Die Kanzlerin im Riesenreich Merkel spürt Chinas Macht

Peking · Noch nie hatte der Kommunismus so viel Wirtschaftskraft. Chinas Staatsführung könnte die Euro-Krise lösen und die USA in den Bankrott drängen. Kanzlerin Merkel spürt das neue Selbstbewusstein.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel schaute sich am Freitag während einer Bootsfahrt die südchinesische Millionen-Metropole Guangzhou an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel schaute sich am Freitag während einer Bootsfahrt die südchinesische Millionen-Metropole Guangzhou an.

Foto: dpa, Kay Nietfeld

So machtlos ist die mächtigste Frau der Welt selten. Kanzlerin Angela Merkel erlebt bei ihrem China-Besuch das neue Selbstbewusstsein des Riesenreichs. Kurzerhand hatten Pekings Machthaber in die Reiseplanung eingegriffen. Ein Besuch Merkels bei einer liberalen chinesischen Zeitungsredaktion wurde aus fadenscheinigen Gründen abgesagt, ein Treffen mit einem prominenten Bürgerrechtler kam nicht zustande.

Damit signalisierte die Kommunistische Staatspartei offenbar, was sie von den Äußerungen der Kanzlerin kurz zuvor an der Akademie der Sozialwissenschaften gehalten hat. Merkel hatte die Werteordnung des Westens als vorbildlich gelobt und für einen Pluralismus von Parteien und Meinungen geworben.

Chinas Kommunistenführer mögen solche Appelle nicht. Und das lassen sie die Weltgemeinschaft immer öfter spüren. Die westlichen Staatschefs stehen trotzdem Schlange, um Ministerpräsident Wen Jiabao und Staatschef Hu Jintao zu treffen. Angela Merkel ist — 40 Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen — schon zum fünften Mal in ihrer Amtszeit in Peking.

Doch nie wurde die Verschiebung der machtpolitischen Tektonik so deutlich wie heute. Die Regierungschefin der drittgrößten Volkswirtschaft kommt als Bittstellerin. Chinesische Karikaturen zeigen Merkel mit einem lädierten Euro-Symbol im Gepäck kniend vor der chinesischen Mauer. Chinas Macht ist sein Reichtum. Umgerechnet 2400 Milliarden Euro Devisen schlummern in den Tresoren des wirtschaftlich boomenden Landes. Ein Zehntel davon könnte die Euro-Krise lösen.

Doch China lässt Europa zappeln. Erst müsste die EU verstärkte Anstrengungen unternehmen und Reformen ihrer Haushaltspolitik einleiten, belehrte Wen Jiabao die Kanzlerin bei einer Pressekonferenz. Selbstbewusst, fordernd — das ist der neue Ton in Peking. "Die Diplomatie des Lächelns ist vorbei", fasste es neulich der frühere Vize-Chef im US-Außenministerium, Richard Armitage, zusammen.

Die Partei regiert über 1,3 Milliarden Menschen, ein Fünftel der Menschheit. Das Diktatursystem hat sich im Kern seit der Gründung der Volksrepublik 1949 durch den Bauernführer Mao Zedong nicht verändert. Peking hat das Prinzip "so viel Marktwirtschaft wie möglich, so viel Kommunismus wie nötig", perfektioniert. Während Kritiker mundtot gemacht werden und das Volk unter Zensur und Einschüchterung leidet, dürfen Unternehmen frei produzieren und handeln. In Sonderwirtschaftszonen werden Investoren mit Steuerboni gelockt, der niedrige Wechselkurs beflügelt die Exporte.

In den Metropolen Hongkong und Singapur finanziert die Finanzwelt den Boom. Wer vor zehn Jahren 100 Dollar in chinesische Aktienindizes investierte, hätte heute 400 Dollar verdient. Angelegt in den USA bliebe nur ein mickriger Gewinn. China produziert die Hälfte aller Textilien und Handys auf der Welt, dazu zwei Drittel aller Schuhe und Spielsachen. Zwar verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum 2012 auf "nur" noch 8,5 Prozent. Im Vergleich zur drohenden Rezession in der Euro-Zone wirkt der rote Drache aber kräftig.

Und: Je stärker die Wirtschaft, desto weniger lässt man sich bei kniffligen Themen rein reden. "Die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte ist bei der Führung schwieriger geworden, weil sich die Chinesen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bewusst sind", klagt Amnesty International. China ist mit sich im Reinen. Und will noch mehr. Das Computerspiel "Glorious Mission" des Herstellers Giant ist aktuell ein Verkaufsschlager im Land. Ziel ist es, die westlichen Mächte zu vernichten.

(csi/das/csr)
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