Interview mit Annette Schavan Ministerin stimmt nicht wie Merkel

(RP). Interview Im Streit um Patientenverfügungen hat sich Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) erstmals positioniert. Sie favorisiert einen anderen Gesetzesentwurf als die Bundeskanzlerin.

 Forschungsministerin Schavan hat ein Experiment zur Düngung der Weltmeere erlaubt.

Forschungsministerin Schavan hat ein Experiment zur Düngung der Weltmeere erlaubt.

Foto: AP, AP

Brauchen wir noch in dieser Wahlperiode ein Gesetz zur Patientenverfügung?

Schavan Nach den intensiven Debatten, die wir geführt haben, sollten wir uns jetzt entscheiden. Wir sind es denen schuldig, die in konkreten Situationen im Krankenhaus handeln müssen.

Für welche Regelung stimmen Sie?

Schavan Ich bin für eine Lösung, die der Pflicht zum Schutz des Lebens gerecht wird, wie sie der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach vorgeschlagen hat.

Kritiker werfen Bosbach vor, dass sein Vorschlag bürokratisch sei.

Schavan Der Vorschlag ist nicht bürokratisch. Er stellt für die Situation Bedingungen, in der ein Mensch auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten möchte — auch wenn er Aussicht auf Heilung hat. Für eine solche Patientenverfügung fordert er eine ärztliche Beratung, und die ist wichtig, weil die Medizin schnell voranschreitet. Die notarielle Beglaubigung zeigt, dass die Entscheidung nicht spontan zustande gekommen ist. Wer nur dann auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten möchte, wenn er unheilbar erkrankt ist, der kann dies in einem einfachen Schriftstück erklären.

Haben Sie Verständnis für Menschen, die sagen: Ich möchte am Ende nicht an Schläuchen hängen?

Schavan Selbstverständlich habe ich dafür Verständnis. Aber viele Menschen verdanken den Schläuchen ihr Leben. Die Intensivmedizin ist auch ein Segen. Wir dürfen zwei Versuchungen nicht erliegen: Der einen Versuchung, zu glauben, Menschen könnten das Ende selbst herbeiführen, und der anderen Versuchung, so zu handeln, dass ein Mensch nicht sterben darf. Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine zivilisierte Gesellschaft das Leiden der Menschen verhindern kann.

Hat der Mensch es denn in der Hand, in Würde zu sterben?

Schavan Ich habe kürzlich in einem Seniorenstift ein Ehepaar kennengelernt. Der Mann erzählte, er habe sich das Ende immer so vorgestellt: Er lebt weiter wie bisher, wacht plötzlich auf und stellt fest, dass er tot ist und die Hand seiner Frau spürt. Diese Sehnsucht steckt verständlicherweise in jedem Menschen. Aber wir wissen auch, dass es so nicht sein wird. Der entscheidende Punkt ist aber, dass der Mensch in der Phase des Sterbens menschliche Zuwendung erhält.

Was raten Sie einem 70-Jährigen, der heute eine Patientenverfügung erstellen möchte?

Schavan Es gibt schon heute die christliche Patientenverfügung. Sie legt fest, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben können, wenn nach bestem Wissen und Gewissen festgestellt wird, dass jede lebenserhaltende Maßnahme ohne Aussicht auf Besserung ist und das Sterben nur verlängern würde. Meine Mutter hat eine solche Patientenverfügung geschrieben. Sie hat uns Kinder dringend gebeten, ihren Willen zu respektieren. Eine Patientenverfügung ist auch eine Hilfe für die Familie, die am Krankenbett Entscheidungen treffen muss.

Wird in unserer Gesellschaft zu wenig über Sterben und Tod gesprochen?

Schavan Augenscheinlich ist das heute so. Ich erinnere mich noch daran, dass mein Großvater in der Wohnung der Großeltern aufgebahrt war und die Familie Abschied nehmen konnte. Das ist ein Bild aus meiner Kindheit, das ich nicht vergessen habe. Das war ein sehr würdiges Abschiednehmen im Kreis der Familie. Das ist heute nicht mehr üblich. Die Hospize sind aber ein guter neuer Weg, das Sterben nicht auszugrenzen, sondern ihm Raum zu geben.

(RP)
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