Mehrwertsteuererhöhung Wut und Frust - Stimmung in der Gastronomie „katastrophal“
Exklusiv | Berlin · In der Ampel wirft man sich jetzt gegenseitig vor, für die Anhebung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie verantwortlich zu sein. Die Branche hat die Hoffnung auf Einsicht bei den Koalitionären aber noch nicht aufgegeben - und auch die Länder wollen jetzt Druck machen.
In der Gastronomie versteht man die Mehrwertsteuer-Welt nicht mehr. Lange hat man gekämpft, getrommelt, geworben, eigentlich waren sich Branchenvertreter nach vielen Gesprächen im Vorfeld sicher, dass die Ampel am reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben statt 19 Prozent auf Speisen festhalten würde. Dann kam der Karlsruher Richterspruch, der die Haushaltspolitik vor milliardenschwere Herausforderungen gestellt hat. Und nun?
„In unserer Branche herrscht Frust, völliges Unverständnis bis Wut, zum Teil Verzweiflung und Resignation. Die Stimmung ist nach der Schnellschuss-Entscheidung der Ampel von Donnerstag katastrophal“, so die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Ingrid Hartges, zu unserer Redaktion. Vor einer Woche habe es eine Verständigung der Ampelspitzen gegeben, den reduzierten Steuersatz aus der Corona-Zeit beizubehalten, wie aktuelle Verlautbarungen deutlich machen würden. „Dies war uns auch in zahlreichen Gesprächen signalisiert worden“, so Hartges.
Die Hauptgeschäftsführerin weiter: Angesichts der Haushaltslage die Verlängerung der sieben Prozent „jetzt zuerst zu opfern, ist unreflektiert und respektlos gegenüber einer Branche mit 200.000 Betrieben und über zwei Millionen Beschäftigten“. Die Ampel müsse vielmehr Impulse setzen, „die Arbeitsplätze und Existenzen sichern. Das Gegenteil ist nun der Fall.“ Eine Dehoga-Umfrage hatte unlängst ergeben, dass bei einer Anhebung der Steuer rund 12.000 Gastronomiebetriebe aufgeben könnten wegen weniger Gästen und geringeren Umsätzen.
In der Ampel schiebt man sich derweil die Verantwortung für die Entscheidung gegenseitig zu. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sorgte am Wochenende mit einer Interviewäußerung für viel Ärger unter den Koalitionären. „Wenn alle Parteien an einem Strang gezogen hätten, wäre eine weitere Verlängerung drin gewesen. SPD und Grüne hatten aber andere Prioritäten“, lautete der Vorwurf des FDP-Chefs. Hochrangige SPD- und Grünen-Politiker wehrten ab. Entscheidungen würden in der Ampel gemeinsam getroffen, hieß es. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betonte darüber hinaus die Verantwortung des Finanzministers: „Unter den aktuellen Vorzeichen und dem Primat von Lindner, an der Schuldenbremse festzuhalten, war es am Ende nicht finanzierbar.“ Die Äußerungen des Ministers irritierten daher „schon sehr, da er das wichtige Thema am Ende selbst einseitig von der Tagesordnung genommen hatte“, erklärte Wiese.
Kein gutes Haar an Lindner lässt auch die Opposition. Es sei nicht akzeptabel, dass sich der Finanzminister jetzt hinstelle und seinen Koalitionspartnern die alleinige Schuld an der Steuererhöhung zum 1. Januar 2024 gebe, so die tourismuspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Karliczek (CDU). „Lindner kann nicht einerseits Opposition in der eigenen Regierung spielen, andererseits Finanzminister der kriselnden Ampel sein“, sagte Karliczek unserer Redaktion. Sollte die Steuersenkung beibehalten werden, könnten 100.000 Menschen im Bereich Gastronomie einen neuen Job erhalten. „Das bedeutet drei Milliarden Euro an Einnahmen für den Staat. Damit stünde die Finanzierung“, rechnete die Expertin vor.
Die Hoffnung, dass die Ampel ihren Kurs noch einmal ändern könnte, hat man in der Gastronomie freilich nicht aufgegeben. „Noch gibt es bei den weiteren Beratungen des Haushalts eine Chance, die Maßnahme beizubehalten“, so Hartges. „Wir hoffen sehr, dass die Entscheidung von Donnerstag erneut geprüft und revidiert wird.“ Etwa bei der anstehenden finalen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Druck auf die Koalition kommt zudem jetzt auch aus den Ländern. Die Ministerpräsidentin des Tourismuslandes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), sagte unserer Redaktion: „Ich habe kein Verständnis für diese Entscheidung.“ Die Gastronomie-Branche habe schon während der Corona-Pandemie schwere Zeiten durchgemacht. „Sie hat heute mit hohen Energie- und Lebensmittelpreisen zu kämpfen. In dieser Situation ist eine faktische Steuererhöhung für die Branche nicht akzeptabel.“
Besondres schwierig sei, dass die Ampel-Entscheidung Familien, Kinder und Senioren belaste. „Auch das Kita- und Schulessen sowie das Essen in Krankenhäusern und Pflegeheimen wären betroffen“, betonte Schwesig. Nicht zuletzt deshalb müsse es bei der abgesenkten Mehrwertsteuer bleiben, forderte die amtierende Präsidentin des Bundesrates. „Mecklenburg-Vorpommern wird sich im Bundesrat weiter dafür einsetzen. Das ist für uns ein entscheidender Punkt bei den Beratungen über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, betonte Schwesig.