Zwischenbilanz zum Bürgerdialog Merkels Deutschlandexperiment

Berlin · Sie hat 123 Experten als Berater engagiert, mit Bürgern im Internet und in "Townhall-Meetings" über die Zukunft Deutschlands diskutiert. Fast 30 Stunden nahm sich Kanzlerin Angela Merkel trotz Euro-Krise und Koalitionschaos persönlich Zeit für den "Deutschland-Dialog". Am Montag zog Merkel nun eine erste Zwischenbilanz des Politikexperiments. "Besser als gedacht", lautet ihr Fazit.

Zwischenbilanz zum Bürgerdialog: Merkels Deutschlandexperiment
Foto: dpa, Wolfgang Kumm

Für die Physikerin Angela Merkel war der "Deutschland-Dialog" immer schon ein politisches Experiment. Im Spätsommer 2011 hatte Merkel die Idee, jenseits ihres von Krisen geprägten Regierungsalltags ein Forum zu entwickeln, in dem sie mit Bürgern, Wissenschaftlern und Praktikern über die Zukunft des Landes diskutieren könnte. Möglichst breit in der Form, möglichst zielorientiert in der Sache. Und vor allem: jenseits der täglichen Ad-hoc-Politik die langen Linien debattieren.

Drei zentrale Fragen, "Wie wollen wir zusammenleben?, "Wovon wollen wir leben?" und "Wie wollen wir lernen?", wurden als Leitfragen zur Struktur der Gespräche erdacht. 123 Experten wurden ausgewählt, die über viele Stunden und abgeschieden auf dem Sommersitz der Bundesregierung in Schloss Meseberg in fachübergreifenden Arbeitsgruppen über die Zukunft des Landes diskutierten.

Fast 30 Stunden nahm Angela Merkel trotz Krisenpolitik und Koalitionsalltag persönlich an den Sitzungen teil. Parallel dazu konnten Bürger über eine zentrale Internet-Plattform ihre Ideen und Anregungen zu den drei Themenfeldern hinterlassen. Drei Mal tauschte sich die Kanzlerin in öffentlichen Veranstaltungen direkt mit Bürgern aus. Ein bisher einmaliges Politikexperiment.

Buchvorstellung in Berlin

Am Montag legte die Kanzlerin eine Zwischenbilanz in Form eines Buches vor. In dem 240-Seiten-Werk "Dialog über Deutschlands Zukunft" zeichnet der Journalist Christoph Schlegel den Diskussionsprozess zwischen Regierenden und Regierten nach, schildert anschaulich, wie in den vergangenen 15 Monaten Praktiker auf Wissenschaftler und Politiker treffen.

"Es ist besser gegangen, als ich gedacht hatte", sagte Merkel. In den Arbeitsgruppen habe sie eine Kombination "aus freiem Geist und Zielorientierung" erlebt. Die interdisziplinären Teams, das Denken jenseits der eigenen Fachrichtung, war der Naturwissenschaftlerin Merkel ein besonderes Anliegen.

So diskutierte etwa ein Hauptkommissar mit Psychologen, Richtern und Verhaltensforschern über die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Elektrotechniker berieten mit Ingenieuren und Ökonomen über den Wohlstand in Deutschland. Der Entwicklungshelfer rang mit dem Historiker, einer Altersforscherin und einer Kriminologin über das Zusammenleben der Kulturen in einem Land.

Sie hoffe, dass dieses "Netzwerkdenken" auch nach dem Abschluss der Aktion bestehen bleibe, sagte Merkel. Es mangelt nicht an Ideen und Wissen, hatte die Kanzlerin zu Beginn des Dialogs gesagt. "Vielleicht mangelt es an der Verknüpfung der Ideen."

Die Regierungschefin, bislang eher für das nüchterne Abarbeiten der Probleme bekannt, will mit der publikumswirksamen Initiative zeigen, dass das Kanzleramt nicht nur Krisenreaktionszentrum, sondern auch strategische Ideenschmiede sein kann. Angenehmer Nebeneffekt: die als kühl kalkulierende Machttechnikerin bekannte Merkel kann sich mit dem Bürgerdialog und der Beratung durch Experten ein positiveres Image verschaffen. Als Politikerin, die über den Tag hinaus denkt und sich gerne von "außen" beraten lässt.

Nun hoffen die Experten, die ihre Tätigkeit für die Kanzlerin ehrenamtlich absolvierten, aber auch, dass aus ihren gesammelten Ideen auch konkrete Politik wird. Am 28. August wollen die 123 Experten, darunter 20 aus Nordrhein-Westfalen, Empfehlungen für die Politik vorstellen. Ob die Bundeskanzlerin diese angesichts der schwelenden Euro-Krise, aber auch der fehlenden Mehrheiten für ihre Koalition überhaupt umsetzen kann, ist eine andere Frage.

(brö)
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