Energie-Gipfel im Kanzleramt Merkel sucht Bauplan für die Energiewende

Berlin · Ein neuer Umweltminister und mehr Steuerung aus dem Kanzleramt: Angela Merkel will das Tempo bei der Energiewende verschärfen. Besondere Sorge macht eine drohende Explosion beim Strompreis.

Peter Altmaier - Bundeswirtschaftsminister und enger Vertrauter der Kanzlerin
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Das ist Peter Altmaier

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Die Kanzlerin zeichnet mit ihren Händen eine Kugel, sie soll das große Ganze symbolisieren. Anschließend spricht Angela Merkel im Kanzleramt von einem Meilenstein, den das Treffen am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten bilde. Doch das große Ganze war bei der Energiewende zuletzt ziemlich aus dem Blick geraten, glaubt man dem Kritik-Chor von Wirtschaft, Energiebranche und Umweltverbänden. Die Regierung wusste gar nicht, welches Problem sie zuerst anpacken sollte.

Nun sollen halbjährliche Gipfel das Mammutprojekt auf Spur bringen - und Arbeitskreise. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht große Ratlosigkeit bei Merkel und die Energiewende in der Sackgasse. "Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis", sagt er.

Zentrale Steuerung scheint zu fehlen

Liest man die Tagesordnung des rund dreistündigen Treffens, drängt sich der Verdacht auf, dass es auch eine Tagesordnung von 2011 sein könnte. Sie zeigt, dass die Probleme die gleichen sind, ohne eine Tempoverschärfung droht das Projekt gegen die Wand zu fahren. Die 16 Länder haben eigene Energiekonzepte, jeder will mitmachen, doch die zentrale Steuerung scheint zu fehlen. Aber es scheint nun einen gemeinsamen Willen von Bund und Ländern zu geben, es zu schaffen.

Der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat es auf seine Fahnen geschrieben, die Energiewende besser zu koordinieren - in Gesprächen mit Wirtschaft und Umweltverbänden will er einen Konsens anstreben. Die ersten Reaktionen auf seinen Einsatz - er kündigt 150 Prozent an - sind positiv. "Wir müssen das Ganze im Auge behalten", sagt er. Es könne nicht um "die Addition von 16 oder 25 Einzelinteressen" gehen. Er will den unkoordinierten Ausbau, etwa im Solarbereich, mit dem Tempo beim Stromnetzausbau in Einklang bringen.

Denn nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur summieren sich jetzt schon die Länder-Ziele bei Solar- und Biogasanlagen, Windparks und Wasserkraftwerken auf eine installierte Leistung von 157,3 Gigawatt bis 2022. In dem Jahr sollen die letzten Atommeiler abgeschaltet werden. Die Jahreshöchstlast in Deutschland, also der maximale Strombedarf, liegt in der Regel nicht höher als 80 Gigawatt.
Schon jetzt gibt es so viele Noteingriffe in den Netzbetrieb wie nie zuvor - ebenso bei der Zwangsabschaltung von Windparks mangels Netzkapazitäten zum Abtransport des Stroms.

Es fehlen Speicher, hier ist eine schnelle Lösung nicht in Sicht. Windparks produzieren halt nicht wie Atom- und Kohlemeiler eine zu hundert Prozent planbare Menge Strom. Daher sind zusätzlich auch noch Gaskraftwerke mit einer Leistung von etwa sieben AKW notwendig.

Erst Euphorie, dann der Kater

Bisher fehlt auch ein Preisschild an der Energiewende. Fachleute unken, mit der Energiewende laufe es wie mit der Wiedervereinigung. Erst große Euphorie, dann der Kater angesichts überbordender Kosten. Bisher wird zumindest nicht über einen Öko-Soli diskutiert. Aber es gibt Rufe nach immer neuen Umlagen, die die Bürger zahlen sollen.

Etwa für Extrakosten bei der stockenden Anbindung von Windparks in der Nordsee oder eine Subvention, damit sich neue Gaskraftwerke auch lohnen. Für diese könnte es einen eigenen Kapazitätsmarkt geben, damit sie ihren Strom auch bei viel Wind und Sonne verkaufen können.

Hinzu kommt die Gefahr, dass sich die Solarförderung noch stärker auf die Stromrechnungen niederschlagen könnte. Daher wird auf Druck der Länder über eine Senkung der Stromsteuer diskutiert, die etwa acht Prozent des Preises ausmacht. Nach Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft hat sich die Summe staatlicher Steuern und Abgaben beim Strompreis seit 1998 verzehnfacht. 2011 fielen 23,7 Milliarden Euro an. Mit 13,5 Milliarden Euro entfiel der größte Batzen auf die Förderkosten für erneuerbare Energien.

Alles hängt irgendwie miteinander zusammen, aber oft wird nur an Einzelproblemen herumgedoktert - und Partikularinteressen stehen im Vordegrund. Im Bundeskanzleramt liegt ein vielstimmiger Forderungs- und Vorschlagskatalog vor. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) kann sich eine Teilverstaatlichung der Netze vorstellen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bringt die Gründung eines Bayernwerks ins Spiel, um den nötigen Strom staatlich zu produzieren. Das alte Bayernwerk war im Eon-Konzern aufgegangen.

Stephan Weil, der als Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) für 900 Stadtwerke in Deutschland spricht, sieht ein heilloses Durcheinander. Er vergleicht den Atomausstieg mit dem Schaufeln einer Baugrube ohne eine Ahnung, wie das Haus gebaut werden soll. Merkel und Altmaier wollen nun am Bauplan feilen. "Den Willen dazu haben wir", sagt Merkel. "Jetzt gehen wir an die Arbeit."

(dpa)
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