Interview mit Thomas de Maizière "Mein Ehrgeiz an politischen Ämtern ist gestillt"

Berlin · Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière kündigt im Interview mit unserer Redaktion ein neues Konzept für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an und spricht über den Bundestagswahlkampf. Er macht aber auch klar: Er will kein Bundeskanzler werden.

Thomas de Maizière – Kanzleramtschef, Verteidigungsminister, Innenminister
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Das ist Thomas de Maizière

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Foto: dpa, nie pil his

Wird die Bundeswehr ab 2015 auf alle Kampftruppen in Afghanistan verzichten, oder brauchen Sie eine robuste Reserve?

de Maizière Die Nato plant ab 2015 einen Einsatz ohne Kampfauftrag. Die Beteiligung Deutschlands an Ausbildungs- und Unterstützungsleistungen prüfen wir derzeit innerhalb der Bundesregierung. Ich möchte gerne vor der Bundestagswahl darüber politische Klarheit erzielen, damit auch alle wissen, wie es nach unserer Auffassung weitergehen soll. Dazu wird es eine Willenserklärung der Bundesregierung über Auftrag und Größenordnung unseres künftigen Engagements in Afghanistan geben.

Also keine Kampftruppe?

de Maizière Ja, kein Kampfauftrag. Es geht aber immer auch um die Frage, welchen Gefährdungen deutsche Soldaten im Einsatz ausgesetzt sind und wie sie davor geschützt werden. Der Eigenschutz kann, muss aber nicht unbedingt von uns selbst übernommen werden. Das deutsche Lager in Mazar-e-Sharif etwa wird von Soldaten aus der Mongolei und aus Kroatien geschützt. In Mali haben wir auch Sicherungskräfte aus den Reihen der EU zum Selbstschutz. Diese Soldaten können natürlich auch kämpfen, aber sie haben eben keinen Kampfauftrag.

Viele fordern nach der Währungsunion auch eine gemeinsame europäische Armee, um so viel Geld zu sparen.

de Maizière Ob man damit wirklich viel spart, möchte ich bezweifeln. Innerhalb der europäischen Nato-Staaten tragen fünf Länder ungefähr 75 Prozent der Lasten. Bei den anderen hieße eine gemeinsame europäische Armee, dass wir den Schutz und die Kosten auch dafür noch übernähmen. Teilweise haben wir das schon, etwa bei der Luftüberwachung über den baltischen Staaten, die deshalb keine eigenen Flugzeuge dafür vorhalten. Ich bin dafür, dass wir derartiges noch mehr ins Auge fassen. Aber wenn aus großen Ankündigungen harte Realität wird, beteiligen sich doch nicht immer alle mit konkreten und schon gar nicht finanziellen Beiträgen. Wir sollten so viel wie möglich gemeinsam machen, bevor wir uns mit neuen großen Visionen beschäftigen. Ganz abgesehen von den Problemen, die mit einem Verzicht auf jeweilige nationale Kompetenz verbunden wären. Hier gibt es auch verfassungsrechtliche Grenzen. Ich appelliere immer: lasst uns die Spatzen in der Hand pflegen, statt der Taube auf dem Dach nachzujagen.

Während die SPD zu vielen Themen konkrete Konzepte vorlegt, präsentiert die Union bislang nur das Programm "Merkel" für den Wahlkampf. Reicht das?

de Maizière Zunächst ist es doch gut, dass wir starke Persönlichkeiten haben. Die müssen wir nicht verstecken! Es versteht sich doch, dass eine Partei mit einer starken Bundeskanzlerin auch auf sie setzt. Zu meinem Erstaunen hat sich die SPD entschlossen, ihr Wahlprogramm sehr früh vorzulegen. Die Union hat andere Zeitpläne. Wir glauben, dass die Menschen nicht über Monate nur noch Wahlkampf haben wollen. Sie wollen, dass wir gut regieren und die Probleme des Landes lösen. Und seien Sie beruhigt: die inhaltlichen Schwerpunkte unserer künftigen Politik werden rechtzeitig sehr deutlich werden.

Können Sie jetzt schon ein Thema außer Merkel oder Euro nennen, das für die Union programmatisch wichtig ist?

de Maizière Ja, es geht uns um das Ganze. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Egoismus zunimmt, in der viele ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen. Die Aufgabe von Volksparteien kann es nicht sein, Interessen einfach zu addieren. Sie müssen einen Vorschlag machen, wie das ganze Land eine gute Zukunft hat. Das kann auch bedeuten, dass man manche Interessen einfach nicht bedient und deshalb für einige nicht so attraktiv ist.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

de Maizière Nehmen Sie den Mindestlohn. Da wäre es eine klare Position, einen gesetzlichen Mindestlohn für alle zu fordern. Und es wäre eine klare Position, dass die Politik sich aus der Tarifpolitik völlig raushalten muss. Aber beide Positionen sind nicht gemeinwohlverträglich. Ich sage an dieser Stelle: Wo die Tarifpartner nicht funktionieren, wo es in bestimmten Sektionen schlimme Missbräuche gibt, da muss der Staat auf verträgliche Löhne hinwirken können. Diese Position ist nicht spektakulär, aber es ist eben wichtig, das richtige Maß zu finden. Gerade eine Partei mit dem Namen "Union" muss mit ihrem Angebot verbinden und nicht spalten. Das ist für unsere Gesellschaft gut.

