Wegen steigender Infektionszahlen Merkel und Länder einigen sich auf weitere Corona-Maßnahmen

Berlin · Die Corona-Zahlen sind zuletzt nach oben gegangen. Kanzlerin Merkel befürchtet im Winter einen weiteren starken Anstieg. Bei einer Videoschalte mit den Bundesländern wurde nun festgelegt: Weitere Lockerungen soll es nicht geben, dafür zum Teil strengere Regeln. Kritik kam von Grünen und dem Lehrerverband.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Markus Söder (CSU - l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Markus Söder (CSU - l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bund und Länder haben sich angesichts gestiegener Corona-Zahlen auf striktere Vorgaben für Feiern und Restaurantbesuche geeinigt und lehnen weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen vorerst ab. „Bund und Länder betonen erneut, dass in Zeiten relevant erhöhter und steigender Infektionszahlen vorerst keine weiteren größeren Öffnungsschritte zu rechtfertigen sind“, heißt es in einem Beschluss, den Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten gefasst hat.

Die steigenden Corona-Neuinfektionszahlen sind nach den Worten von Merkel ein Grund zur Beunruhigung. Es gebe einen deutlichen Anstieg vor allem in Ballungsräumen, sagte die CDU-Politikerin nach den Beratungen. Ein erneuter Shutdown, also ein weitgehendes Herunterfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wie im Frühjahr, müsse unbedingt verhindert werden. Deshalb werde man regional und lokal zielgenau auf Ausbrüche reagieren.

Vereinbart wurde bei den Gesprächen unter anderem, dass Feiern in öffentlichen oder angemieteten Räumen auf maximal 50 Teilnehmer beschränkt werden sollen. Dies gelte, wenn in einem Landkreis innerhalb von sieben Tagen mehr als 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner auftreten. In privaten Räumen soll es demnach keine Vorschriften zur Teilnehmerzahl geben. In dem Beschluss heißt es, es werde dringend empfohlen, in privaten Räumen keine Feierlichkeit mit mehr als 25 Teilnehmern durchzuführen.

Zudem müssen Bürgerinnen und Bürger, die in Restaurant und Bars falsche Angaben zu ihrer Person machen, künftig mit einem Mindestbußgeld von 50 Euro rechnen. Die Wirte sollen zudem die Plausibilität der Angaben prüfen. „Falsche Personenangaben, das ist kein Kavaliersdelikt“, sagte Merkel. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte nach den Gesprächen, man habe nun „eine Philosophie, ein Regelwerk, eine Strategie“. Es gebe eine Art Ampel mit unterschiedlichen Warnsignalen und Stufen, die festlegen, wie ab bestimmten Schwellenwerten an Neuinfektionszahlen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen reagiert werden soll.

Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen hat es auch nach mehreren Stunden Verhandlungen zunächst keine größeren Meinungsverschiedenheiten gegeben. An einem Punkt kündigte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) dem Vernehmen nach aber an, die neue Teststrategie für NRW erst nach den Ferien einführen zu wollen. Merkel habe entgegnet, dass die aber wenig mit den Ferien zu tun habe, sondern vor allem Arbeitnehmer etwa in Altenheimen betreffe. Das soll Laschet so stehengelassen haben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte die neue Teststrategie – und damit andere Quarantänepflichten für Reiserückkehrer – bereits ab dem 15. Oktober greifen lassen. Laschet, Söder und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sollen jedoch gemeinsam auf die Zeit nach den Ferien verwiesen haben. Der 15. Oktober ist jetzt nicht mehr Teil des gemeinsamen Beschlusses, obwohl Merkel die Regierungschefs auf wichtige Änderungen für Pflegepersonal hingewiesen haben soll.

Ein offener Schlagabtausch zwischen den Protagonisten blieb den Angaben zufolge aber aus. Auf einheitliche Regelungen für Privatfeiern konnten sich die Ministerpräsidenten dennoch nicht einigen. Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, und Bouffier sollen vehement gegen einheitliche Vorgaben eingetreten sein. Auch für Schulen gibt es nun keinen einheitlichen Kurs. In dem Beschlusspapier betonen Bund und Länder nur, dass zur Not einzelne Cluster, also Schülergruppen, in Quarantäne geschickt werden sollten, um Schließungen ganzer Schulen zu verhindern.

