So lief die MPK Hartes Ringen zwischen Merkel und den Ländern

Berlin · Die Kanzlerin muss eine Runde verärgerter Länderchefs moderieren – und macht die Impfstrategie jetzt zur Chefsache. Der Bewegungsradius in Hotspots wird auf 15 Kilometer eingeschränkt. Betroffen ist davon vor allem Ostdeutschland.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zwischen Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zwischen Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Foto: AP/Michael Kappeler

Was gebe es Schöneres, scherzt die Bundeskanzlerin zu Beginn mit dem CSU-Vorsitzenden, als sich an einem solchen Tag im Kanzleramt aufzuhalten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat am 5. Januar Geburtstag, er wird 54 Jahre alt. Doch nach diesem Auftakt der Ministerpräsidentenkonferenz ist es schon vorbei mit der Harmonie im Kanzleramt. Angela Merkel und die 16 Länderchefs ringen hart um die nächsten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise, die Nerven scheinen bei vielen angesichts der nach wie vor hohen Infektionszahlen blank zu liegen.

Am Dienstagmorgen sieht alles noch nach einer kurzen Schaltkonferenz aus. Man sei sich einig, die bestehenden Regelungen des Lockdowns bis zum 31.Januar zu verlängern, ist aus dem Kanzleramt zu hören. Doch dann wird der Konferenzbeginn um drei Stunden auf 14 Uhr verschoben, kein gutes Omen. Die Zeit der Schuldzuweisungen hat begonnen – die Länderchefs, vor allem die der SPD, schießen sich auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein, den sie für den holprigen Impfstart verantwortlich machen.

Die Kanzlerin hat alle Mühe, Spahn aus dem Schussfeld zu nehmen. Es ist ihre erste Konferenz mit den Ministerpräsidenten im neuen Jahr, dem letzten ihrer über 15-jährigen Amtszeit. Merkel möchte das Land im Herbst nicht im Krisenzustand übergeben, an der erfolgreichen Überwindung der Krise und der Rückkehr zu wirtschaftlicher Prosperität hängt auch ihr guter Ruf. Sie hat seit dem letzten Frühjahr unzählige dieser Bund-Länder-Konferenzen geleitet, doch zufrieden kann sie auch nach zehn Corona-Monaten mit dem gemeinsamen Krisenmanagement nicht sein.

Die Ministerpräsidenten verhinderten lange Zeit die von Merkel geforderten härteren Einschränkungen, erst Mitte Dezember willigten sie in den härteren Lockdown ein. Das Ergebnis ist bisher unbefriedigend, auch wegen der Verzögerungen. Die Zahl der Neuinfektionen sank kaum und die der Todesfälle schon gar nicht – noch dazu ist in den jüngsten Zahlen das Infektionsgeschehen von Weihnachten und Silvester noch nicht enthalten.

 „Wir werden in einigen Bereichen die Maßnahmen verschärfen müssen“, sagt Merkel am Abend. Künftig dürften sich die Bürger wie schon im Frühjahr nur noch mit einem Menschen außerhalb ihres eigenen Haussstands treffen. Der Bewegungsradius in Regionen mit besonders hohen Infektionszahlen werde eingeschränkt.

Eigentlich wollte Merkel nach dem Schock über die überfüllten Ski- und Wandergebiete am Wochenende im Harz, im Nordschwarzwald oder in Bayern den Bewegungsradius schon ab Inzidenzwerten von 100 Infizierten pro 100.000 Einwohner auf 15 Kilometer beschränken, das hätte fast die gesamte Bundesrepublik betroffen. Doch die Länderchefs halten das für überzogen und auch für rechtlich problematisch. Sie pochen auf einen eingeschränkten Radius in Regionen mit Inzidenzwerten ab 200, betroffen sind vorerst nur 67 Landkreise vor allem in Sachsen und Thüringen. Am Ende setzen sich wieder die Länder durch.

Ärger hat die Kanzlerin auch wegen des holprigen Impfstarts. Ihr Parteifreund Spahn steht massiv unter Druck, weil ausgerechnet im Land der Erforschung des ersten Impfstoffs von Biontech nicht genügend Impfdosen bereit stehen. Die SPD gibt einen Vorgeschmack darauf, dass für sie das Superwahljahr begonnen hat und sie den Frieden in der großen Koalition endgültig aufkündigt. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz fordert in einem vierseitigen Fragenkatalog von Spahn rasche Aufklärung, warum er nicht mehr Impfstoff bestellt hat. Auch die meisten Länderchefs teilen, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit, die Kritik am Gesundheitsminister.

Merkel macht die Impfstrategie kurzerhand zur Chefsache. Eine Regierungsarbeitsgruppe soll Spahn helfen, die Impfstoffknappheit rasch zu beheben. Und der Minister lässt in aller Eile Konzepte entwickeln, wie mit der Knappheit besser umzugehen ist: Statt fünf sollen nun sechs Dosen aus einem Impfstof-Fläschchen gezogen werden.

 Auch Merkel ärgert sich über die Länder. Nicht nur vermisst sie eine bessere Information der Bürger über Impfmöglichkeiten vor Ort, auch fehlt weiterhin eine einheitliche Strategie der Länder in der Schulpolitik. Am Dienstag behalten sich wieder einige Länder mit geringeren Infektionszahlen vor, schon früher als Ende Januar zum Präsenzunterricht zurückzukehren, zumindest in den Grundschulen.

„Das war eine schwere Ministerpräsidentenkonferenz“, resümiert Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Abend nach fast fünf Stunden. „Es war ein sehr ehrlicher Tag“, sagt Geburtstagskind Markus Söder.

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