in der kommenden Woche tagen. Danach könnte es aber zu weiteren Verschärfungen kommen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte deutlich, man wolle zunächst wissenschaftliche Expertise einholen und schauen, ob die Maßnahmen ausreichten. Notfalls würden kurzfristig auch weitere Entscheidungen auf die Tagesordnung kommen. Er betonte, dass die beschlossenen, sehr weitreichenden Beschränkungen vor allem für Ungeimpfte auch über die Weihnachtstage und das neue Jahr gelten.

Daneben begrüßten Bund und Länder die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission für Kinder von fünf bis elf Jahren, die unter Vorerkrankungen leiden. Müller wies jedoch darauf hin, dass die Stiko-Empfehlung auch Impfungen auf individuellen Wunsch ohne Vorerkrankungen ermögliche.

Einigkeit in der internen MPK-Runde hatte es beim Kampf gegen Hass und Hetze im Netz gegeben. Die Länder wollen erreichen, dass Kommunikationsdienste wie Telegram, die sich faktisch zu einem „offenen sozialen Netzwerk mit Massenkommunikation“ entwickelten, durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz angemessen reguliert werden sollten. Das Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium soll dies nun prüfen. Die Regierungschefs erklärten ihre Solidarität gegenüber den Betroffenen von Hetze und Hass. „Morddrohungen und Fackelaufzüge vor Privathäusern sind inakzeptabel“, hieß es.

Aus den Kommunen kamen vornehmlich positive Reaktionen auf den ersten Bund-Länder-Gipfel mit Scholz als Kanzler. „Der Ansatz, dass die Booster-Impfungen mit hohem Tempo vorangebracht werden müssen, ist richtig. Zudem ist es gut, eine berufsbezogene Impfpflicht bald einzuführen, um etwa Menschen in den Seniorenheimen zu schützen“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, unserer Redaktion. Landsberg vermisste jedoch Klarheit zum Impfstatus. „Die vom neuen Bundesgesundheitsminister aufgeworfene Frage, ob für den ,2G-Status’ zukünftig drei Impfungen erforderlich sind, wurde nicht entschieden. Das ist bedauerlich, denn so hätte ein deutlicher Anreiz für die Booster Impfung gesetzt werden können“, sagte Landsberg.

Die Regierungschefs von Bund und Länder widmeten sich am Donnerstag auch dem Thema Migration. Vor dem Hintergrund der Lage an der EU-Außengrenze zu Belarus berieten sie über die Eindämmung illegaler Migration. Es ging auch um die finanzielle Unterstützung des Bundes bei der Aufnahme von Flüchtlingen und bei der Integration. Dafür fordern die Länder und Kommunen, die Bundesbeteiligung über 2022 hinaus zu verlängert. Diese Themen wurden jedoch nur erörtert, konkrete Beschlüsse gab es dazu nicht.

Bereits in der vergangenen Woche hatten sich die Innenminister der Länder für ein härteres Vorgehen gegen illegale Migration und Schleuserkriminalität ausgesprochen. Schleusern soll demnach künftig eine Mindeststrafe von sechs Monaten drohen, die nicht mehr ersatzweise mit einer Geldstrafe abgegolten werden kann, wie die Landesminister bei ihrer Herbstkonferenz forderten. Bisher gilt eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten. Zudem sehen die Länder konkreten Handlungsbedarf beim Bund. Das für Migration zuständige Bundesinnenministerium solle geeignete Maßnahmen gegen die Einschleusung von Asylsuchenden aus Belarus nach Deutschland ergreifen, hieß es. Es war von einem gezielt ausgeübten Migrationsdruck auf die EU-Mitgliedsstaaten die Rede. Damit bezogen sich die Landesminister indirekt auf den autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, der die Migration als politisches Druckmittel missbraucht. Die Europäische Union wirft Lukaschenko vor, dass er gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Minsk hat einfliegen lassen, um sie in die EU zu schleusen und die Lage im Westen zu destabilisieren.

Darüber beriet auch die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihrem EU-Amtskollegen am Donnerstag in Brüssel. Am Rande des Treffen s drang Faeser auf die Einhaltung „rechtlicher Standards“ an der EU-Außengrenze zu Belarus. „Deswegen wäre ein Einsatz von Frontex dort gut. Und was ebenso wichtig für mich ist, ist, dass auch die Hilfsorganisationen jederzeit Zugang zu den Menschen bekommen“, sagte Faeser. Lukaschenkos Vorgehen nannte sie „wirklich skandalös und menschenverachtend“. Er nutzte die Notlagen der Menschen aus, um Politik nach Innen zu machen. „Für uns ist es entscheidend, dass es da auch eine Zusammenarbeit innerhalb der EU gibt“, so die Innenministerin. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Brüssel nahm sie in Berlin auch an den Bund-Länder-Beratungen teil.

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