Von der Leyen als Präsidentin im Gespräch Merkels Trumpf soll Schwarz-Gelb retten

Berlin (RP). Mit der Nominierung Ursula von der Leyens würde Kanzlerin Angela Merkel die personifizierte Modernisierung der CDU ins höchste Staatsamt hieven. Das Volk wäre wohl angetan, die Konservativen in der CDU dürften die liberale CDU-Ministerin indes nicht so einfach hinnehmen. Der angestrebte Neustart der schwarz-gelben Regierung wackelt.

Ursula von der Leyen - EU-Kommissionschefin und siebenfache Mutter
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Das ist Ursula von der Leyen

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

Dieses Mal gibt es keine Interpretationsspielräume, kein Abwarten und Taktieren. Bei der Nominierung eines Bundespräsidenten kann Kanzlerin Angela Merkel keine Diskussion abwarten, wie sie es sonst so gerne tut. Merkel muss entscheiden. Zügig und überzeugend. Zumal die Koalitionspartner FDP und CSU frühzeitig signalisiert haben, dass sie auf einen eigenen Kandidaten verzichten.

Bis Mittwochabend schien es, als habe Merkel das vor. Noch gibt es keine offizielle Entscheidung, aber die vom Kanzleramt ins Spiel gebrachte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (51) stieß bei CSU und FDP zumindest nicht auf Widerstand. Donnerstagabend will Merkel mit den CDU-Ministerpräsidenten die Personalie in Berlin beraten, am Freitag könnte von der Leyen auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden.

Der ewige Streit ermüdet

Wäre das der erhoffte Durchbruch für das angeschlagene schwarz-gelbe Regierungslager? Einige Antworten sind noch offen. Zwar würde Merkels Koalition Handlungsfähigkeit demonstrieren. Das ist derzeit schon nicht wenig. Immerhin steckt die politische Exekutive in einer tiefen Krise. Seit 1945 war Deutschland auf europäischer Ebene in zentralen Fragen nicht mehr so isoliert wie in der Euro-Krise.

Der ewige Streit in der Koalition (jüngste Episode: Rösler gegen die CSU) hat die weniger werdenden Anhänger von Union und FDP ermüdet. Der Rücktritt scheint vielmehr salonfähig, ja fast zur einzigen Konstante von Schwarz-Gelb geworden zu sein. Erst Arbeitsminister Franz Josef Jung, dann Hessens Ministerpräsident Roland Koch, jetzt der pflichtvergessene und stillose Abtritt des von Union und FDP ins Amt gebrachten Horst Köhler. "Was ist nur los in dieser Republik?", fragte Ex-Außenminister Joschka Fischer.

Eine beliebte Bundesministerin ins Schloss Bellevue zu bringen, dürfte allein aber nicht reichen, um Regierungsfähigkeit zurückzuerlangen. Zumal es ausgerechnet in der CDU beim Namen Ursula von der Leyen gärt. "Sie ist längst nicht so unumstritten, wie es den Anschein hat", sagt ein ranghoher Amtsträger.

Vor allem die Konservativen im Süden und einige ostdeutsche Landesverbände haben mit der Protestantin aus Norddeutschland ihre Probleme. Die Bedenken sollen dem Vernehmen nach am Donnerstag beim "Kaminabend" der Kanzlerin mit den Länderchefs zur Sprache kommen. In der Hessen-CDU, in Sachsen und in Baden-Württemberg soll Finanzminister Wolfgang Schäuble für das höchste Amt im Staate favorisiert werden.

Vielfältige Krisenherde

Nach dem Rückzug Kochs sinnt der wirtschaftsliberale Flügel auf eine Gelegenheit, um in die Offensive zu kommen. Für die Kanzlerin wäre eine Diskussion über ihren Personalvorschlag fatal. Die koalitionären Krisenherde sind vielfältig, und sie lodern.

In ihrer bisher knapp fünfjährigen Amtszeit musste Merkel, die bei internationalen Gipfeln oft am Ende zäher, stundenlanger Verhandlungen auf Touren kommt, nie so viel Stehvermögen beweisen. Dass in NRW nur jeder fünfte Wahlberechtigte sein Kreuzchen bei der Kanzlerinnen-Partei CDU machte, gilt auch in der Regierungszentrale als Alarmzeichen.

Nach Merkels Plan soll nun durch die rasche Nominierung eines parteiübergreifend geachteten Köhler-Nachfolgers und der Präsentation eines Sparpakets wenige Tage später der Neustart von Schwarz-Gelb inszeniert werden. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe spricht in einer E-Mail an die Funktionäre, die unserer Redaktion vorliegt, von einer "Bewährungsprobe" für die Koalition.

Im Kanzleramt weiß man, dass die Suche nach dem Staatsoberhaupt mehr ist als die Besetzung der obersten Planstelle im Bundeshaushalt, Einzelplan 01, Bundespräsidialamt. Wer ins Schloss Bellevue einzieht, muss neues Vertrauen in die Verfassungsorgane, in die Stabilität der Politik schaffen. Ernste Zweifel an der politischen Klasse sind in den vergangenen Tagen laut geworden.

Anstöße für fehlendes Leitbild

Eine unabhängige, politikerfahrene, aber politisch liberale Kandidatin von der Leyen könnte nach der Lesart Merkels nicht nur die Opposition besänftigen, sondern auch inhaltliche Anstöße für das fehlende Leitbild der Regierung geben. Demografie, Migration, aber auch eine familien- und bildungsfreundliche Republik könnten die passenden Themen dazu werden.

Im Idealfall wäre die ehrgeizige Ärztin aus Hannover ein politischer und intellektueller Sparringspartner für Merkel. Bundespräsidentin von der Leyen könnte der Handwerksarbeit der Exekutive einen intellektuellen Überbau geben. So wie es sich Merkel eigentlich auch von der überraschenden Nominierung des weltoffenen und wirtschaftserfahrenen Seiteneinsteigers Horst Köhler erhofft hatte. Nur muss dieses Mal das Doppelspiel zwischen Bellevue und Kanzleramt funktionieren. "Wir haben nur einen Schuss frei", sagt ein CDU-Regierungsmitglied.

Ein Merkel-Kenner bekannte neulich, dass die Kanzlerin seit dem ersten Tag ihrer zweiten Amtszeit nur noch an die dritte Amtszeit denken würde. Die vergangenen Monate dürften im Hinblick auf dieses Ziel dann getrost als verschenkt verbucht werden.

Schafft Merkel es aber nun, bis zum Sommer ein anerkanntes Staatsoberhaupt zu etablieren, ein Sparprogramm zu beschließen und die Streitpunkte Atom und Gesundheit aufzubrechen, kann der Neustart gelingen. Und sollte von der Leyen aufsteigen, hätte sich Merkel nebenbei noch einer Konkurrentin um das Kanzleramt entledigt.

(RP)
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