Kanzlerin droht der Atomlobby Merkel schlägt zurück

Berlin (RPO). Die Kanzlerin kann auch anders. Seit Monaten wird ihr vorgeworfen, sie scheue Entscheidungen, lasse die Dinge zu sehr schleifen. In der Auseinandersetzung mit den Atomkonzernen zeigt sie sich plötzlich angriffslustig. Und verbittet sich politische Erpressungsversuche.

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Foto: ddp

Auf Drohungen reagiere sie eher mit dem Gegenteil des Gewünschten, stellte sie am Dienstag klar. Tatsächlich ist offenbar die von den Stromkonzernen verlangte Vertragslösung anstelle einer Brennelementesteuer vom Tisch. Vielmehr streitet die Koalition nun um einen Zusatzbeitrag zur Förderung der erneuerbaren Energien.

"Bei mir ist das immer so: Wenn irgendetwas in Richtung einer Drohung oder eines Gepresstwerdens führt, dann führt das bei mir meistens zu einer totalen Gegenbewegung", sagte Merkel in einem am Dienstag veröffentlichten Video-Interview mit der Mediengruppe Madsack, zu der unter anderem die "Leipziger Volkszeitung" gehört.

Atomlobby abgeblitzt

In einem energiepolitischen Appell hatten sich vergangene Woche Dutzende Manager großer Unternehmen und Prominente gegen die geplante Brennelementesteuer ausgesprochen und für die Atomkraft geworben. Auch hatten die Energiekonzerne mit einem sofortigen Abschalten der Atomkraftwerke gedroht.

Die Bundesregierung lässt die Atomwirtschaft aber nach Informationen der "Financial Times Deutschland" abblitzen. Die Verlängerung der Kernkraftwerks-Laufzeiten, die finanziellen Belastungen und die künftigen Sicherheitsstandards für die Meiler könnten nicht - wie von der Branche verlangt - per Vertrag geregelt werden. "Eine Bindung künftiger Regierungen über Jahrzehnte durch einen Vertrag wäre juristisch und staatspolitisch nicht zulässig", zitiert die Zeitung aus Koalitionskreisen. Nötig sei eine gesetzliche Regelung.

Zusatzaufgabe auf dem Zettel

Für die AKW-Betreiber wäre dies ein Rückschlag. Sie hatten gehofft, über einen "Energiewirtschaftsvertrag" mit der Regierung langfristig Rechts- und Planungssicherheit zu erhalten.

Das CDU-Präsidium unter Merkels Leitung hatte sich bereits am Montag auf ein "klares Ja" zur Brennelementesteuer verständigt und zudem einen Zusatzbeitrag der Atomwirtschaft zum Ausbau der erneuerbaren Energien angemahnt.

Im Gespräch ist in der Koalition nach Informationen unserer Redaktion ein zusätzlicher Beitrag der Stromkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall zwischen einer und zwei Milliarden Euro jährlich. Dieser Beitrag könne in Form von Investitionszusagen in den Ausbau der erneuerbaren Energien im eigenen Unternehmen vertraglich festgelegt werden.

Reformpaket für den Herbst

Die Atompolitik ist nicht das einzige Feld, auf dem sich Merkel nun aktiv zeigt. Auch die schwächelnde Koalition versucht Merkel wieder in die Offensive zu bringen. Mit einer Reihe umfassender Reformprojekte soll Schwarz-Gelb die Zustimmung der Bürger zurückgewinnen. Die Bundeskanzlerin räumte am Dienstag Fehler bei der Darstellung der Politik in der Vergangenheit ein und betonte: "So, wie es war, kann und darf es nicht bleiben." FDP-Generalsekretär Christian Lindner erwartet einen "intensiven politischen Herbst".

Merkel räumte ein, dass die Bundesregierung die Erwartungen der Bürger in den ersten Monaten von Schwarz-Gelb "nicht erfüllt" habe. Dabei seien die Ergebnisse der Regierungspolitik nicht so schlecht. "Sondern es geht einfach auch um die Prozesse, wie wir zu Entscheidungen kommen und das ist für die Menschen nicht stimmig."

Merkel will mehr kommunizieren

Merkel fügte hinzu: "Als Bundeskanzlerin habe ich jetzt in den nächsten Monaten wirklich wesentliche Weichenstellungen für unser Land zu treffen, damit wir unsere Zukunft gestalten könnten." Als Beispiel nannte die Kanzlerin die Bereiche Gesundheit, Finanzplanung, Umgang mit Langzeitarbeitslosen, mit Kindern, mit Zuverdienstmöglichkeiten, die Bundeswehrreform und das Energiekonzept.

Sie wolle, "dass diese Entscheidungsprozesse wirklich so gestaltet werden, dass die Menschen nachvollziehen können, welchen Punkt wir erreichen wollen". Das müsse besser werden. "Und ich als Bundeskanzlerin bin natürlich in hohem Maße dafür verantwortlich und werde auch alle meine Kraft dafür einsetzen", sagte Merkel. Sie fügte hinzu, es müsse "deutlich erkennbar werden, wo geht die Reise hin."

Auch die FDP schöpft Hoffnung

FDP-Generalsekretär Lindner sieht für seine Partei in den kommenden Wochen und Monaten Chancen, die "nicht ungenutzt verstreichen" dürften. Mit den Plänen zur Aussetzung der Wehrpflicht, zur Neuregelung von "Hartz IV", zur Steuervereinfachung und zum Bürokratieabbau habe die schwarz-gelbe Koalition "ein paar große Pflöcke" eingeschlagen, für die die FDP bereits bei der Bundestagswahl eingetreten sei. Er betonte: "Insofern sind diese politischen Felder - wenn wir sie erfolgreich bearbeiten -Voraussetzung dafür, dass die FDP wieder an Zustimmung, an Vertrauen, an Glaubwürdigkeit gewinnt."

(DDP/pst)
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