Martin Schulz Von hundert auf null

Berlin/Düsseldorf · Kaum ein anderer Politiker ist in der jüngsten Vergangenheit so hoch geflogen und dann so rapide abgestürzt wie SPD-Chef Martin Schulz.

 Martin Schulz (Archiv).

Martin Schulz (Archiv).

Foto: afp

Und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Am frühen Freitagnachmittag brummen die Mobiltelefone, SMS transportieren in Windeseile die Gerüchte aus dem politischen Berlin in die gesamte Republik: Martin Schulz werfe hin, der scheidende SPD-Chef werde auch auf den Job als Außenminister verzichten, sollte es zu einer großen Koalition kommen. Und er sei, so heißt es weiter in den Kurznachrichten, zuvorderst von den Genossen aus dem eigenen Landesverband Nordrhein-Westfalen zu diesem Schritt gedrängt worden.

Kurze Zeit später folgt die Gewissheit. Auf einer Viertelseite verkündet Schulz in eigenen Worten, durch die Diskussion um seine Person sei eine Zustimmung zum ausgehandelten schwarz-roten Koalitionsvertrag beim Mitgliedervotum gefährdet. "Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind." Punkt, aus, das war's. Martin Schulz, der erst vor einem Jahr als Messias der deutschen Sozialdemokratie gefeiert wurde, der sich als 100-Prozent-Vorsitzender einen Platz im Olymp der SPD sichern sollte, zieht mit dieser Mitteilung einen Strich unter seine bundespolitische Karriere.

Die Leute mochten ihn

Schulz zog im Januar 2017 aus, um das Kanzleramt zu erobern. Er, der populäre Ex-Präsident des Europaparlaments, war so anders. Mit Halbglatze, Kassengestell und Anzügen von der Stange (diese Attribute nannte er im Wahlkampf gerne und oft selbst) wollte er den Leuten klarmachen: Ich bin einer von Euch. Die Leute mochten ihn. Seine Kanzlerkandidatur war das Produkt einer politischen Männerfreundschaft mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Den mochten die Leute vor seinem Wechsel ins Auswärtige Amt immer weniger. Indem er Schulz zum Popstar machte, läutete er auch das Ende der Freundschaft ein. Gabriel und Schulz sind Alphatiere, eitel, machthungrig und trotzdem vollkommen unterschiedlich. Der eine impulsiv und in seinem politischen Genie oftmals beratungsresistent, der andere integrativ, zaudernd, kumpelhaft. Und so schluckte Gabriel Neid herunter, als Schulz' Umfragewerte und die der SPD zunächst durch die Decke gingen. Es war schließlich sein Werk. Schier unerträglich wurde es aber für Gabriel, als der Sinkflug begann.

Schulz' größtes Problem war sein Glaubwürdigkeitsverlust

Schulz verlor im Kampf um das Kanzleramt mit seinen Mitstreitern drei Landtagswahlen und scheiterte am Ende zu allem Überfluss sogar daran, seine Partei in die Opposition zu führen. Gabriel begleitete all das mit unerbetenen Einwürfen. Schulz' größtes Problem aber war sein Glaubwürdigkeitsverlust: erst unbedingt Opposition, keinesfalls ein Ministeramt unter Merkel, selbst nach dem Jamaika-Scheitern keine große Koalition, dann doch und in dieser Woche statt Parteivorsitz lieber Außenminister. In Nordrhein-Westfalen und anderswo kochte die SPD-Basis vor Wut.

Am Freitag bemühten sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und andere Spitzengenossen, Schulz als jemanden zu inszenieren, der sich geopfert habe. Doch davon kann wohl kaum die Rede sein. Schulz kam dem Vernehmen nach nicht selbst auf die Idee, auf das Auswärtige Amt zu verzichten. Angeblich soll Noch-Außenminister Sigmar Gabriel vor seinen scharfen Angriffen auf Schulz Truppen hinter sich versammelt haben. Fündig wurde er in Nordrhein-Westfalen.

"Groschek wollte nicht der Königsmörder sein"

Am Donnerstagvormittag gab es eine Telefon-Konferenz, an der nach Informationen unserer Redaktion neben der gesamten Landtagsfraktion und der NRW-Gruppe der SPD-Bundestagsabgeordneten auch die Unterbezirks-Chefs der NRW-SPD beteiligt waren. Ein Teilnehmer berichtet: "Von den rund 100 Genossen hat sich kein Einziger hinter Schulz gestellt." Im Gegenteil habe "unwidersprochen die Meinung vorgeherrscht, dass Schulz auf das Außenministeramt verzichten soll", weil seine Personalie ansonsten die Debatte um den Koalitionsvertrag und den Mitgliederentscheid völlig überlagern und unmöglich machen würde. NRW-SPD-Chef Michael Groschek wusste das, er war Moderator der Runde. Dennoch verkündete er kurz danach vor Journalisten, es gebe keinen besseren Außenminister als Martin Schulz. Und verwies zugleich auf Schulz' Glaubwürdigkeitsproblem.

Doch nun gerät Groschek selbst in Bedrängnis. Ein führendes Mitglied der NRW-SPD sagte am Freitag: "Wenn der Vorsitzende so weit weg von der Parteibasis ist, können wir uns das eigentlich nicht leisten." Im September 2018 wählt die NRW-SPD ihren Landesvorstand neu. Groschek, der am Freitag nicht zu erreichen war, hält sich bislang offen, ob er erneut kandidiert. In seinem Umfeld hieß es am Freitag, er sei sich bei der Pressekonferenz der Tatsache bewusst gewesen, dass die NRW-SPD nicht mehr hinter Schulz steht. "Aber Groschek wollte nicht der Königsmörder sein", heißt es. Wenn es so war, liegt eine unangenehme Frage auf der Hand: War Groschek schlicht zu feige, um die Meinung seines Landesverbandes offensiv zu vertreten?

(jd, tor)
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