Kanzlerin im Reich der Mitte Merkels China-Mission

Berlin · Die Kanzlerin bricht an diesem Mittwoch mit sieben Ministern auf ins Reich der Mitte. In der Euro-Krise drängen Wirtschaftsinteressen in den Vordergrund, Menschenrechtsfragen geraten in den Hintergrund.

Februar 2012: Merkel auf Euro-Mission im Reich der Mitte
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Februar 2012: Merkel auf Euro-Mission im Reich der Mitte

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Die Hafenstadt Tianjin nördlich von Peking ist die Heimatstadt Wen Jiabaos, des scheidenden chinesischen Ministerpräsidenten. Hierhin hat Wen Angela Merkel für Freitag eingeladen, dem zweiten Tag ihrer sechsten China-Reise als Kanzlerin. Doch in der 12,5-Millionen-Einwohner-Metropole Tianjin werden Wen und Merkel nicht etwa das Privathaus des chinesischen Regierungschefs, sondern das einzige Airbus-Werk außerhalb Europas besuchen.

Vor den Augen Merkels werde das hundertste in China gefertigte Flugzeug gewissermaßen vom Band laufen — Airbus hoffe auf milliardenschwere Folgeaufträge, hieß es in hochrangigen Berliner Regierungskreisen.

Wirtschaftsinteressen stehen im Vordergrund der zweiten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, zu denen Merkel, sieben Bundesminister, zwei Parlamentarische Staatssekretäre und 20 Spitzenvertreter der deutschen Wirtschaft heute aufbrechen. In der europäischen Schuldenkrise hoffen und setzen die Deutschen auf die Unterstützung Chinas, das wiederholt sein großes Interesse am Erhalt des Euros betont hatte.

Enorme Devisenreserven

China spiele über den Internationalen Währungsfonds (IWF) eine wichtige Rolle bei der Krisenbekämpfung, schon bald etwa bei der Beurteilung der Entwicklung in Griechenland durch die sogenannte Troika von Experten des IWF, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB).

Zudem verfüge China über enorme Devisenreserven von mehr als zwei Billionen US-Dollar und einen mit 460 Milliarden Dollar gefüllten Staatsfonds, den es noch stärker einsetzen könnte, um die krisengeschüttelten Staaten Europas zu stabilisieren. Italien oder Spanien böten für ihre Staatsanleihen hohe Zinsen. "Das ist eine attraktive Investition", hieß es aus Merkels Umfeld.

So virulent und existenziell ist der Kampf um den Erhalt der Euro-Zone für die Kanzlerin, dass dahinter die gesellschaftspolitische Kritik, die Merkel in den vergangenen Jahren hin und wieder in China hat anklingen lassen, zurückstehen muss. Noch vor fünf Jahren hatte Merkel etwa das geistige Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, im Kanzleramt empfangen und damit in der chinesischen Führung für großen Unmut gesorgt.

Doch die Zeiten, in denen Merkel Menschenrechtsfragen, die Unterdrückung von Minderheiten oder die Schikanierung ausländischer Journalisten in ihren Gesprächen auf höchster Ebene eine gewisse Rolle gab, scheinen in der Euro-Krise vorerst vorbei zu sein. Ein Wechsel in der Strategie Merkels gegenüber China habe nicht stattgefunden, beteuern zwar die, die sie beraten und ihr nahestehen. Doch das Wort "Menschenrechte" nehmen auch sie nicht mehr in den Mund, lieber sprechen sie allgemein von der "gesellschaftlichen Situation" in China.

Zurückhaltung bei Menschenrechtsfragen

"Merkel hält sich in Menschenrechtsfragen viel stärker zurück als früher", sagt Eberhard Sandschneider, der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Sie hat einen neuen, pragmatischeren Zugang zu Peking. Mittlerweile betreibt sie eher klassische Machtpolitik. Die Zeit der Belehrungen ist vorbei."

Ob sie in China, etwa beim Empfang der deutschen Botschaft, auch Vertreter der Zivilgesellschaft treffen werde, lässt die Bundesregierung im Vorfeld offen. Würden Namen genannt, verschlechtere dies die Chancen, dass die Betroffenen Merkel tatsächlich zu Gesicht bekämen, hieß es.

Für die Opposition im Bundestag ist die weniger kritische Hinwendung Merkels zum Regime der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt bereits ausgemachte Sache. "Wir erwarten von Angela Merkel, dass sie bei ihrem Besuch in China nicht nur die Interessen der hiesigen Wirtschaft im Blick hat, sondern auch die schwierigen Themen offen anspricht", sagt Grünen-Parteichefin Claudia Roth. "Dazu gehören die Menschenrechte genauso wie die anhaltende Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien durch China."

Doch alle Verhaftungen, Ausweisungen, Versammlungsverbote in China und selbst das Massaker in Syrien sind in ihrer Bedeutung für die Bundesregierung nachrangig, wenn vor der eigenen Tür der Zerfall der Euro-Zone ein realistisches Szenario bleibt. Merkel will in Peking um noch mehr chinesische Unterstützung für die Euro-Zone werben, um den Kauf von Staatsanleihen und um mehr chinesische Direktinvestitionen in Europa.

China mit verlangsamten Wirtschaftswachstum

China habe bereits Anleihen des europäischen Rettungsfonds EFSF gekauft, doch bisher nur im Umfang von mehreren Hundert Millionen Euro. Wenn demnächst der dauerhafte Rettungsschirm ESM seine Arbeit aufnimmt, wären neue Engagements der Chinesen hoch erwünscht. "Die Chinesen wollen ihr Geld sicher und langfristig anlegen. Man muss China vermitteln, dass europäische Staatsanleihen eine gute Investition sind", hieß es in den deutschen Regierungskreisen.

Bei den Verhandlungen kommt Merkel der Umstand zupass, dass China selbst vor großen Problemen steht: Das Wirtschaftswachstum wird sich 2012 gegenüber 2011 merklich verlangsamen: Statt um 9,2 Prozent soll das Bruttoinlandsprodukt nach Prognosen im laufenden Jahr nur noch um acht Prozent zulegen — zu wenig für das Milliardenvolk.

Die chinesische Regierung will daher die ohnehin schon stark gewachsene Zusammenarbeit mit Deutschland nochmals intensivieren. Für die 20 Top-Manager in Merkels Delegation, darunter die Firmenchefs von Siemens und VW, Peter Löscher und Martin Winterkorn, sind das eigentlich beste Voraussetzungen für neue Geschäfte.

(mar/qua)
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