Wir stellen uns gerade vor, wie Seehofer und Dobrindt auf bayerischen Marktplätze mit dem Slogan "Gemeinsinn" auftreten…

de Maizière Die CSU hat immer bewiesen, dass sie eine Partei sowohl der kleinen Leute als auch des wirtschaftlichen Wachstums ist, dass sie mit bajuwarischer Liberalität zum Beispiel gegen Rechtsextremismus gekämpft hat — für mich eine echte Volkspartei.

Wenn die Wähler sich für "verbinden statt spalten" entscheiden, wollen sie dann nicht auch die große Koalition?

de Maizière Wir machen ein Politik-Angebot, von dem wir glauben, dass es für das ganze Land das Beste ist. Unser Programm kann nicht daraus bestehen, auf jede einzelne Gruppe zu hören und dann reinzuschreiben, was die alle wollen. Unser Auftrag heißt: Zusammenführen.

Aber Steinbrück, Steinmeier und Gabriel sind nicht Ihre größten Gegner.

de Maizière Dass ich mit den drei Herren in der großen Koalition gut zusammengearbeitet habe, weiß jeder. Aber das heißt gar nichts für die Zukunft. Ich will die Koalition mit der FDP fortsetzen. Wir wollen so stark wie möglich werden, die FDP wird aus eigener Kraft über fünf Prozent kommen. Alle anderen Fragen stellen sich erst nach der Wahl.

2011 sind Sie beim CDU-Parteitag für Ihre Rede über die Werte der Partei gefeiert worden, 2012 haben Sie bei den Vorstandswahlen das beste Ergebnis bekommen. Werden Sie sich noch stärker in der Partei engagieren?

de Maiziere Ich bin erst seit 2005 in der Bundespolitik. Zu meinem Amt als Chef des Bundeskanzleramtes gehörte eine gewisse öffentliche Zurückhaltung. Seit 2009 bin ich Minister. Dazu gehört auch eine öffentliche Rolle. Die nehme ich wahr. Nicht mehr und nicht weniger.

Haben Sie keine Lust auf mehr?
de Maizière Mein Ehrgeiz an politischen Ämtern ist gestillt. Mein Ziel ist es, weitere vier Jahre Bundesminister der Verteidigung zu bleiben.

Als pflichtbewusster Mensch würde Sie aber auch für ein höheres Amt bereitstehen und Kanzler werden?

de Maizière Wie gesagt, mein Ehrgeiz an politischen Ämtern ist gestillt. Ich mache mein jetziges Amt sehr gerne. Wir sind bei der Umsetzung der Bundeswehrreform mitten in einer kritischen Phase. Alle Entscheidungen sind getroffen. Viele haben aber Sorgen, dass es nach der Wahl weitere Veränderungen gibt. Ich möchte gerne für personelle und inhaltliche Kontinuität in der Umsetzung stehen.

Die Zufriedenheit in der Truppe über die Reform könnte größer sein.

de Maizière Bei dieser Art von Umstrukturierung eine allgemeine Zufriedenheit zu erreichen, ist nahezu unmöglich. Wenn Sie einem Feldwebel, der ein Haus gebaut hat, dessen Frau eine Arbeitsstelle in der Region hat, wenn Sie dem sagen müssen, dass seine neue Dienststelle 500 Kilometer entfernt ist, dann ist es unmöglich, Zufriedenheit zu erwarten. Ein Teil der Unzufriedenheit rührt auch daher, dass einige schon wissen, wo sie künftig eingesetzt werden, und andere noch nicht. Für einige wird sich das leider immer noch ein, zwei Jahre hinziehen. Wir versuchen, den personellen Prozess zum Beispiel mit dem Reformbegleitgesetz sozialverträglich zu unterstützen. Viele Umsetzungsschritte bleiben gleichwohl schmerzlich, aber sind doch notwendig.

Wie realistisch ist es, dass die Linken erstmals Einfluss auf die deutsche Sicherheitspolitik bekommen könnten, indem sie mit Rot-Grün regieren oder Rot-Grün tolerieren?

de Maizière Das wäre natürlich verheerend, wenn es dazu käme. Ich höre aber die Versicherung der SPD-Führung, dass es dazu nicht kommen soll.

Linken-Chefin Katja Kipping hat Zweifel, ob diese Zusicherung am Tag nach der Wahl noch gilt.
de Maizière Mein Zutrauen in die Äußerungen von Steinbrück, Steinmeier und Gabriel ist größer als in die Einschätzung von Frau Kipping. Aber ich werbe für ein Wahlergebnis, das die drei Herren nicht in Versuchung führt, über Frau Kippings Erwartungen überhaupt nachdenken zu müssen.

Michael Bröcker und Gregor Mayntz führten das Interview.

(brö/-may)
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