Merkel zu Coronavirus „Das Virus ist da“

Berlin · Lange hat Merkel geschwiegen und Gesundheitsminister Spahn die Cornakrise managen lassen. Jetzt richtet sie sich mit einem drastischen Appell an die Bürger.

Merkel und Spahn zu Coronavirus
Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Angela Merkel hat unzählige Krisen in ihrer 15-jährigen Kanzlerschaft erlebt. Die größten waren die Finanzkrise und die Flüchtlingskrise. Aber noch nie hat sie so eindrücklich von einer „Notsituation“ für Deutschland gesprochen wie jetzt in der Coronakrise. Merkel greift am Mittwoch in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) zu diesem scharfen Schwert, weil anders als bei den anderen Krisen die ganz große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland betroffen sein wird und selbst etwas tun kann - beziehungsweise muss.

Bis zu 70 Prozent der Bürger könnten infiziert werden, solange es weder Therapie noch Impfstoff gebe, sagt die Naturwissenschaftlerin Merkel unter Bezug auf Experten. 2020 wird beides kaum realisiert werden. Jetzt heißt es, den Menschen offen und schonungslos die Lage zu erklären, ihnen Hilfe zu garantieren und Sicherheit zu vermitteln, auch wenn sie an dieser rasenden Lungenentzündung erkranken sollten. Es gehe um das Gewinnen von Zeit, um das Gesundheitswesen nicht zu überlasten. Merkel, eine Frau, die selten eine gefühlvolle Sprache wählt, spricht jetzt anders: „Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“

Dinge, die man sich nicht kaufen kann. An Geld werde ansonsten die Bekämpfung dieser Gesundheitskrise und der daraus folgenden schon jetzt absehbaren schweren Wirtschaftskrise nicht scheitern. Merkel wird dafür alle Register ziehen. Nicht einmal die von der Union so hart verteidigte „Schwarze Null“ – der Verzicht auf eine Neuverschuldung – erscheint da noch sicher. Deutschland sei glücklicherweise finanziell „robust“ aufgestellt, betont sie. Wichtig sei, dass alle staatlichen Ebenen arbeiten könnten, beispielsweise auch die Polizei, und dass wichtige Infrastrukturen funktionierten.

Wochenlang hat Merkel, die Krisenmanagerin, dem jungen Minister Spahn, ihrem einstigen Widersacher, nach außen die Koordination überlassen. Die Kanzlerin zog im Hintergrund die Fäden und kümmerte sich noch um die neue Krise von Flüchtlingen in der Türkei und in Griechenland, den Konflikt in Libyen und vieles mehr. Doch wenn eine Entwicklung wirklich nach einer „Notsituation“ aussieht, kann nicht ausgerechnet die Bundeskanzlerin schweigen.

Spahn wirkt neben ihr aber wie eine starke Säule. Vieles, das Merkel berichtet, erzählt er schon seit Tagen. Aber er drängt sich nun nicht in den Vordergrund, er ergänzt, warnt anschaulich junge, weniger gefährdete Leute vor Sorglosigkeit und Ignoranz, wenn sie trotzdem am Wochenende in den Klub gingen. Auch wenn 80 Prozent der Infizierten milde bis keine Symptome aufwiesen, müssten alle auf ein Stück Alltag verzichten. Spahn sitzt aufrecht, spricht kurz und klar. Merkel bindet ihn immer wieder in Antworten ein. Es ist noch nicht lange her, dass Spahn die Kanzlerin bei einem Parteitag mit einem Beschluss vorführte und diese ihm via Fernsehen kontra gab. Einer möchte wissen, ob sie sich nun wieder besser verstünden. Merkel antwortet kühl: „Aus der Tatsache, dass wir vielleicht in manchen politischen Fragen unterschiedliche Einschätzungen haben - was in einer Volkspartei per se vorkommen muss - zu schließen, dass wir nicht gut zusammenarbeiten könnten, finde ich relativ kühn. Und meinem Wesen fremd.“

Der 39-Jährige Bundesminister, der Ende 2018 erfolglos, aber gestärkt aus der Kampfkandidatur um den Parteivorsitz hervorging und jetzt auf eine erneute Kandidatur zugunsten von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet verzichtet, genießt inzwischen Merkels Anerkennung. Sie sagt sogar: „Ich finde, dass Jens Spahn einen tollen Job macht gerade, in einer schwierigen Situation.“ Sie habe auch einen „Super-Austausch“ mit ihm.

Da wäre dann noch die Sache mit den Veranstaltungen, die abgesagt werden. Die Kanzlerin sagt, es sei nicht das Schlimmste, wenn Fußballspiele nicht wie gewohnt stattfinden könnten. Spahn äußert Verständnis für die Fans, denen das Herz blute, wenn sie nicht ins Stadion könnten. Und was ist mit dem Sonderparteitag der CDU am 25. April zur Wahl eines neuen Parteivorsitzenden mit mehreren Tausend Teilnehmern? Die Partei kann sich seit Tagen nicht zu einer Entscheidung durchringen. Merkel sagt, sie sei ja nicht mehr Parteichefin. Aber: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die CDU nicht an die Regeln hält, die wir uns im gesellschaftlichen Leben auferlegen.“ Das war es dann wohl mit dem Sonderparteitag. Auf Geheiß der Ex-Chefin.

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