TV-Kritik Maybrit Illner Lencke Steiner zahlt Talkshow-Lehrgeld

Düsseldorf · Maybrit Illner befasste sich mit gerechten Löhnen, Selbstausbeutung und dem wahren Wert von Arbeit. Das Thema ist komplexer, als es dem Fernsehen recht sein kann. FDP-Star Lencke Steiner sieht unter den ganzen Talk-Profis nicht besonders gut aus.

 FDP-Neu-Politikerin Lencke Steiner sah bei Maybrit Illner nicht immer so gut aus wie zuletzt.

FDP-Neu-Politikerin Lencke Steiner sah bei Maybrit Illner nicht immer so gut aus wie zuletzt.

Foto: ZDF Screenshot

"Viel Arbeit, wenig Geld. Wohlstand ausgeschlossen?", lautete am Donnerstagabend das Thema im Talk bei Maybrit Illner. Gemeint waren damit insbesondere die 7,9 Millionen Deutschen, die im Billiglohnsektor arbeiten. Anlass für die Debatte: Die wachsende Streikbereitschaft.

In der Runde sitzen sich gut bekannte Gesichter gegenüber, zudem hat Illner Marina Risse eingeladen, eine Frau, die seit 27 Jahren Erzieherin ist und jetzt die Nase voll hat von den wachsenden Belastungen in ihrem Beruf, für den ein Einstiegsgehalt 1200 Euro brutto betrage. Eine Kollegin, so erzählt sie, arbeite nach der Schicht im Kindergarten noch in einem zweiten Job, um sich ein Auto leisten zu können.

Mehrfach tut sich die Erzieherin schwer, die richtigen Worte zu finden, bisweilen vervollständigt Illner ihre Sätze. Einen der eindrücklichsten formuliert sie auf die Frage, ob sie sich denn arm fühle: "Ich fühle mich nicht finanziell arm, aber arm an Wertschätzung."

Schon das ist eine Erkenntnis an diesem Abend, an dem Politiker (Ministerpräsidentin Malu Dreyer und die Bremer FDP-Wahlsiegerin Lencke Steiner), Wirtschaftsforscher (Michael Hüther) und Sozialkämpfer (Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband) die schon Jahre alte Debatte fortführen, ob Billigjobs und Mindestlöhne eine unerträgliche Zumutung für die Betroffenen sind oder eine Chance.

Deutschlands Arbeitswelt, so formt sich der Eindruck an diesem Abend, hat kaum mit echter Armut am Rande der Überlebensfähigkeit zu kämpfen, wohl aber seit rund 20 Jahren mit einer weitverbreiteten, bisweilen gnadenlosen Kultur der Effizienz und Leistungsoptimierung.

Die Erzieherin sticht in der ansprechenden Diskussion heraus, weil sie rhetorischer nicht so versiert ist, wie die Talk-Profis um sie herum. Begriffe wie Billiglohnsektor, Armutsgefährdungsgrenze oder Wertschöpfung sind ihre Sache nicht. Doch auch die in Bremen mit einem Ergebnis von 6,6 Prozent zum Star aufgestiegene Lencke Steiner tut sich schwer. Zwar hat sie Fernseh-Erfahrung durch die Casting-Show "Höhle des Löwen", in Talkshows war sie allerdings noch nicht so häufig zu sehen.

Als Neu-Politikerin hat sie gelernt, dass es oftmals Vereinfachungen braucht, um eine Botschaft zu transportieren. Bei Illner stieß sie dabei an ihre Grenzen. Vor allem, weil Malu Dreyer (SPD) sich offenbar vorgenommen hat, die liberale Aufsteigerin zurechtzustutzen. Gleich mehrfach fährt die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ihr in die Parade.

Die privaten Kitas Auch Lencke Steiner zeigt sich überzeugt, dass Erzieher zu wenig verdienen, führt dies aber auf den Staat zurück. In privaten Einrichtungen werde hingegen nicht gestreikt. Dreyer legt Einspruch ein. "Ich kenne sehr viele private Kitas, die bezahlen ihr Personal miserabel." Zum Teil noch unter dem Tarif der Einrichtungen aus dem öffentlichen Dienst.

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Zustimmung gibt es nur im Hinblick auf die Probleme des Staates, Menschen angemessen zu entlohnen, die Arbeit am Menschen leisten wie die Erzieher. Deutschland müsse sich dringend Gedanken machen, wie es mit Berufen umgehen solle, die keinen ökonomisch messbaren Mehrwert abwerfen. Kein Widerspruch in der Runde. Denn die gewinnorientierte Wirtschaft könne im Boomland Deutschland sehr wohl gute Löhne bezahlen.

Mindestlohn "Die 8,50 Euro waren für die Betriebe gar nicht das Thema", sagt Steiner, die selbst einen Familienbetrieb für Verpackungen leitet und nebenbei als Bundesvorsitzende des Bundesverbands "Junge Unternehmer" fungiert. Vielmehr hätten die sich um den "riesigen bürokratischen Mehraufwand" gewehrt, den der Staat ihnen aufgebürdet hätte. Gemeint ist die Dokumentationspflicht beim Mindestlohn.

Das will Dreyer so nicht stehen lassen. "Jetzt muss ich aber wirklich noch ganz kurz was sagen", schaltet sie sich ein. Und führt aus: "Es gibt neun Branchen, nämlich die nach dem Schwarzarbeitergesetz, die zu dieser Dokumentation verpflichtet sind. Und die der geringfügig Beschäftigten. Warum? Weil dort der meiste Missbrauch betrieben worden ist", erklärt die SPD-Politikerin. Gegenüber sitzt Steiner und hört zu. Kein Widerspruch. In diesen Momenten zahlt sie Talkshow-Lehrgeld. Ulrich Schneider übernimmt.

Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes war an diesem Abend hingegen derjenige, der den meisten und größten Applaus erhielt. Immer wieder konnte er an anschaulichen Beispielen verdeutlichen, welche Belastungen etwa "versteckte Armut" für die Betroffenen in Deutschland mit sich bringt. Familien, die die Kinder vor der Klassenfahrt krank melden, erst nach dem offiziellen Ende der Abiturfeier erscheinen oder Kindergeburtstage wegen der teuren Geschenke meiden.

Schneider leitete aus dieser Misere Forderungen nach gesetzlichen Änderungen daraus ab. Für höhere Löhne braucht es aus seiner Sicht Steuererhöhungen, der Mindestlohn von 8,50 Euro kann nur der Anfang sein.

Michael Hüther, bei Illner an diesem Donnerstag sein Gegenspieler, tat sich schwer, weil er dem nur Statistiken entgegenhalten konnte. Nach den Gesamtzahlen verbessere sich die Lage in Deutschland seit einigen Jahren. Das beste Mittel gegen Armut sein immer noch Beschäftigung und Wirtschaftswachstum.

Wie Einzelfälle aus der Statistik sich im Endeffekt darstellen, zeigte das Beispiel von Studiogast Sven Hausmann, einem selbstständigen Gebäudereiniger. Der Unternehmer schilderte seine wirtschaftliche Existenz und ihre Folgen für sein Leben: 16 Stunden Arbeit am Tag, seit sieben Jahren kein Urlaub, keine Rücklagen fürs Alter möglich, unterm Strich ein Bruttolohn von gerade mal 7,41 Euro.

(pst)
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