Viel Lob für die Kanzlerin Chodorkowskis Freiheit - Merkels Verdienst

Berlin · Dunkelblauer Anzug, perfekt abgestimmte Krawatte. Nur die raspelkurz geschorenen Haare erinnern daran, dass Michail Chodorkowski noch 36 Stunden zuvor in einer Strafkolonie im Norden Russlands einsaß. Nun gibt der ehemalige Yukos-Eigentümer im Berliner Museum am Checkpoint Charly die erste Pressekonferenz nach seiner spektakulären Freilassung.

Der 50-jährige Kremlgegner spricht sanft und leise, schaut immer wieder schüchtern auf die Tischplatte vor sich. Der einst reichste Mann Russlands wirkt wie jemand, der nach Monaten im Gips ganz vorsichtig zum ersten Mal sein Bein aufsetzt.

"Ich bin nicht hierher gekommen, um politische Reden zu halten, sondern um mich zu bedanken", stellt Chodorkowski klar. Sein Dank gilt allen, die auf seine Freilassung gedrängt haben, vor allem aber dem ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und "Frau Angela Merkel", wie Chodorkowski auf Russisch sagt. Welchen Anteil die Bundeskanzlerin daran habe, "dass ich mich heute in Freiheit befinde", will Chodorkowski erst in Berlin erfahren haben.

Genscher kannte er von früher

Kremlchef Wladimir Putin hatte den ehemaligen Ölmilliardär nach zehnjähriger Haft am Freitag überraschend begnadigt. "Als mich der Gefängnisdirektor weckte, sagte man mir, dass ich nach Hause fahre. Dann verschlug es mich gleich nach Berlin. Die Gefängniswachen gingen erst weg, als sich die Tür des deutschen Flugzeugs geschlossen hatte", erzählt Chodorkowski, der offenbar auf Initiative Genschers mit einem Privatjet von St. Petersburg nach Berlin ausgeflogen wurde.

Über die Rolle des ehemaligen deutschen Außenministers sagte Chodorkowski, er habe Genscher von früher gekannt. Als man ihm vorgeschlagen habe, Genscher einzuschalten, habe er sich gedacht, "dass der sicher nichts Schlechtes anrichten wird."

Am 13. November habe er dann über seine Anwälte erfahren, dass Genscher bei Putin ein Entgegenkommen erwirkt habe: Der Kremlchef sei bereit, ein Gnadengesuch von Chodorkowski anzunehmen, selbst wenn es kein Schuldbekenntnis enthält, wie eigentlich in Russland üblich.

Kein Hass auf Putin

Das Gnadengesuch sei für ihn eine Formalität gewesen, so Chodorkowski, aber ein Schuldbekenntnis sei für ihn nie in Frage gekommen. "Hätte ich die Schuld für nicht existierende Verbrechen bekannt, dann hätte ich denjenigen in die Hände gespielt, die 100 000 Yukos-Beschäftigte als kriminelle Vereinigung darstellen wollten."

Chodorkowski sagte, er spüre keinen persönlichen Hass auf Putin. Als Großindustrieller sei ihm klar gewesen, dass er ein "hartes Spiel" spiele. Diese Härte sei übermäßig auf ihn angewandt worden, doch habe man seine Familie in Ruhe gelassen. Deshalb habe er diesen Konflikt pragmatisch und nicht emotional gesehen — ohne "Rache und Hass".

Das Visum gilt für ein Jahr

Trotzdem will Chodorkowski vorerst nicht in seine Heimat zurückkehren. Sein deutsches Visum gilt vorerst für ein Jahr. Den Worten von Putins Pressesprecher Dmitri Peskow, eine Rückkehr sei jederzeit möglich, schenkt der Kremlgegner keinen Glauben. "Erst muss der Oberste Gerichtshof in Russland die Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigten, dass die Anklage im Yukos-Prozess gegen mich und Platon Lebedew fallengelassen wurde."

Der ehemalige Yukos-Chef will sich weder aktiv in die Politik seines Landes einmischen noch die Anteile an seinem zerschlagenen Konzern zurückfordern. "Ich kämpfe nicht um die Macht", sagte er. Zunächst gilt seine Sorge der Familie — Chodorkowski Mutter ist schwer an Krebs erkrankt, was mit ein Grund für seine Begnadigung war.

Merkels Ansehen in Russland ist gestiegen

Die russische Öffentlichkeit verfolgte die Freilassung Chodorkowskis mit überwältigendem Interesse. Der Server des regierungskritischen Journals "Nowoe Wremja", das ein Vorab-Interview mit dem Kremlgegner ins Internet gestellt hatte, brach unter dem starken Ansturm zusammen. Gerade in oppositionellen Kreisen hat die Aktion das Prestige der Bundesregierung und das persönliche Ansehen von Bundeskanzlerin Angela Merkle enorm gesteigert.

Merkel habe Putin immer wieder auf den Fall Chodorkowski angesprochen, so die Publizistin Julia Latynina: "Merkel war die einzige von den europäischen Staats- und Regierungsschefs, die die Freilassung Chodorkowskis erreicht hat. Alle anderen verhielten sich vollkommen impotent." Auch Hans-Dietrich Genscher habe in erster Linie als "Mittelsmann" der Kanzlerin agiert, denn nur sie habe das Kaliber, Putin zu überreden oder ihm etwas zu versprechen.

Das System Putin ist gefestigter denn je

Dabei wird die Freilassung Chodorkowskis nicht als Beginn eines politischen Tauwetters gewertet — im Gegenteil. "Jetzt ist unser politisches System dermaßen betoniert, dass es sogar die Freilassung des wichtigsten politischen Gefangenen leicht übersteht", kommentiert die Internet-Zeitung "Gazeta.ru".

Ähnlich sieht es auch der Politologe Stanislaw Belkowski. "Putin nimmt Chodorkowski nicht mehr als ernste politische Bedrohung wahr. Er versteht, dass Chodorkowski kein Revolutionär ist. Deshalb lässt er ihn frei."

(pst)
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