Analyse Merkel schwebt über allem

Düsseldorf · Die englische Sprache bietet die Möglichkeit, ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen. Das führende US-Magazin "Time" hat seine Titelstory über die Bundeskanzlerin mit einer solchen Überschrift versehen: "Why everybody loves to hate Angela Merkel. And why everybody is wrong". Zu Deutsch: "Warum alle es lieben, Angela Merkel zu hassen. Und warum damit alle falsch liegen."

 Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem aktuellen Cover des Magazins "Time".

Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem aktuellen Cover des Magazins "Time".

Foto: Time

Nun ist Hass ein starkes Wort. Selbst die südeuropäischen Demonstranten, die Merkel-Porträts in blöder Regelmäßigkeit mit einem Hitlerbärtchen versehen, hassen die Kanzlerin nicht. Sie sehen in ihr eine Art europäische Gouvernante, die ihnen sagt, was sie wenn nicht wissen, so doch ahnen: dass sie über ihre Verhältnisse leben und sich das mit allerlei Tricks von den nordeuropäischen Steuerzahlern finanzieren lassen.

Für Schuldenfreunde in Europa wie für den Schuldenmacher im Weißen Haus ist Merkel so zur unbequemen Person geworden. Deshalb wird die Kanzlerin international gern zu der Figur aufgebaut, die letztlich mit ihrer Politik finanzieller Zurückhaltung einer Lösung der Krise im Wege steht. Darauf spielt die "Time"-Schlagzeile an.

Daheim ist Merkels Wahrnehmung eine andere. Aus ihren mit Pensionsberechtigung ausgestatteten Elfenbeintürmen rufen 170 deutsche Ökonomen der Kanzlerin zu, sie sei international nicht hart genug. Ihrer Wortmeldung wie so manchem Leitartikel und manchem Oppositionsvorwurf liegt ein gestriger Politikbegriff zugrunde.

Politik ist die Kunst des Kompromisses. Es gibt hier kein Durchregieren, wie es so oft gefordert wird und wie es Merkel selbst in ihren naiveren Anfangstagen als Regierungschefin ankündigte. Sie hat dazu lernen müssen, dass es immer um Interessenabwägung geht, auch darum, deutsche Positionen teilweise zu räumen, um grundsätzliche Ziele zu erreichen.

Nichts anderes tut Merkel. Dass sie dies nicht ausreichend erklärt, wie es Bundespräsident Gauck bemängelt, mag sein. Dass der Bundestag sich überrumpelt fühlt, ist sein gutes Recht. Aber zur Ehrlichkeit gehört: Die Maßnahmen zur Lösung der Finanzkrise durchschauen lediglich wenige Fachleute, die unter extremem Zeitdruck arbeiten müssen, um die innere Dynamik des internationalen Geldverkehrs zu beherrschen.

Der enorme Rückhalt für die Kanzlerin in der Bevölkerung ist durch die bislang milde gebliebenen Krisenauswirkungen zu erklären. Durch eine Reihe von Entscheidungen in der Krise, die in der Rückschau richtig waren, hat sie sich dauerhaft das Vertrauen der Menschen erworben.

Merkel entkoppelt sich damit gleichsam vom politischen Betrieb, selbst ihrer eigenen Partei, die deutlich schlechter als die Chefin bewertet wird. Es wäre falsch zu sagen, die deutsche Politik sei eine One-Man-Show. Es ist eine One-Woman-Show. Die Last auf Merkels Schultern ist ungeheuer. Und das Vertrauen der Deutschen bleibt dabei ihre wichtigste Stütze.

(RP/pst/das)
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