100 Tage Innenminister Minister Friedrich — der sanfte Sheriff

Berlin/Washington (RP). Hans-Peter Friedrich ist nun 100 Tage Innenminister, weil sein fränkischer Parteifreund Karl-Theodor zu Guttenberg über die Plagiats-Affäre stürzte und Thomas de Maizière das Verteidigungsministerium übernahm. Der CSU-Politiker Friedrich bedient viele Klischees, passt aber in keine Schublade.

Das ist Hans-Peter Friedrich
9 Bilder

Das ist Hans-Peter Friedrich

9 Bilder

Ein gläserner Büffeltänzer — Janet Napolitano, die Chefin des mächtigen US-Heimatschutzministeriums, hatte auch schon mal passendere Geschenke. Hans-Peter Friedrich, der sich der Kollegin gerade als neuer deutscher Innenminister vorgestellt hat, nimmt die schillernd-ekstatische Tanzfigur aus Napolitanos Heimatstaat Arizona höflich entgegen. Die Erklärung Napolitanos, die Plastik möge daran erinnern, stets die Wurzeln der eigenen Herkunft zu achten, passt dem konservativ-liberalen Christsozialen gut. Aber dieser exzentrische Tänzer!

Die aufsehenerregende Selbstdarstellung ist nicht Friedrichs Ding. Dann scheinen sich seine ohnehin jedem Kamm verweigernden Locken auf dem Kopf noch mehr zu kräuseln. Schon wieder eine Kamera — muss das nun wirklich sein? In solchen Momenten treten gerade bei Friedrichs USA-Reise die Unterschiede zwischen den beiden CSU-Spitzenpolitikern krass hervor: Guttenberg posierte bei vergleichbarer Gelegenheit geradezu theatralisch auf dem Times Square, flirtete vor dem Weißen Haus mit den Kameras der eigens mit eingeflogenen TV-Teams aus Deutschland.

Friedrich erweckt den Eindruck, am liebsten einen Bogen um alle Mikrofone machen zu wollen. Selbstvermarktung gehört nicht zu seinen vornehmsten Interessen. Aber wenn's denn sein muss, dann macht er halt auch vor den Kameras mal eben eine gute Figur, spricht sendefähige Sätze, die haften bleiben. Aber dann soll es schnell gut sein: Die wirkliche Arbeit ruft.

Und die macht ihm sogar Spaß. Obwohl er zum Amt kam wie ein verirrter Hase zu einer Ladung Schrot. Nur weil er zufällig der Letzte auf der Lichtung war. Eigentlich hatte Friedrich an jenem Montag Anfang März bereits für die nun nachgeholte USA-Reise eingecheckt. Den Flieger vor Augen, hatte sich Friedrich richtig darauf gefreut, nach vielen Jahren bekannte Gesichter wiederzutreffen.

Stattdessen blickte er wenig später in das seines Parteichefs. Sein Büro hatte ihn überzeugt, dass ihn die Nachfolgeregelung für den gerade zurückgetretenen Verteidigungsminister doch etwas angehen könnte. Zügig hatten sich Horst Seehofer und Angela Merkel auf einen Tausch verständigt: Die CDU bekam das Verteidigungsressort von der CSU, weil Merkel schon einen idealen Mann für den Posten hatte: Innenminister Thomas de Maizière. Dafür sollte die CSU das Innenressort von der CDU bekommen.

Mit Blick auf die Strahlkraft des Amtes für eine Partei mit Gesetz und Ordnung im Blut waren alle Führungsleute schnell damit einverstanden. Und mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann war auch die Idealbesetzung sofort greifbar. Alles schien gut. Am nächsten Morgen wollte Friedrich nur noch kurz die Personalie mit absegnen — und blickte in erwartungsvolle Augen.

Innenminister wider Willen

Über Nacht hatte es sich Herrmann anders überlegt. Nach Rücksprache mit seiner Frau wollte er doch nicht mehr für zweieinhalb Jahre nach Berlin wechseln. Auch der ebenfalls in Betracht gezogene bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon hatte nach Rücksprache mit seiner Frau abgewinkt. "Dann musst Du es machen", meinte Seehofer zu Friedrich. Als dieser antwortete, er müsse da erst mal mit seiner Frau ... — unterbrach ihn ein entnervter Seehofer: "Hier ruft jetzt niemand mehr seine Frau an!" Einen Tag später war Friedrich deutscher Innenminister.

