Parteichef neben der Spur Die FDP steckt in der Formkrise

Meinung | Berlin · Eigentlich sollten die Liberalen in den Zeiten von rechtem Populismus und rot-schwarz-grünem Dirigismus größten Zulauf genießen. Doch Parteichef Christian Lindner ist eher neben der Spur.

 FDP-Parteichef Christian Lindner. (Archiv)

FDP-Parteichef Christian Lindner. (Archiv)

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Das größte aktuelle Problem der FDP hängt mit einer Entscheidung zusammen, deren Folgen SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Kurznachrichtendienst Twitter auch optisch auf den Punkt gebracht hat. Kaum lief die Kritik von FDP-Chef Christian Lindner am Klimapaket der Bundesregierung als „Sammelsurium von unkoordinierten Einzelmaßnahmen“ über die Medienkanäle, setzte Klingbeil folgenden Tweet ab.

Aus dem „besser nicht regieren als falsch zu regieren“ ist ein „besser recht behalten als wahrgenommen zu werden“ geworden. Lindner steckt nun in einer Formkrise, und die ganze FDP mit ihm.

Als die FDP Anfang September trotz gespürten Zuspruchs sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, brachte Lindner das auf die Formel, in der Vergangenheit sei die FDP auch aus taktischen Gründen gewählt worden, nun sei sie aus taktischen Gründen nicht gewählt worden. Er meinte damit, dass die Menschen in den beiden Ländern die AfD nicht als Platz-1-Sieger hätten sehen wollen und sich deshalb einmal für die CDU und einmal für die SPD entschieden.

FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki reichte das als Aufarbeitung nicht. Er knöpfte sich den Befund vor, dass vor allem die älteren Wähler der FDP den Rücken gekehrt hatten und beklagte, dass der „sehr juvenile Auftritt“, also das betont jugendliche Erscheinungsbild der Liberalen, bei den Älteren Spuren zeige. Da sagte nicht nur ein 67-Jähriger einem 40-Jährigen die Meinung. Hier brach sich auch eine grundsätzliche Unzufriedenheit am Erscheinungsbild Bahn. Es geht nicht nur um ein so schwer verständliches Parteitagsmotto wie „Betarepublik“ oder die Entscheidung, im letzten Mai gleich chinesische Schriftzeichen zu nehmen. Es geht um das Gefühl, „zu blass und indifferent“ zu wirken, wie es Thüringens FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich formulierte.

Dabei müssten es gerade Hoch-Zeiten für den Liberalismus in Deutschland sein. Wo sonst finden alle diejenigen noch eine politische Heimat, denen die AfD viel zu rechts, die Linke viel zu links und die politischen Konzepte von Union, SPD und Grünen viel zu dirigistisch und viel zu wenig vom freien Willen der Menschen geprägt sind? Doch die Programmatik der Lindner-FDP wirkt eher auserzählt. Ein „Narrativ, wie Liberalismus im 21. Jahrhundert aussieht“ vermisst nicht nur der Altliberale Burkhard Hirsch. Wenig überzeugend wirkt auch das Bemühen der FDP-Fraktion, den oft als zu technokratisch empfundenen Stil gefühlvoll zu ummanteln. Sachpolitik wird da ergänzt durch die „Liebe zur Freiheit“, die „Leidenschaft für Vernunft“ und die „Lust auf Zukunft“.

Ob die FDP mit diesen gefühligen Worthülsen eine Nation in Bewegung und den Fridays-for-Future-Trend in eine FDP-für-Fortschritt-Richtung zu bringen vermag? „En Marche“, die große liberale Bewegung, die in Frankreich Emmanuel Macron ins Präsidentenamt und ihm dann eine absolute Mehrheit im Parlament brachte, stand konsequent für Neues, für Veränderung, für ein Ernstnehmen der Jugend. Umso verheerender war Lindners erste Reaktion auf die neue Jugendbewegung, nach der man die Klimapolitik den Profis überlassen solle.

Den Rauswurf aus dem Bundestag von 2013 verbinden die Liberalen vor allem mit zwei Ursachen. Zum einen mit ihrer in Jahrzehnten perfektionierten Neigung, Einsatz für die Partei mit dem Sägen am Stuhl der Anderen zu verwechseln. Zum anderen mit einem Geflecht aus Selbstverleugnung, mangelndem Durchsetzungsvermögen und dem Versuch, als bloße Machtfunktionspartei überleben zu können. Motto: „FDP wählen, damit die CDU weiter regieren kann.“ Lindner hat mit dem Dauerstreit aufgeräumt. Wie gründlich, zeigt das Ergebnis der jüngsten Fraktionswahlen: 96 Prozent für einen Verbleib Lindners im Amt. Und damit die FDP nicht wieder als bloßer Steigbügelhalter für die Programme der anderen wahrgenommen wird, hat er Jamaika gesprengt.

Doch die Motivation, sich weiter hinter Lindner zu versammeln, hat mehr mit Erwartung als mit Zufriedenheit zu tun. Keiner könne Lindner das Wasser reichen, sagt etwa Vizefraktionschef Michael Theurer. Doch der Satz geht weiter mit: „Jetzt müssen wir nur noch schauen, dass er auch torgefährlich wird.“ Die FDP gewinnt nicht, weil sie aus der Regierungsliga in die Oppositionsliga gewechselt ist und dort vor allem AfD und Grüne die Zuschauer anziehen.

Die FDP kommt vor allem im Wettstreit mit den Grünen unter die Räder. Ihr Wahlergebnis von 10,7 Prozent konnten die Liberalen in den Umfragen nur während der Koalitionssondierungen halten, danach folgte der Sinkflug auf acht bis sechs Prozent. Die Grünen hingegen haben ihre Werte von 8,9 auf derzeit 27 Prozent hochgeschraubt. Nach der Analyse von Kubicki liegt das daran, dass es den Grünen gelungen sei, „die SPD total zu zerfleddern“. Die FDP habe es dagegen nicht geschafft, „mit der CDU entsprechend umzugehen“.

Insofern läge eine Lösung für eine neue Unterstützung des Liberalismus in Deutschland daran, Perspektiven für liberales Mitregieren zu schaffen. Die neue Erzählung dafür müsste freilich jetzt beginnen statt sich in der Hoffnung erschöpfen, die Zeit bis zu den nächsten Bundestagswahlen irgendwie rumzukriegen.

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