Katrin Göring-Eckardt: „Bund und Länder agieren in der Corona-Krise nicht vorausschauend. Sie scheinen einmal mehr überrascht zu sein, dass die kaltes Jahreszeit und die nächsten Ferien vor der Tür stehen. Dieses nur Auf-Sicht-Fahren ist unverständlich. Von der Ministerpräsidentenkonferenz bleiben wieder vor allem Appelle und dringliche Empfehlungen. Es fehlt nachwievor an Klarheit, Konsequenz und Verbindlichkeit.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu künftigen Corona-Maßnahmen als unzureichend kritisiert und eine bundeseinheitliche Corona-Ampel für Schulen gefordert. „Wir sind enttäuscht darüber, dass sich in den Beschlüssen keine auf das jeweilige Infektionsgeschehen bezogenen präzisen einheitlichen Vorgaben für Hygieneschutzmaßnahmen an Schulen finden“, sagte Meidinger unserer Redaktion. „Von einer in allen Bundesländern geltenden Corona-Schulampel, die klar regelt, ab welchem Infektionsgeschehen welche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz an Bildungseinrichtungen ergriffen werden müssen, sind wir auch nach einem solchen Beschluss weiterhin meilenweit entfernt.“ Meidinger äußerte die Befürchtung, „dass weiterhin jedes Land an seinen Schulen sein eigenes Ding macht, was die Verunsicherung innerhalb der Schulen sowie bei Eltern, Lehrkräften, Schulleitungen und Schülern weiter befördern wird.“

Er forderte eine Corona-Schulampel, die in jedem Land, in jeder Kommune gelten solle. Demnach könnte sie auf Grün stehen, wenn es vor Ort weniger als 35 Infektionen pro 100.000 Einwohner in der Woche gibt. In dem Fall könnte es bei einem normalen Hygienekonzept mit Masken auf dem Pausenhof und einer Isolierung von Lerngruppen bleiben. Bei mehr als 35 bis 50 Infektionen könnte die Corona-Ampel auf Gelb springen, „beispielsweise mit Maskenpflicht auch für jüngere Schüler im Unterricht sowie erhöhten Testungen“, sagte Meidinger. Ab 50 müssten wieder Abstandsregeln mit Distanzunterrichtsphasen gelten. So eine an das Infektionsgeschehen gekoppelte Corona-Schulampel trage auch den unterschiedlichen Infektionszahlen zwischen den Bundesländern und zwischen innerhalb einzelner Regionen und Kommunen Rechnung, sagte Meidinger. „Dass es dagegen Widerstand in einzelnen Bundesländern gibt, ist für den Deutschen Lehrerverband absolut unverständlich“, so der Verbandschef.

„Wir vermissen auch die Empfehlung und Ankündigung konkreter Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen für Schulen“, sagte Meidinger. „Also beispielsweise den verpflichtenden Einbau von Raumluftfilteranlagen, wenn in Klassenräumen nicht ordentlich gelüftet werden kann, weil beispielsweise Fenster nicht oder nur spaltweise zu öffnen sind.“ Die in den Beschlüssen erwähnte Clusterbildung lasse sich in der Schulpraxis häufig gar nicht umsetzen, etwa in der Oberstufe von Gesamtschulen und Gymnasien sowie an Berufsschulen.

Die Grünen warfen Bund und Ländern vor, in der Corona-Krise nicht vorausschauend zu agieren. „Sie scheinen einmal mehr überrascht zu sein, dass die kaltes Jahreszeit und die nächsten Ferien vor der Tür stehen“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. „Dieses nur Auf-Sicht-Fahren ist unverständlich.“ Es sei richtig, zu schauen, dass die Schulen und Kitas möglichst offen blieben und dass man einen Shutdown verhindere. „Doch wie die Regierung das schaffen will, bleibt unklar. Sie lässt nicht nur die Eltern schulpflichtiger Kinder mit ihren Fragen allein.“ Solidarität brauche Vertrauen in die Maßnahmen. „Daran muss die Bundesregierung dringend arbeiten“, sagte Göring-Eckardt und forderte einen unabhängigen Pandemierat. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, der Schutz gegen das Virus sei lediglich eine politische Verhandlungssache. Nur das sichert das so nötige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürgern in das Krisenmanagement der Regierung“, so die Grünen-Fraktionschefin.

(Mit Material von dpa)
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