Dabei hatte er sich geschworen, das Amt des Landesgruppenchefs mit seinen unglaublichen Einflussmöglichkeiten auf keinen Fall aufgeben zu wollen. Auch seine Vorgänger Michael Glos und Peter Ramsauer hatten nur mit großem inneren und äußeren Widerwillen darauf verzichtet, direkt an der Schaltstelle koalitionärer Macht zu sitzen.

Sehr ungern waren sie ins Wirtschafts- und ins Verkehrsministerium gezogen. Freilich fanden sie dann auch Gefallen daran, mit Milliarden-Etats Politik konkret gestalten zu können. So wie Friedrich der Blick auf die Themenbreite seines Ressorts sofort Freude bereitete: von der inneren Sicherheit bis zur Integration, vom Sport bis zum Katastrophenschutz. Er ist sowohl Aufbau-Ost-, als auch Verfassungs-Minister.

Damit sei dieses Haus der CSU geradezu "auf den Leib geschneidert", meinte Seehofer, als er mit Friedrich vor die Hauptstadtpresse trat. Keine 100 Tage, keine 100 Stunden, ja nicht einmal 100 Minuten nach seiner Amtsübernahme stand er bereits der Bundespressekonferenz Rede und Antwort. Zu sehen war da bereits ein Minister, der die Terrorgefahren nicht kleinredet, zumal er gleich mit dem tödlichen Terroranschlag auf US-Soldaten in Frankfurt befasst war.

Ein Minister, der die Frage nach seiner Einstellung zum Internet spontan beantwortete mit der Gegenfrage: "Waren Sie schon auf meiner Facebook-Seite?" Ein Minister aber auch, der schon als Landesgruppenchef zu Recht wegen seines "eigenen Kopfes" aufgefallen war und von seinen Grundsätzen keinen Millimeter abrückte, sie nicht einmal durch sprachliche Soße im Geschmack verfeinerte. Denn auch als neuer Verantwortlicher für die Islam-Konferenz blieb er bei seinem Einspruch gegen das Bundespräsidenten-Wort vom Islam, der zu Deutschland gehöre. Das sei eine Tatsache, die sich "auch historisch nicht begründen" lasse.

Ressentiments bedient

Damit bediente Friedrich gleich zum Auftakt Ressentiments: Die Islam-Skeptiker sahen in ihm einen Fürsprecher, die Mulit-Kulti-Begeisterten fanden ein neues Feindbild. Wiederholt versuchte Friedrich klar zu machen, dass auch für ihn die Muslime Teil deutscher Realität seien, aber eben nicht Teil christlich-abendländischer Tradition. Zur Bestärkung verwies er auf seine Teilhabe am muslimischen Leben und seine eigene islamische Schwägerin.

Das Etikett "Islam-Gegner" klebten ihm Interessierte gleichwohl immer wieder an. Zumal wenig später auch Seehofer Friedrich in den islamkritischen Passagen seiner Aschermittwochsrede zum Kronzeugen nahm: Der habe "von der ersten Minute an deutlich gemacht, was unsere deutsche Leitkultur ausmacht", lobte Seehofer unter dem Applaus der CSU-Gemeinde.

Doch Friedrich vermeidet zunächst alle neuen Leitkultur-Debatten. Seine erste große Bewährungsprobe ist zugleich eine Bewährungsprobe für das neue Selbstbewusstsein der Freien Demokraten, personifiziert durch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Gallionsfigur der Bürgerrechte. Und damit gleicht Friedrichs Arbeit derzeit einem Permanent-Aufenthalt im Auto-Scooter: Eigentlich wollte er die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze im direkten Gespräch geräuschlos abräumen.

Dazu gab er zwar den Sheriff, aber den liberalen, der von sich aus dem Partner weit entgegenkommt. Doch die Justizministerin legte harte Bandagen an. Der Vorgang eskalierte. Friedrich bediente weitere Klischees und wetterte gegen "linksliberale Fundamentalisten". Die Liberalen scholten ihn daraufhin einen "konservativen Verfassungsgegner".

Dennoch: Zur 100-Tage-Bilanz kommt auch Lob. Als richtig und wichtig bezeichnet der Zentralrat der Muslime Friedrichs Ansätze in der Islampolitik. Nun müssten den Worten Taten folgen. Dafür bleiben Friedrich weitere 1000 Tage. Und dafür, den Nachweis zu bringen, ob das wirklich geht — ein "liberaler Sheriff".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort