Zukunft der Atomkraft Minister Röttgen zwischen allen Stühlen

Berlin (RPO). Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) unternimmt derzeit alles, um in der Atom-Debatte das Heft des Handels in der Hand zu behalten. Am Wochenende überraschte Röttgen Freund und Feind mit seiner Erklärung, die Verlängerung der Restlaufzeiten so schnell wie möglich rückgängig machen zu wollen. Während Parteifreunde an diesem Vorhaben Zweifel haben, gehen die Energiekonzerne auf Konfrontationskurs. Ihr Drohmittel: Geld.

 Die Minister Brüderle und Röttgen einigten sich auf einen energiepolitischen Sechs-Punkte-Plan.

Die Minister Brüderle und Röttgen einigten sich auf einen energiepolitischen Sechs-Punkte-Plan.

Foto: dapd, dapd

Norbert Röttgen prescht vor. Der Chef der NRW-CDU scheint aus seinen Fehlern im Zuge der Biosprit-Debatte gelernt zu haben. Als die Welle der E10-Empörung zum ersten Mal durch die Nation schwappte, zögerte sein Ministerium lange mit klaren Ansagen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nutzte seine Chance und lud medienwirksam zum E10-Gipfel ins Wirtschaftsministerium ein. Der Liberale stahl Röttgen die Show — bei einem wichtigen energiepolitischen Thema stand Röttgen in der zweiten Reihe.

2022 — das magische Jahr

Beim Thema Atom will es der Meckenheimer anders machen. Am Wochenende forderte Röttgen eine eindeutige Kehrtwende. "Wir korrigieren unsere Beschlüsse vom vergangenen Herbst", sagte Röttgen der Zeitschrift "Super Illu" im Hinblick auf die von schwarz-gelb beschlossene Laufzeitverlängerung. Ein entscheidendes Ergebnis der derzeit laufenden Stresstests steht für Röttgen bereits fest. "Auf den Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges ist keine dieser Anlagen ausgelegt", so der Minister. Im Klartext: Gilt wieder der rot-grüne Ausstieg, geht 2022 der letzte Meiler vom Netz.

Mit dem Wirtschaftsminister einigte sich Röttgen Medienberichten zufolge bereits auf einen Sechs-Punkte-Plan zum schnellen Ausstieg aus der Kernkraft. Der Plan, über den Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag mit den Ministerpräsidenten beraten soll, sieht unter anderem den schnelleren Ausbau der Stromnetze und eine Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramms für bessere Wärmedämmung auf zwei Milliarden Euro vor. Das Signal ist eindeutig: Röttgen macht Druck, Röttgen will schnell handeln.

FDP tritt auf die Bremse

Seinen Kollegen aus Union und FDP geht dies offenbar zu schnell. Unionsfraktionschef Volker Kauder lavierte am Wochenende. "Es wird eine Verkürzung der Laufzeiten geben", räumte Kauder im ARD-Interview ein. Der langjährige AKW-Befürworter ließ aber offen, ob damit die gesamte, erst Ende 2010 beschlossene Verlängerung der AKW-Laufzeiten gemeint ist. Dies müsse jetzt während des Atom-Moratoriums festgelegt werden, so Kauder weiter.

Auch die FDP, die sich in den vergangenen Tagen scheinbar als Anti-Atom-Partei neu erfinden wollte, tritt jetzt auf die Bremse. "Unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit, der Versorgungssicherheit und der Klimaverträglichkeit halte ich es für unrealistisch, 2022 das letzte Kernkraftwerk vom Netz zu nehmen", erklärte Generalsekretär Christian Lindner. Wenn die Laufzeiten überhaupt nicht verlängert werden, müssten Kohlekraftwerke gebaut werden, so Lindner weiter. Es bleibe aber bei der FDP-Zusage, dass die bereits abgeschaltetenen Alt-Atomkraftwerke für immer vom Netz bleiben sollen.

Keine Freude bei den Grünen

Bei den Grünen wird Röttgen ebenfalls nicht punkten können — auch wenn er mit seinen Plänen nachträglich die Energiepolitik der Schröder-Fischer-Regierung adelt. Denn die Grünen wollen inzwischen noch schneller raus aus der Atomkraft. Bereits in sechs Jahren soll nach neuen Berechnungen der Grünen der Stecker gezogen werden. Erneuerbare Energien sollen schneller und besser gefördert, Bestimmungen beim Hausbau oder für neue Elektronikgeräte sollen verschärft werden. Wo nötig, soll der Staat diese Investitionen mit neuen Milliarden aus der Staatskasse fördern. 2017 soll Deutschland dann komplett umgeschaltet haben.

Die Engergiekonzerne schalten indes auf Offensive. Die Betreiber zahlen vorerst nicht mehr in den Fonds für die Förderung regenerativer Energieformen ein. Formaljuristisch sind EnBW, RWE, Eon und Vattenfall dabei offenbar auf der sicheren Seite. Denn die Beiträge sind direkt an die Laufzeitverlängerung gekoppelt. Vereinbart war, dass die Konzerne in den ersten beiden Jahren insgesamt pro Jahr 300 Millionen Euro einzahlen, anschließend sollten 200 Millionen Euro fällig werden. Dieses Geld droht nun dauerhaft auszufallen.

Rechnung für den Bibber-Winter

Rückenwind für den Umweltminister kommt derzeit vor allem aus der Bevölkerung. 43 Prozent der Deutschen sind nach Zahlen des jüngsten "ARD-Deutschlandstrend" für einen Atomausstieg noch vor 2020. Das Festhalten an der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung wünschen hingegen nur 13 Prozent. 68 Prozent geben sogar an, auch dann auf Kernkraft zu verzichten, wenn mit laufenden Meilern der Strom günstiger bleibe. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verliehen die Wähler ihren Forderungen mit dem Stimmzettel Nachdruck.

Ob sich diese Stimmung hält, wird die Zeit zeigen. Dass bei einem schnelleren Ausstieg die Energiekosten für Privatverbraucher steigen werden, ist bei Experten unumstritten. Zudem erhalten viele Haushalte erst in den kommenden Monaten ihre genaue Abrechnung der Heizkosten aus dem Bibber-Winter 2011. Der Debatte um AKW-Sicherheit wird wohl schon bald durch eine Energiekosten-Debatte abgelöst. Bleibt die Zustimmung in der Bevölkerung für Röttgens schnellen Ausstieg derart hoch, wenn die Rechnung auf dem Tisch liegt? Dies wissen heute weder die Energiekonzerne — noch Umweltminister Röttgen.

(mit Agenturen)
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