Bund-Länder-Beratungen Mehr Unterstützung für Kriegsflüchtlinge, mehr Geld für die Länder
Berlin · Die Folgen des Krieges in der Ukraine beherrschten die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz. Besonders strittig: die Verteilung der vielen Kriegsflüchtlinge sowie die Finanzierung für Aufnahme und Integration. Nun sollen Geflüchtete höhere Leistungen gekommen, der Bund macht zusätzlich zwei Milliarden Euro locker. Bis spät in den Abend wurde gerungen.
Bei den Bund-Länder-Treffen gab es lange Zeit kein anderes Thema als Corona. Das hat sich mit dem russischen Krieg in der Ukraine schlagartig geändert. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am späten Donnerstagabend von einem Angriffskrieg mit „dramatischen, furchtbaren Zerstörungen im Land, mit unglaublich vielen Toten“ und mit Millionen von Menschen auf der Flucht. „Dieser Krieg muss sofort beendet werden. Es muss ein Waffenstillstand her.“ Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) folgerte: „Deutschland muss den Menschen in der Ukraine jetzt noch stärker beistehen.“ Die konkreten Pläne standen im Zentrum dieser Beratungen.
Wie sollen die Flüchtlinge verteilt werden?
Die Verteilung der insgesamt 316.453 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die bisher in Deutschland angekommen sind, läuft schleppend. Über den sogenannten Königsteiner Schlüssel wird festgelegt, wie viele Flüchtlinge ein Bundesland aufnehmen muss. Rechengrundlage sind die Steuereinnahmen und die Bevölkerungszahl der Länder. Bisher kommen die meisten Geflüchteten an den Drehkreuzen Berlin, Hannover und vereinzelt in Cottbus an. Bund und Länder wollen nun für eine „zügige und gerechte Verteilung“ sorgen, heißt es im Beschlusspapier. „Das gilt auch für die Verteilung von den Städten in ländliche Regionen.“ Das neue Registrier- und Verteilungssystem FREE soll „zügig überall eingeführt und optimiert“ werden und eine „individualisierte und nachvollziehbare Verteilung auf die Länder und Kommunen“ ermöglichen. FREE wurde speziell für die Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge entwickelt. Doch nach ersten Testläufen gab es massive Kritik von den zuständigen Behörden in den Ländern.
Warum läuft es so schleppend?
Die meisten Menschen aus der Ukraine können für 90 Tage ohne Visum einreisen und in dieser Zeit den Aufenthaltsort frei wählen. Das macht eine vollständige Erfassung bisher unmöglich. Spätestens nach den 90 Tagen müssen sich die Geflüchteten bei den Behörden registrieren. Es sei „unerlässlich“, die Ankommenden „rasch und unkompliziert“ zu registrieren, heißt es im Beschluss. Bund und Länder wollen die Registrierung „beschleunigen und optimieren“ und der Bund die Länder „personell und materiell“ unterstützen. Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt, sieht dennoch Fortschritte. „Die Aufnahme der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland funktioniert deutlich besser als in der Flüchtlingsbewegung der Jahre 2015 und 2016“, sagte Hasselfeldt unserer Redaktion. Doch es bedürfe weiterer Anstrengungen besonders bei der Betreuung von Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftigen, Traumatisierten und Waisenkindern. Hier würden mehr Aufnahmekapazitäten in speziellen Einrichtungen benötigt, so die DRK-Präsidentin.
Wie werden die Kosten verteilt?
Nach komplizierten Verhandlungen sieht die Lösung so aus: Die Kriegsflüchtlinge sollen ab dem 1. Juni staatliche Grundsicherung erhalten, also Leistungen wie Hartz-IV-Empfänger. Sie werden damit anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt, ohne eine Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Damit bekommen auch eine bessere Gesundheitsversorgung und früher Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Damit sind aber nicht alle finanziellen Belastungen für Länder und Kommunen abgegolten. Deshalb erhalten die Länder in diesem Jahr pauschal zwei Milliarden Euro für die „Mehraufwendungen für die Geflüchteten“, wie es im Beschluss heißt. Die Summe setzt sich so zusammen: 500 Millionen Euro gibt es zur Unterstützung der Kommunen bei den Kosten der Unterkunft, 500 Millionen Euro zur Abgeltung der Aufwendungen, die bisher im Bereich der Lebenshaltung angefallen sind. Eine Milliarde Euro erhalten die Länder etwa für Betreuung und Beschulung der Kinder sowie Gesundheits- und Pflegekosten. „Die Pauschale wird den Ländern über einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt“, steht im Beschluss.
Welche Folgen des Krieges spielten noch eine Rolle?
Auch die hohen Energiepreise und die Versorgungssicherheit waren Thema. Für Privathaushalte und Wirtschaft sei es von „hoher Bedeutung“, dass Energie bezahlbar bleibe. Über die bereits beschlossenen Entlastungspakete hinaus ist man sich einig, dass „gegebenenfalls weitere Maßnahmen notwendig“ seien. So sollen etwa betroffene Unternehmen zinsgünstige KfW-Kredite erhalten, „weitere passgenaue Hilfen“ sind geplant. Um sich schnell unabhängig von russischen Importen zu machen, wollen Bund und Länder sich für den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und für mehr Energieeffizienz einsetzen. Im Beschlusspapier heißt es: „Dabei sind die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Bereitstellung der für den Ausbau der erneuerbaren Energien benötigten Flächen durch Bund und Länder von großer Bedeutung.“ Auch komme der heimischen Ernährungs- und Landwirtschaft eine strategische Bedeutung zu, „denn auch hierzulande gilt es, den starken Anstieg der Lebensmittelpreise abzufedern“.
War Corona ein Thema?
Die Corona-Lage in Deutschland spielte nur am Rande eine Rolle. Dabei gingen die Ministerpräsidenten offenbar hart mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ins Gericht. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), mahnte, ein „Hin und Her“ wie bei der Isolation für Corona-Infizierte dürfe es nicht noch einmal geben. Ein klarer Kurs in der Pandemiepolitik sei „nach wie vor wichtig“, betonte Wüst. Mit Blick auf das Scheitern der Impfpflicht sagte Wüst: „16 Ministerpräsidenten hätten es gern anders gehabt.“ Im Beschlusspapier geht es beim Thema Corona freilich ausschließlich um die Ukraine-Flüchtlinge. Die Länder würden über die Impfzentren und mobilen Impfteams zeitnahe und passgenaue Impfangebote unterbreiten. Der Bund will dies nun auch über den 31. Mai hinaus bis zum Jahresende mit einem Anteil von 50 Prozent finanziell unterstützen.
Welche Reaktionen gibt es?
Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, erklärte, der Bund habe bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten eine Bringschuld. „Dafür könnten auch Gelder russischer Oligarchen eingesetzt werden“, sagte Bartsch unserer Redaktion. So habe Belgien bereits zehn Milliarden Euro beschlagnahmt, „Deutschland nicht mal 100 Millionen Euro. Das muss sich schnell ändern“. Der Linke ergänzte: „Die Profiteure und Unterstützer des Putin-Systems sollten für die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland finanziell herangezogen werden.“ Der Deutsche Städte- und Gemeindebund betonte, die Bund-Länder-Einigung zum Umgang mit den Vertriebenen enthalte richtige Ansätze. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte unserer Redaktion: „Die jetzt getroffenen Vereinbarungen gelten für das Jahr 2022. Es ist aber schon jetzt absehbar und für die Planungssicherheit der Kommunen unverzichtbar, dass entsprechende Mittel auch 2023 bereitgestellt werden.“