Merz und das Bürgergeld Die Brust ist noch breiter geworden

Analyse | Berlin · Friedrich Merz fährt mit dem Kompromiss zum Bürgergeld einen Sieg ein. Doch der Erfolg ist nur eine Momentaufnahme. Das weiß auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der in Berlin ein Buch über den CDU-Vorsitzenden vorstellt.

Kennen sich lange: Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel (l.) und der Unionsvorsitzende Friedrich Merz. Gabriel stellte in Berlin ein Buch über Merz vor.

Kennen sich lange: Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel (l.) und der Unionsvorsitzende Friedrich Merz. Gabriel stellte in Berlin ein Buch über Merz vor.

Foto: dpa/Carsten Koall

Es ist ein Tag, den man sich als Politiker vermutlich im Kalender rot anstreicht. Erst fährt man am Dienstag einen großen Triumph ein, und das als Oppositionsführer. Dann sitzt man am Abend mit einem ehemaligen SPD-Vorsitzenden bei einer Buchvorstellung über sich selbst zusammen, der den „Friedrich“ überaus lobt, sodass man am Ende gar nicht mehr weiß, wo eigentlich das Trennende zwischen den beiden (gewesen) ist. Friedrich Merz trifft Sigmar Gabriel. Und umgekehrt. Zwei Alphatiere, die aus ihrem Selbstbewusstsein keinen Hehl machen.

Merz hat nach der Einigung im Streit um das Bürgergeld der Koalition auch allen Grund dazu. So sieht es seine Fraktion, weil man alle geforderten Änderungen durchgesetzt haben will, so sehen es am Tag danach die meisten Kommentatoren. Merz sitzt also neben Gabriel und sagt fast gönnerhaft: „Es geht nicht um die Kategorie Sieger und Verlierer.“ Das vielleicht nicht, aber es geht um politischen Erfolg – und den hat Merz eindeutig erzielt.

Er sei überrascht gewesen, ergänzt der Fraktionschef, wie stark die Ablehnung des von der Koalition geplanten Bürgergeldes in der Bevölkerung gewesen sei. Den Umstand wiederum hat die Union geschickt aufgenommen. Und es habe ein „hohes Maß der Geschlossenheit“ gegeben mit den unionsregierten Ländern. Inwieweit das vor allem das Verdienst des Partei- und Fraktionschefs ist, sei einmal dahingestellt. Aber Merzens Brust ist jetzt noch breiter geworden. Der Titel des Buches, „Der Unbeugsame“, geschrieben von den beiden Journalisten Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart, passt dann auch ganz gut zu diesem Tag.

Das Wort unbeugsam trifft allerdings auch auf Sigmar Gabriel zu, der lange Zeit politisch auf der Siegerseite stand, SPD-Chef, Wirtschafts- und Außenminister sowie Vizekanzler unter Kanzlerin Angela Merkel gewesen ist. Inzwischen liegen er und seine Partei öfter über Kreuz, vor allem wegen Gabriels Einwürfen von der Seitenlinie. Der „Friedrich“ sei immer geradlinig gewesen, habe „sich nicht abschleifen lassen“, lobt Gabriel – und ein wenig redet er da auch über sich selber. Beide kennen sich lange. Gabriel ist inzwischen der Vorsitzende der Atlantikbrücke zur Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Das Amt hat er von Merz übernommen.

„Gelegentlich ist es so, dass man in der anderen Partei schneller Freunde findet als in der eigenen“, sagt der Sozialdemokrat. So ist es bei den beiden wohl gewesen – viele Freunde hatte Gabriel in der SPD jedenfalls nicht; und in der Zeit, als Merz um die CDU einen großen Bogen gemacht hat, war er quasi bei den meisten in Vergessenheit geraten. Er selbst räumt an dem Abend ein, dass sein erster Versuch, 2018 in Hamburg Parteivorsitzender zu werden, eine besondere Herausforderung gewesen sei, „weil ich die Partei nicht mehr kannte“. Er verlor dann auch gegen Annegret Kramp-Karrenbauer.

Das Bekanntheitsproblem hat Merz nun nicht mehr. Eher ist es so, dass mach einer von ihm, dem gefühlten Konservativen, anderes erwartet hat. Dem hält Merz entgegen: „Das Gesamtbild der Partei muss stimmen.“ Dass der Erfolg in der Politik nur eine Momentaufnahme ist, wissen sowohl er als auch Gabriel. „Die entscheidende Frage wird sein, hat die Partei eine Erzählung für die Zukunft“, beschreibt Merz seine Aufgabe als Vorsitzender. In der Sozial- und Klimapolitik etwa. Bei Letzterem „liegen wir noch hinter der Kurve“, räumt er ein. Da ist man auf der Suche. Und noch etwas gesteht der Sauerländer: „Ich weiß, dass ich an der einen oder anderen Stelle freundlicher sein könnte.“ Gabriel auch?

(has)
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