Deutschtürken Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust

Düsseldorf · Özil und Gündogan stehen für eine Generation von Deutschtürken, die zwei Sprachen und zwei Heimatländer haben. Aus der Empörung über ihr Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten ist daher eine Debatte über Integration und Patriotismus geworden.

 Ilkay Gündogan (Szene aus dem Länderspiel Deutschland - Saudi-Arabien).

Ilkay Gündogan (Szene aus dem Länderspiel Deutschland - Saudi-Arabien).

Foto: dpa/Federico Gambarini

Einst ging es beim Sport um Hingabe und Leidenschaft, um Gemeinschaft und Identität. Inzwischen geht es nur noch um Macht und Geld.“ So steht es in der Kampfschrift „Das wunde Leder. Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen“ von Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer, die in diesen Tagen erscheint. Wäre es wirklich so, wie es in diesem „Manifest wider die Sportdiktatur“ steht, wäre alles anders und viel einfacher. Dann gäbe es keine Fassungslosigkeit über Mesut Özil und Ilkay Gündogan, über ihre Wahlkampfhilfe für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dann gäbe es eine einzige Antwort auf das Warum: Die beiden deutschen Nationalspieler mit türkischen Wurzeln sind ebenso korrumpierbar, wie das System Weltfußball korrupt ist. Abpfiff.

Doch dies war erst der Anpfiff. Auf dem gesellschaftlichen und politischen Feld geht es seitdem um Sport, Nation und Integration und immer wieder um die Frage, warum „die Türken“ eigentlich so türkisch sind – selbst wenn sie zur wichtigsten deutschen Mannschaft gehören. Selbst wenn sie, wie Özil, Deutschland 2014 an die Spitze der Welt gekickt haben. In den Augen des Publikums geht es eben nicht nur um Macht und Geld. Sondern um den Ersatz-Patriotismus, für den die Fußball-Nationalmannschaft seit Bern 1954 herhalten muss und den man zwar ablehnen, aber nicht leugnen kann.

Diesem Ersatz-Patriotismus verschreibt sich der Spielbetrieb. Reverenzen an andere Nationen sind deswegen erst einmal tabu. Die deutsche Nationalmannschaft besteht aus deutschen Spielern und kämpft für Deutschland. Multinationalität ist nur Ausdruck einer modernen Gesellschaft – auch wenn die Weltkicker damit in Wahrheit gar nichts mehr gemein haben.

„Als Demokratie müssen wir es aushalten“

Nun haben Superstar Özil und der reichlich unbedarft wirkende Gündogan in den Augen der Fans gleich drei Fouls begangen. Sie haben die (deutsche) Nation verraten. Sie haben sie an die Türkei verraten, ein Land, mit dem Deutschland innerhalb seiner Grenzen mehr zu tun hat als mit jedem anderen auf der Welt und an dem es sich deswegen besonders intensiv reibt. Sie, die beiden Fußballer, haben darüber hinaus einen machthungrigen Autokraten gestärkt – wobei der letzte Punkt nur politisch denkende Fußballfreunde stören dürfte. „Da liegt etwas wesentlich tiefer, das geht über die beiden Spieler hinaus“, sagte Reinhard Grindel der „Süddeutschen Zeitung“. Der DFB-Präsident hat recht. Jedoch die Gründe in der Flüchtlingskrise von 2015 zu suchen, wie er es tat – darin irrt er.

„Persönlich finde ich die Werbung, die die beiden mit ihrem Erdogan-Foto gemacht haben, zum K...“, beschreibt eine Deutschtürkin aus Düsseldorf ihr Empfinden. „Als Demokratie müssen wir es aber aushalten.“ Sie selbst gehört zu den vielen Menschen, die seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 nicht mehr in das Land eingereist sind, weil sie weiß, dass die Behörden sie bei der Ausreise verhaften würden. Erdogan-Gegner stehen auf Listen, die die Frau, die übrigens nur einen deutschen Pass hat, über Umwege eingesehen hat. Ihr Name steht auch darauf. Wie also kann ein Mann wie Özil, der Tausenden als Vorbild dienen dürfte, einem Despoten, der Menschenrechte und Pressefreiheit mit Füßen tritt, den Ball zuflanken?

Die 1,5 Millionen türkischen Staatsbürger – etwa drei Millionen sind es, wenn die Ethnie gezählt wird – bringt der Wahl-Londoner jedenfalls in Misskredit: Ticken die alle so? Finden die nicht alle den starken Mann vom Bosporus toll, sehen sie in ihm nicht den erfolgreichen Spielmacher der Türkei? Und sind sie damit nicht Außenposten der Türkei – so wie Erdogan es gerne hätte? Die Fragen stehen hinter dem diffusen Unbehagen, das das Zusammenspiel zwischen Deutschen und (Deutsch-)Türken lähmt und behindert. Ausgedrückt hat es sich in den Pfiffen von Leverkusen, die manche als Rassismus interpretiert haben, der sich Bahn brach: Türken raus!

Deutsche Gesellschaft reagiert ratlos auf ihre Türken

Das Gefühl, nur am Rande des Spielfeldes zu stehen, anstatt mitzuspielen, ist Deutschtürken nicht fremd. Fast alle haben zwei Herzen in ihrer Brust, zwei Sprachen, zwei Heimatländer, die sie lieben können. In Deutschland haben die ersten beiden Generationen erlebt, dass ihre zweite Identität nicht erwünscht war: kein Türkisch als Unterrichtsfach in der Schule. Umgekehrt aber auch keine Intensiv-Deutschkurse, wie sie später für Aussiedler und Flüchtlinge selbstverständlich waren. Kein Schüler lernte im Unterricht etwas über die lange und intensive gemeinsame deutsch-türkische Geschichte. Das verdross gebildete Schichten. Von Familien wurde verlangt, sie sollten zu Hause nur Deutsch sprechen.

Inzwischen ist längst Konsens, dass Mehrsprachigkeit ein Kind bereichert und nicht verwirrt – doch stehen diese wenigen Beispiele für die Ratlosigkeit, mit der die deutsche Gesellschaft auf „ihre“ Türken reagiert hat. Die wiederum kicken sich gern selbst aus dem Turnier, sind schnell beleidigt und ziehen sich zurück in ihre Kabinen – kein Schiri weit und breit, der schlichten und bestimmen könnte, wie es weitergehen soll. In den Kabinen warten zum Beispiel Imame, die Religion nimmt Frustrierte und Verunsicherte an die Hand, was zu weiteren Verwerfungen führt. Denn der Islam ist den Deutschen schlicht suspekt.

Es gibt indes etwas, für das Deutsche, Deutschtürken und Türken brennen: den Fußball. Alle Fans werden sich vor Freude um den Hals fallen, wenn Özil trifft. Die WM wird zeigen, wie weit die verbindende Kraft des Fußballs reicht. Das Foto mit Erdogan wird dennoch als unentschuldbarer Fehlpass in Erinnerung bleiben.

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